Hamburg. Konzerte, Theaterstücke, Ausstellungen, Bücher, Alben und vieles mehr– Abendblatt-Kritikerinnen und -Kritiker blicken zurück.

Die Redaktion des Abendblatts ist zugegebenermaßen voreingenommen: Wir finden das Kulturleben in Hamburg sehr, sehr toll. Und zwar über den Leuchtturm Elbphilharmonie hinausgehend. Am Hafen, im edlen Ambiente des großen Hauses, gab es 2023 viele tolle Konzerte, man prüfe dies nach in den Bestenlisten unserer Kritikerinnen und Kritiker.

Viele von Ihnen werden selbst diesen erinnerungswürdigen Abenden beigewohnt haben, manchmal waren es Konzerte für die Ewigkeit. Nicht nur in der Elbphilharmonie, auch in den kleinen Clubs auf St. Pauli oder unter freiem Himmel. Es gab große Popkonzerte im Volksparkstadion und auf der Trabrennbahn. Apropos: Auf Letzterer verabschiedete sich Fettes Brot von seinem Publikum: Mit einem gefeierten Doppelkonzert machte das Trio nach mehr als 30 Jahren Schluss.

Kultur Hamburg: Das waren die Höhe- und Tiefpunkte des Jahres

Die Bühnen der Stadt elektrisierten mit ihren Inszenierungen (der „Anthropolis“-Fünfteiler im Schauspielhaus!) die Stadt, die Museen standen dem nicht nach, ein später Höhepunkt dort, hineinragend ins Kulturjahr 2024: die große Caspar-David-Friedrich-Schau in der Kunsthalle. Wir haben Kinofilme geschaut, Pop- und Jazzalben gehört (manchmal altmodisch auf CD oder Vinyl), Bücher gelesen.

Wir haben uns überraschen lassen, und manchmal haben wir uns auch geärgert. Es war ein pralles Jahr, das wir an dieser Stelle resümieren. Das nächste kann kommen.

Maike Schiller, Ressortleiterin

Maike Schiller
Maike Schiller © Mark Sandten | Mark Sandten

Die Inszenierungen des Jahres
Kirill Serebrennikov: „Barocco“, Thalia Theater
Karin Beier: „Laios“, Deutsches Schauspielhaus
Karin Beier: „Iokaste“, Deutsches Schauspielhaus
Jossi Wieler: „Angabe der Person“, Hamburger Theaterfestival
Elias Perrig: „The Wanderers“, Ernst Deutsch Theater

Die Bücher des Jahres
Inger-Maria Mahlke: „Unsereins“ (Rowohlt)
Jarka Kubsova: „Marschlande“ (S. Fischer)
Florian Illies: „Zauber der Stille“ (S. Fischer)
Charlotte Gneuß: „Gittersee“ (S. Fischer)
Annette Mingels: „Der letzte Liebende“ (Penguin)

Die Kinofilme des Jahres
Justine Triet: „Anatomie eines Falls“
Greta Gerwig: „Barbie“
Christopher Nolan: „Oppenheimer“
Nikolaj Arcel: „King’s Land“
Christian Petzold: „Roter Himmel“

Das Kulturereignis des Jahres
Karin Beiers fünfteilige Theaterserie „Anthropolis“ hätte am Deutschen Schauspielhaus grandios scheitern können. Sie wäre trotzdem mein „Hamburger Kulturereignis des Jahres“ geworden – schon für den Mut zum Risiko und die überbordende Lust am linearen Erzählen. Aber „Anthropolis“ ist ja nicht gescheitert, ganz im Gegenteil: Die Inszenierungen sind ein großer Triumph, jede mit einem anderen Schwerpunkt. Mal ist der Text besonders toll („Iokaste“!), mal haut einen das Spiel vollkommen um (Lina Beckmann in „Laios“!).

Sensationell: Lina Beckmann in „Laios“ am Deutschen Schauspielhaus.
Sensationell: Lina Beckmann in „Laios“ am Deutschen Schauspielhaus. © Hamburg | Monika Ritershaus

Das Ärgernis des Jahres
Eigentlich ist „Ärgernis“ hier kein passender Begriff. Trotzdem gehört es leider zwingend zu 2023: Die Sprachlosigkeit und das erschreckend laute Schweigen zu vieler in der Kulturszene nach den unfassbar grausamen Überfällen auf tanzende oder schlicht seiende Menschen am 7. Oktober in Israel war beschämend.

Die Überraschung des Jahres
Pauline Rénevier beweist bei der Boy-Gobert-Preisverleihung: Crowdsurfing wurde im Parkett des Thalia Theaters bislang völlig unterschätzt.

Holger True, stellvertr. Ressortleiter

Holger True
Holger True © Michael Rauhe; | Michael Rauhe

Die Konzerte des Jahres
Manfred-Eicher-Abend in der Elbphilharmonie
Belcea Quartet an drei Tagen in der Laeiszhalle
Anna Vinnitskaya solo in der Elbphilharmonie
Gerald Clayton Trio in der Laeiszhalle und der Halle 424
Bruce Springsteen & E Street Band im Volksparkstadion

Die Alben des Jahres
John Coltrane with Eric Dolphy: „Evenings At The Village Gate“
Takeo Moriyama: „Live At Lovely“
Khruangbin: die 5 Live-LPs aus Austin, New York, Miami, Toronto und Sydney
Olivia Rodrigo: „Guts“
Nitai Hershkovitz: „Call On The Old Wise“

Die Serien des Jahres
„The Last of Us“ (WOW)
„The Morning Show“ (AppleTV+)
„The Crown“ (Netflix)
„Slow Horses“ (AppleTV+)
„Alexia Putellas – Ikone des Fußballs“ (WOW)

Eine der Serien des Jahres: „The Last Of Us“ mit Pedro Pascal und Bella Ramsey
Eine der Serien des Jahres: „The Last Of Us“ mit Pedro Pascal und Bella Ramsey © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Das Ärgernis des Jahres
Kein neues Thema, aber eines, das in diesem Jahr dank Superstars wie Taylor Swift wieder aufploppte: der Schwarzmarkt mit Konzertkarten auf Plattformen wie Viagogo und Ebay. Verzweifelte Fans zahlen fast jede Summe, und Professionelle wie Gelegenheitsabzocker nutzen das aus. Ebenfalls übel das dynamic pricing, das u. a. Ticketmaster praktiziert: Steigt die Ticketnachfrage, steigt auch der Preis, gerne mal um 100 Prozent und mehr.

Die Überraschung des Jahres
Der Vinyl-Boom ebbt einfach nicht ab. Im Gegenteil: Ob jung (Olivia Rodrigo) oder alt (Rolling Stones), die schwarzen Scheiben sind begehrter denn je. Weshalb auch immer mehr Archivschätze als Vinyl-Version neu auf den Markt kommen.

Das Kulturereignis des Jahres
Das „Elbphilharmonie Visions“-Festival mit beeindruckenden Werken von Kaija Saariaho, Anna Thorvaldsdottir, Thomas Larcher und vielen anderen. Musik des 21. Jahrhunderts, die man unbedingt live erleben muss und für die die Elbphilharmonie der perfekte Ort ist.

Vera Fengler, Kulturredakteurin

Vera Fengler
Vera Fengler © Hamburg | Michael Rauhe

Die Ausstellungen des Jahres
„Dix und die Gegenwart“, Halle für aktuelle Kunst
„Eine Stadt wird bunt“, Museum für Hamburgische Geschichte
„Femme fatale“, Hamburger Kunsthalle
„Hamburg und Tirol – eine Alpenfreundschaft?“, MARKK
„Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour“, Bucerius Kunst Forum

Die Kinofilme des Jahres
Frauke Finsterwalder: „Sisi & Ich“
Christian Petzold: „Roter Himmel“
Nikolaj Arcel: „King’s Land“ (Filmfest Hamburg)
Todd Field: „Tár“
Sonja Heiss: „Wann wird es endlich wieder so, wie es niemals war?

Szene aus dem Film „Roter Himmel“ (Regie Christian Petzold) mit Paula Beer und Thomas Schubert
Szene aus dem Film „Roter Himmel“ (Regie Christian Petzold) mit Paula Beer und Thomas Schubert © Christian Schulz/ Schramm Film | Christian Schulz/ Schramm Film

Die Bücher des Jahres
Camille Laurens: „So wie du mich willst“ (dtv)
Florian Illies: „Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten“ (S. Fischer)
Annika Büsing: „Koller“ (Steidl)
Ernest van der Kwast: „Der perfekte Mann“ (btb)
Nele Pollatschek: „Kleine Probleme“ (Galiani Berlin)

Das Ärgernis des Jahres
Mit der Berufung der ruangrupa-Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono an der Hochschule für bildende Künste Hamburg hatte man die Chance ergriffen, die Antisemitismusvorwürfe der documenta fifteen aufzuarbeiten. Und auch mit Andreas Hoffmann (Ex-Bucerius Kunst Forum) als neuem Geschäftsführer verband sich die Hoffnung auf einen glücklichen Neustart. Nun wurde einem Mitglied der künstlerischen Findungskommission, dem indischen Kunstkritiker Ranjit Hoskoté, erneut Nähe zur BDS-Bewegung vorgeworfen. Mit dem Ergebnis, dass die gesamte Kommission sich auflöste. Zukunft der Weltausstellung – ungewiss.

Die Überraschung des Jahres
Dass Inga Humpe und Tommi Eckart endcool sind, war eh klar. Aber das 2raumwohnung-Konzert beim 45hertz Festival im August toppte dennoch alle Erwartungen. 36-Grad-Rave unterm Fernsehturm.

Das Kulturereignis des Jahres
Eröffnung der Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ in der Galerie der Gegenwart.

Thomas Andre, Kulturredakteur

Thomas Andre
Thomas Andre © Hamburg | Thomas Andre

Die Bücher des Jahres
Inger-Maria Mahlke: „Unsereins“ (Rowohlt)
Terézia Mora „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ (Luchterhand)
Karl Ove Knausgård: „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ (Luchterhand)
Bret Easton Ellis: „The Shards“ (Kiepenheuer & Witsch)
Max Richard Leßmann: „Sylter Welle“ (Kiepenheuer & Witsch)

Die Konzerte des Jahres
Bruce Springsteen & E Street Band, Volksparkstadion
Yo La Tengo, Uebel & Gefährlich
Sting, Barclays Arena
Deichkind, Trabrennbahn
Lizzo, Barclays Arena

Bruce Springsteen und seine E Street Band begeisterten 50.000 Fans im Volksparkstadion. (Archivbild)
Bruce Springsteen und seine E Street Band begeisterten 50.000 Fans im Volksparkstadion. (Archivbild) © picture alliance / Rob Grabowski/Invision/AP | Rob Grabowski

Die Alben des Jahres
Julie Byrne: „The Greater Wings“
Slowdive: „Everything Is Alive“
Lana Del Rey: „Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd“ Grian Chatten: „Chaos for the Fly“
Olivia Rodrigo: „Guts“

Die Überraschung des Jahres
Noch vor dem Shoegaze-Revival (selbst TikTok spielt verrückt) der Deutsche Buchpreis für Rowohlt-Autor Tonio Schachinger.

Das Kulturereignis des Jahres
Nur beinah das doppelte Farewell von Fettes Brot, Hamburgs Hip-Hop-Heroen auf der Trabrennbahn. Noch wichtiger war die Verleihung des Friedenspreises an Salman Rushdie. „Ein Mensch, von dem wir lernen können, was Mut ist“, hieß es im Oktober in der Paulskirche. Rushdie hätte sein Eintreten für Meinungs- und Kunstfreiheit 2022 beinah mit dem Leben bezahlt, als er auf einer Veranstaltung niedergestochen wurde. Er ist Held und Vorbild, ein unbeugsamer Mann indischer Herkunft, der von New York aus auch die Arbeitsgrundlagen von Hamburger Autoren verteidigt.

Das Ärgernis des Jahres
Die unangemessene, weil ausbleibende Reaktion der Kulturszene auf den Terrorangriff der Hamas. Solidaritätsbekundungen für Israel gab es wenige. Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson: Es muss als moralische und intellektuelle Schwäche bezeichnet werden, dass viele in der sonst so auskunftsfreudigen Welt der Künste derzeit so geschichtsvergessen sind.

Stefan Reckziegel, Kulturredakteur

Stefan Reckziegel
Stefan Reckziegel © Hamburg | Klaus Bodig

Die Inszenierungen des Jahres
Murat Yeginer: „Dat Füerschipp“, Ohnsorg-Theater
Karin Beier: „Prolog/Dionysos“, Deutsches Schauspielhaus
Sewan Latchinian: „Die Weiße Rose“, Hamburger Kammerspiele
Ulrich Waller: „Nebenan“, St. Pauli Theater
Frank Thannhäuser: „Die blaue Hand“, Imperial Theater

An den Kammerspielen war „Die Weiße Rose“ zu sehen.
An den Kammerspielen war „Die Weiße Rose“ zu sehen. © Bo Lahola | Bo Lahola

Die Bücher des Jahres
Mirko Bonné: „Alle ungezählten Sterne“ (Schöffling & Co.)
Daniel Kehlmann: „Lichtspiel“ (Rowohlt)
Uwe Timm: „Alle meine Geister“ (Kiepenheuer & Witsch)
Herfried Münkler: „Welt in Aufruhr“ (Rowohlt)
Giuliano da Empoli: „Der Magier im Kreml“ (C.H. Beck)

Die Kleinkunstabende des Jahres
Florian Schroeder: „Schluss jetzt!“, Laeiszhalle, Großer Saal
Bodo Wartke: „Wandelmut“, Schmidts Tivoli
Andreas Rebers: „Rein geschäftlich“, Lustspielhaus
„Mensch, wir ärgern dich nicht“, Theaterschiff Hamburg
Alma Hoppe: „Finale Arrabbiata“, die vorletzte Vorstellung mit Nils Loenicker, Lustspielhaus

Die Überraschung des Jahres
Dass Franz Wittenbrinks Best-of aus seinen drei Liederabenden „Lust“, „Nacht-Tankstelle“ und „Ricky“ mehr als ein Jahrzehnt nach den Uraufführungen noch eine neue „Lust auf St. Pauli“ im Theater geweckt hat.

Das Ärgernis des Jahres
Schwach, dass es trotz der Lessingtage und des Hamburger Theaterfestivals die bundesweiten Privattheatertage in Hamburg wegen fehlender 500.000 Euro vom Bund 2024 nicht mehr geben wird. Rund 200 privat betriebenen Häusern fehlt so eine überregional beachtete Bühne.

Das Kulturereignis des Jahres
Der Satire-Gipfel bei „Lesen ohne Atomstrom“ bot mit Jan-Peter Petersen, der „Titanic“-BoyGroup, Urban Priol und Comebacks von Lisa Politt und Henning Venske (als Vertreter „der drittletzten Generation“!) drei Stunden kabarettistische Kompetenz wie selten. Und das alles für lau.

Falk Schreiber, Kulturautor

Falk Schreiber
Falk Schreiber © Bernd Völkel | Bernd Völkel

Die Inszenierungen des Jahres
Florentina Holzinger: „Ophelia’s Got Talent“, Kampnagel
SIGNA: „Das 13. Jahr“, Deutsches Schauspielhaus
Helge Schmidt: „Dat Leven vun de Liven“ als Koproduktion von Lichthof und Ohnsorg Theater
Kirill Serebrennikov: „Barocco“, Thalia Theater
Cathy Marston: „Jane Eyre“, Hamburg Ballett

Die Ausstellungen des Jahres
„The F*Word: Guerilla Girls und feministisches Grafikdesign“, Museum für Kunst & Gewerbe
„Exzentrische 80er“, Kunsthaus
Ernsthaft?!“, Sammlung Falckenberg
„Vija Celmins, Gerhard Richter: Double Vision“, Hamburger Kunsthalle
„It’s Human Nature“, Kunstverein Harburger Bahnhof

Die Konzerte des Jahres
Beyoncé, Volksparkstadion
Hundreds, Kampnagel
Tocotronic, Stadtpark
The Notwist, Fabrik
Tori Amos, Laeiszhalle

Die Überraschung des Jahres
Wie leicht, ironisch und befreit von der Schwere des Großkünstlers John Neumeier seine letzte Spielzeit als Intendant des Hamburg Ballett durchtanzt. Hier eine charmante Gala, dort eine klug besetzte Wiederaufnahme und viel Vorfreude auf die allerletzte Premiere „Epilog“ im Sommer.

John Neumeier befindet sich in seiner letzten Saison als Ballettdirektor und Chefchoreograf der Compagnie beim Hamburg Ballett.
John Neumeier befindet sich in seiner letzten Saison als Ballettdirektor und Chefchoreograf der Compagnie beim Hamburg Ballett. © Hamburg | Christian Charisius

Das Ärgernis des Jahres
Wie eine selbst ernannte „Anti-Gender-Initiative“ Probleme herbeikrakeelt und dabei tief in homophoben und rechtspopulistischen Gewässern fischt.

Das Kulturereignis des Jahres
Wie Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier derzeit mit der Aufführungs-Serie „Anthropolis“ Theater und serielles Erzählen zusammenführt und damit einen unwiderstehlichen Sog erzeugt, bei dem man die jeweils nächste Folge ihrer Antikenmodernisierung fiebrig erwartet. Die mythologische Geschichte der Stadt Theben als nervenzerrendes, lustiges, drastisches, oft unterhaltsames, nur selten leicht redundantes Spiel mit den Erwartungshaltungen des Publikums – Respekt!

Tino Lange, Kulturredakteur

Tino Lange
Tino Lange © Tino Lange | Tino Lange

Die Konzerte des Jahres
Elton John, Barclays Arena
Queens Of The Stone Age, Hurricane Festival
Wolfmother, Große Freiheit 36
M83, Stadtpark
Niels Frevert, Markthalle

Die Alben des Jahres
Olivia Rodrigo: „Guts“
Ghost: „Phantomime“
Queens Of The Stone Age: „In Times New Roman“
Sleep Token: „Take Me Back to Eden“
Jungle: „Volcano“

Die Serien des Jahres
„The Last of Us“ (WOW)
„Star Wars: Ahsoka“ (Disney+)
„The Crown“ (Netflix)
„Robbie Williams“ (Netflix)
„The Bear“ (Disney+)

Das Ärgernis des Jahres
Seit 2009 ist klar, dass die Clubs Waagenbau, Fundbureau, Astra Stube, Bar 227 und Beat Boutique irgendwann der Sanierung der Sternbrücke weichen müssen. Jetzt ist es so weit, und Neujahr wird der letzte Feierabend vorbei sein – auch für das PAL in der Karolinenstraße. Aber so absehbar, wie es war, und so aussichtsreich wohl die Suche nach neuen Standorten ist, ein wichtiges Kapitel Hamburger Clubgeschichte geht trotzdem zu Ende. On top gab es auch noch die Kündigung zum Sommer für das Molotow. Traurig.

Ein Hit, der mehr als zweimal eingeschlagen ist: „Komet“ von Udo Lindenberg und Apache 207.
Ein Hit, der mehr als zweimal eingeschlagen ist: „Komet“ von Udo Lindenberg und Apache 207. © DPA Images | -

Die Überraschung des Jahres
Wenn sich zwei der erfolgreichsten deutschen Popstars ihrer jeweiligen Generation in einem Lied vereinen, muss die Rechnung nicht aufgehen. Für Udo Lindenberg und Apache 207 aber stehen unter dem Strich 30 Wochen an der Chartsspitze mit „Komet“. Ein überraschender Rekord und Udos erste Nummer-eins-Single.

Das Kulturereignis des Jahres
Wacken wurde dieses Jahr zu „Schlacken“, wochenlange Regenfälle und knietiefe Matschsuhlen machten das Metal-Festival zum enorm beachteten Medienereignis und zu einer extremen Herausforderung für Fans, Bands und Organisation. Dass Zehntausende Metalheads heimfahren mussten, war bedauerlich. Umso schöner war zu erleben, wie hilfsbereit der Norden war, als Gemeinden und Privatmenschen von Itzehoe bis Hamburg in eiserner Solidarität Gestrandete bei sich aufnahmen.

Joachim Mischke, Kultur-Chefreporter

Joachim Mischke
Joachim Mischke © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Andreas Laible

Die Konzerte des Jahres
Yuja Wang, San Francisco Symphony, Esa-Pekka Salonen, Rachmaninows 3. Klavierkonzert, Elbphilharmonie
Das Aurora Orchestra, Strawinskys „Sacre“ – auswendig gespielt, Elbphilharmonie
Art Tatums „I Cover The Waterfront“ gespielt von Daniil Trifonov, als Zugabe nach einem Rachmaninow-Konzert, Philadelphia Orchestra, Dirigent Yannick Nézet-Séguin, Elbphilharmonie
Marc-André Hamelin mit Beethoven, Schumann und Ravel, Elbphilharmonie
Tamara Stefanovich an drei Tagen hintereinander: 2x Lindberg-Klavierkonzert mit NDR-Orchester und Esa-Pekka Salonen plus fünfstündiger Sonaten-Marathon, Elbphilharmonie

Pianistin Tamara Stefanovich spielte in der Elbphilharmonie sensationelle Konzerte.
Pianistin Tamara Stefanovich spielte in der Elbphilharmonie sensationelle Konzerte. © Daniel Dittus | Daniel Dittus

Die Inszenierungen des Jahres
Dmitri Tcherniakov: Strauss’ „Salome“ mit Asmik Grigorian, Staatsoper Hamburg
Kirill Serebrennikov: „Barocco“, Thalia Theater
Karin Beier: Die „Anthropolis“-Serie, Schauspielhaus
Markus Stenz: Kurtágs „Fin de partie“ (halbszenisch) in der Elbphilharmonie

Die Serien des Jahres
„Succession“ (WOW)
„The Bear“ (Disney+)
„Yellowstone“ (MagentaTV)
„Morning Show“ (Apple TV+)
„Shrinking“ (Apple TV+)

Das Ärgernis des Jahres
Die unausgegorene Debatte der Politik über die Frage, ob Hamburg ein neues Opernhaus braucht, wo es steht und wer warum was bezahlt – als ob es für ein Update nicht vor allem inhaltliche Profilierung bräuchte. Immobilien-Denke allein (schöne Grüße an den Elbtower!) genügt nicht für Augenhöhe mit der Elbphilharmonie.

Die Überraschung des Jahres
Die Berufung des Dirigenten Omer Meir Wellber in Kombination mit dem Regisseur Tobias Kratzer als konsequenter Generationswechsel an der Spitze der Staatsoper.

Das Kulturereignis des Jahres
Dass die Kultur trotz der viel zu vielen gleichzeitigen Krisen nicht aufgibt und – so gut es (noch) geht – für uns alle durchhält und weitermacht.

Annette Stiekele, Kulturautorin

Annette Stiekele
Annette Stiekele © Gunter Glücklich | Gunter Glücklich

Die Inszenierungen des Jahres
Karin Beier: „Iokaste“, Deutsches Schauspielhaus
Miet Warlop/Irene Wool/NT Gent: „One Song – Histoire(s) du Theatre IV“, Kampnagel
Kirill Serebrennikov: „Barocco”, Thalia Theater
Harald Weiler: „Cyrano de Bergerac“, Ernst Deutsch Theater
Florentina Holzinger: „Ophelia’s Got Talent“, Kampnagel

Die Ausstellungen des Jahres
„Tiefenschärfe. Ursula Becker-Mosbach. Architekturfotografie um 1960“, Ernst Barlach Haus
Walid Raad: „Cotton Under My Feet: The Hamburg Chapter”, Hamburger Kunsthalle
„Eine Stadt wird bunt. Hamburg Graffiti History 1980–1999“, Museum für Hamburgische Geschichte
„Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“, Sammlung Falckenberg
„Das Land spricht. Sámi Horizonte“, Museum am Rothenbaum

Die Filme des Jahres
Celine Song: „Past Lives”
Justine Triet: „Anatomie eines Falls”
Sarah Polley: „Women Talking”
Colm Bairéad: „The Quiet Girl“
Christian Petzold: „Roter Himmel“

Ganz stark: Sandra Hüller im Kinodrama „Anatomie eines Falls“
Ganz stark: Sandra Hüller im Kinodrama „Anatomie eines Falls“ © Plaion Pictures | Plaion Pictures

Die Überraschung des Jahres
Der ehemalige Thalia-Schauspieler Philipp Hochmair wird nach langen Jahren, in denen er die Rolle in konzertanten Solo-Abenden mit Band verkörperte, ab 2024 den „Jedermann“ ganz offiziell bei den Salzburger Festspielen übernehmen.

Das Ärgernis des Jahres
Das beklemmende Schweigen von Teilen des internationalen Kulturbetriebes nach dem Terrorakt der Hamas vom 7. Oktober.

Das Kulturereignis des Jahres
Karin Beiers wagemutiges Antiken-Serienprojekt „Anthropolis“ ist auf ganzer Länge geglückt. Roland Schimmelpfennigs Neuschreibung der antiken Mythen sorgt in Verbindung mit einer klaren, konsequenten Inszenierung und einem herausragenden Ensemble dafür, dass dieses Theater in Serie einen hohen Suchtfaktor entwickelt. Kluges, mitreißendes, relevantes und beglückendes Theater!

Elisabeth Gefeller, Volontärin

Elisabeth Gefeller
Elisabeth Gefeller © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Die Inszenierungen des Jahres
Wu Tsang und Raja Feather Kelly: „Heart of Brick“, Kampnagel
Kirill Serebrennikov: „Barocco“, Thalia Theater
Naomi Kelechi Odhiambo: „Dinge, die wir nicht sagen“, Kampnagel
Samantha Ellis: „How to Date a Feminist“, Kammerspiele
Ashley Lobo: „A Passage to Bollywood“, Kampnagel

Die Kinofilme des Jahres
Martin McDonagh: „The Banshees Of Inisherin
Saim Sadiq: „Joyland“
Greta Gerwig: „Barbie“
Oliver Parker: „In voller Blüte“
Wes Anderson: „Asteroid City”

Die Konzerte des Jahres
Disarstar, Sporthalle
Danger Dan, Rote Flora
Shirin David, Barclays Arena
Ski Aggu, Uebel & Gefährlich
50 Cent, Barclays Arena

Das Ärgernis des Jahres
Waagenbau. Fundbureau. Astra-Stube. Bar 227. Beat Boutique. PAL. Der Friedhof der Hamburger Clubs bekommt Ende dieses Jahres viel zu viele Neuzugänge. Zwar haben ein paar schon oder hoffentlich bald neue Locations gefunden – doch der Verlust lässt nicht nur hanseatische Partyherzen bluten, es ist auch ein Appell an die Politik, dass Clubkultur auch in Hamburg endlich ernster genommen werden muss. Oder müssen bald alle Raver und Raverinnen nach Berlin ziehen?

Düstere Zeiten für Hamburgs Clubkultur: Auch der Waagenbau (hier mit Betreiber John Schierhorn) verliert seinen angestammten Platz.
Düstere Zeiten für Hamburgs Clubkultur: Auch der Waagenbau (hier mit Betreiber John Schierhorn) verliert seinen angestammten Platz. © Andreas Laible | Andreas Laible

Die Überraschung des Jahres
„Siegfried und Joy“ haben im Hamburger Schauspielhaus bewiesen, dass Magie nicht nur auf Kindergeburtstagen oder rauschenden Las-Vegas-Trips funktioniert – sondern auch auf großen Bühnen: Eine bereichernde Entdeckung der Zauberkunst!

Das Kulturereignis des Jahres
Nicht nur vor dem eigenen Geburtstag flattert vor Vorfreude der Puls: Das Gängeviertel hat im August sein 14-jähriges Bestehen gefeiert. Ein ganzes Wochenende voll mit Konzerten, Fotoausstellungen, Theater- und Tanzperformances, Lesungen und Partys von Hamburger Kollektiven. Und zur Reizverarbeitung entspannen im liebevoll dekorierten Außenbereich. Bis zum nächsten Jahr!

Heinrich Oehmsen, Kulturautor

Heinrich Oehmsen
Heinrich Oehmsen © Privat | Privat

Die Konzerte des Jahres
Fettes Brot, Trabrennbahn Bahrenfeld
Wynton Marsalis, Elbphilharmonie
Pretenders, Große Freiheit 36, Reeperbahn Festival
Ensemble Resonanz, Bas Wiegers spielt Helmut Lachenmanns „Grido“ in der Elbphilharmonie
Samara Joy, Elbphilharmonie

Die Alben des Jahres
London Brew: „London Brew“
PJ Harvey: „I Inside The Old Year Dying“
Janelle Monae: „The Age Of Pleasure“
Jason Isbell and the 400 Unit: „Weathervanes“
Killer Mike: „Michael“

Die Filme des Jahres
Martin Scorsese: „Killers Of The Flower Moon“
Christian Petzold: „Roter Himmel“
Justine Triet: „Anatomie eines Falls“
David Wnendt: „Sonne und Beton“
Chinonye Chukwu: „Till“

Das Kulturereignis des Jahres
Karin Beiers fünfteilige Antiken-Serie „Anthropolis“ am Deutschen Schauspielhaus. Nach jeder Premiere fieberte man schon der nächsten Tragödie entgegen. Karin Beier ist mit diesen Inszenierungen mitreißendes und hochpolitisches Theater als Kommentar zur gewalttätigen Gegenwart gelungen. Nach Luk Percevals „Schlachten“-Projekt ist „Anthropolis“ der nächste überragende Meilenstein in der Geschichte des Deutschen Schauspielhauses.

Die Überraschung des Jahres
„Barbie“: Ein Kino-Spaß in Pink mit einem urkomischen Ryan Gosling und einer emotionalen Tiefe, die man so nicht erwarten konnte. Erstaunlich, was Regisseurin Greta Gerwig aus dieser Puppenwelt alles herausgeholt und wie viel Anstöße sie zum Nachdenken über unsere Wirklichkeit gegeben hat.

Überraschungshit: „Barbie“ mit Ryan Gosling und Margot Robbie
Überraschungshit: „Barbie“ mit Ryan Gosling und Margot Robbie © Invision/AP | Scott Garfitt

Das Ärgernis des Jahres
Die vielen undifferenzierten Diskurse zu kultureller Aneignung, Post-Kolonialismus und Rassismus und das verstärkte Aufkommen von Antisemitismus. Enttäuschend, wie lange Teile des Kulturbetriebes in der Bundesrepublik gebraucht haben, um ihre Haltung zum Hamas-Terror deutlich zu machen.

Verena Fischer-Zernin, Kulturautorin

Verena Fischer-Zernin
Verena Fischer-Zernin © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Die Konzerte des Jahres
David Robertson und das WDR Sinfonieorchester zu Gast bei „Elbphilharmonie Visions“
Martin Grubinger trommelt zum Abschied noch mal, Elbphilharmonie
John Eliot Gardiner dirigiert Bachs h-Moll-Messe, Elbphilharmonie
Anne Sofie von Otter besingt bei ihrem Liederabend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie nicht nur Liebe, sondern auch Sex
Simon Rattle dirigiert Charpentiers „Médée“ in der Elbphilharmonie

Die Filme des Jahres
Emanuele Crialese: „L’immensità – Meine fantastische Mutter“
Sarah Polley: „Die Aussprache“
Christopher Nolan: „Oppenheimer“
Charlie Hübner: „Sophia, der Tod und ich“
Aki Kaurismäki: „Fallende Blätter“

Die Bücher des Jahres
Arno Geiger: „Das glückliche Geheimnis“ (Hanser)
Anne Serre: „Die Gouvernanten“ (Berenberg)
Solvej Balle: „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ (Matthes & Seitz)
Anne Rabe: „Die Möglichkeit von Glück“ (Klett Cotta)
Dana Vowinckel: „Gewässer im Zip­lock“ (Suhrkamp)

Eines der Bücher des Jahres: Arno Geigers „Das glückliche Geheimnis“
Eines der Bücher des Jahres: Arno Geigers „Das glückliche Geheimnis“ © Verlag | Verlag

Das Ärgernis des Jahres
Tarifsteigerungen drohen die Theater zu strangulieren. Im Fall Lüneburgs sprang das Land erst ein, als die Existenz des Orchesters infrage gestellt wurde. Verantwortungsvolle Kulturpolitik sieht anders aus.

Die Überraschung des Jahres
Die Rote Flora erklärt sich nach dem Terrorangriff der Hamas solidarisch mit Jüdinnen und Juden und stellt sich gegen die Relativierungstendenzen der Linken. Chapeau.

Das Kulturereignis des Jahres
Die Ausstellung „Geniale Frauen“ im Bucerius Kunst Forum setzt bedingungslos auf Qualität. Und zeigt sie – ebenso wie die Bedingungen, unter denen viele Malerinnen im 16. bis 18. Jahrhundert arbeiten mussten. Doch ist es vor allem ein ästhetisches Vergnügen, Judith Leysters stolzes Selbstporträt als Bürgerin mit Pinsel und Palette zu sehen. Oder das detailfreudige Gekrabbel auf den Gouache-Bildern von Maria Sibylla Merian.