Hamburg. Die britische Choreografin Cathy Marston bringt für das Hamburg Ballett den berühmten Roman von Charlotte Brontë auf die Bühne
Es kommt nicht häufig vor, dass andere choreografische Handschriften beim Hamburg Ballett John Neumeier zu erleben sind. In dieser nun aber wirklich letzten Saison des Intendanten hat die britische Choreografin Cathy Marston eine Einladung zu einer Gastchoreografie erhalten. Und diese erweist sich als Glücksfall für Hamburg.
Ballett Hamburg: Diese „Jane Eyre“ an der Staatsoper ist ein Glücksfall
Marston wird angerufen, wenn es darum geht, klassische Literatur modern in Szene zu setzen. Das ist ihr mit der Deutschlandpremiere ihrer 2016 uraufgeführten Choreografie „Jane Eyre“ nach dem Roman von Charlotte Brontë, einem Klassiker der viktorianischen Literatur des 19. Jahrhunderts, ziemlich eindrucksvoll gelungen.
Der Triumpf ist unter anderem ihren beiden starken Ersten Solisten geschuldet. Ida Praetorius stürmt im Prolog Richtung Bühnenrand, kreuzt die Arme und wird dann von den sogenannten D-Men, einer jungen Tänzerschar als dämonenhaften Imaginationen, umkreist, herumgeschleudert und weggetragen. Aber auch ihre Gefühle für ihren Arbeitgeber Edward Rochester, eindringlich getanzt von Karen Azatyan, finden in dieser Vision ihren Ausdruck. Schließlich wird sie von St. John Rivers (Christopher Evans) aufgegriffen, und kann sich in seinem Haus bei seinen beiden Schwestern erholen.
„Jane Eyre“ an der Hamburger Staatsoper nur mit Minimum an Requisiten
Patrick Kinmonth hat eine zweigeteilte Bühne errichtet mit Vorder- und Hintergrund. Auf dem Gaze-Vorhang ist eine typisch englische Landschaft zu sehen. Mit wenigen Zügen an den Kulissen und einem Minimum an Requisiten verwandelt sich das Bild in das düstere Internat und später ins herrschaftliche Thornfield.
Jane Eyre erinnert sich, in der Rückblende lebhaft getanzt von Ana Torrequebrada, an ihre Kindheit. Wie sie als Waise bei ihrer Tante landet, von deren Kindern drangsaliert wird. Bis ein zwielichtiger Pfarrer (Matias Oberlin) sie ins Lowood-Internat verfrachtet.
Ballett Hamburg: „Jane Eyre“ mitunter hart an der Grenze zum Kitsch
Torrequebrada zeigt ein junges Mädchen, das sich zur Wehr setzt, aufbegehrt mit schnellen Bewegungen. Fließende Arme, gestreckte Beine, Hebefiguren, aber auch rasante Bodenarbeit sind zu sehen. Die Szene bietet eines der wenigen Gruppentableaus für das Corps de Ballet. Synchron formieren sich die Tänzerinnen mit ihren Schultischen. Dazu donnert die Musik, die Philip Feeney zum Teil komponiert, zum Teil auf Basis von Musiken von Fanny Hensel, Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Schubert arrangiert hat. Cineastisch wiegt sie beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Nathan Brock auf und ab mit teils dramatischen Piano-Akkorden.
Das ist mitunter hart an der Grenze zum Kitsch, unterstreicht aber die Drastik der Ereignisse. Tänzerisch ist es bis hierher insgesamt ein allzu großes Fließen und Ineinandergleiten der Bewegungen. Marston entwickelt die Figuren von innen heraus, variiert eher in Nuancen. Das verlangt genaues Hinschauen. Ein paar Brüche im Ablauf hätten da dennoch gutgetan.
Cathy Marston geht es sehr stark um Selbstfindung und -behauptung einer Frau
Dann aber wird es interessant. Jane Eyre, nun wiederum getanzt von Ida Praetorius, tritt ihre Stelle als Gouvernante beim zwielichtigen Edward Rochester auf Thornfield an. Schwungvoll erscheint der von Karen Azatyan mit viel Geheimnis und Verführungskraft ausgestattete Hausherr. Als wäre er soeben vom Pferd gesprungen, landet er matt in seinem Sessel – einer der wenigen Requisiten der Inszenierung. Auch er tanzt in einer grandiosen Szene mit den in Grau gewandeten D-Men – die auch hier wieder gesellschaftliche Zwänge verkörpern.
Obwohl es bei Cathy Marston sehr stark um die Selbstfindung und -behauptung einer Frau – und um eine große Liebe – geht, zählen die Szenen mit der grau gewandeten elfköpfigen Tänzergruppe um unter anderem Louis Musin, Artem Prokopchuk und Lizhong Wang zu den sehenswertesten des Abends. Wie sie sich aufeinander stürzen, springen, fallen, mit Slide- und Monkey-Figuren am Boden wieder in den Stand kommen und weiterjagen, das ist furiose athletische Tanzkunst, die aufs Eleganteste Ballettfiguren und zeitgenössischen Tanz in sich vereint.
Beim möglichen Liebesglück steht leider einiges im Weg
Edward Rochester nimmt die von seiner Haushälterin Mrs. Fairfax (Silvia Azzoni), präsentierte neue Gouvernante seines Mündels Adèle (Lormaigne Bockmühl) erst gar nicht wahr. Doch bald ändert sich dies. Mit ausgetrecktem Bein sucht er den Dialog. Großartig, wie sich die Tanzenden in gegenseitigem Respekt umkreisen, wieder entfernen, die Anziehung schließlich erwacht und, als Jane Eyre Rochester vor einem Brand im Schlafzimmer rettet, in innige Dreh- und Hebefiguren mündet.
Einem möglichen Liebesglück steht da noch einiges im Weg. Das dunkle, meist nur von flackernden Kerzen illuminierte Thornfield-Haus birgt düstere Geheimnisse: Anlässlich einer Gesellschaft scheint die elegante Blanche Ingram (Anna Laudere) die Aufmerksamkeit von Rochester zu fesseln. Das Dienstmädchen Grace Poole (Hayley Page) wirkt verstört – ein ungewisses Zeichen, das nichts Gutes verheißt. Die Blitzheirat Rochesters mit Jane Eyre, wird schließlich von der offenbar seiner dem Wahnsinn ergebenen Bertha Mason unterbrochen. Als im Turm weggesperrte Ehefrau Rochesters kann Ida Stempelmann in einem kraftvoll wirbelnden Auftritt alle Facetten des Außer-sich-Seins glänzend austanzen. Am Ende werden die Liebenden dennoch zueinanderfinden.
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Cathy Marston führt choreografisch mit sicherer Hand durch die lineare Erzählung, in der sich dynamische Szenen und weniger inspirierte Übergänge abwechseln. Manchmal wirkt die Handlung etwas zu stark illustriert, oft aber gelingen mitreißende, erfrischend moderne Momente, die das herausragende Ensemble des Hamburg Balletts in großartigen Tanz übersetzt. Sehenswert.
„Jane Eyre“ weitere Vorstellungen 5.12., 6.12., 8.12., 9.12., 10.2., 15.2., 17.2., 6.7., jew. 19.30 Uhr, Hamburgische Staatsoper, Dammtorstraße 28, Karten unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de