Hamburg. Die Priesterin der Selbstliebe brachte 6000 Fans in Wallung. Die wollten vor allem sehen, wie sie ein bestimmtes Körperteil einsetzte.
Die Frau hat Hits, keine Frage. Zeitgenössischer, typischer für den tanzbaren kommerziellen Pop als „2 Be Loved (Am I Ready)“ sind derzeit wenige Songs. Lizzo spielte ihn am Montagabend in der Barclays Arena gleich als zweites nach „The Sign“, und sie hatte die Leute dann schon da, wo sie sie haben wollte.
Barclays Arena: Lizzo riss das Publikum sofort mit
Die Schwingungen, die diese Frau aussendet, pusten alle Widerstände gegen das persönliche Wohlbefinden mit Hingabe weg. Wer immer auch der „Motherfucker“ ist, den sie mit Hüftschwung („I been training,/I can flex that ass/So when I shake it,/I can shake it fast”) in “The Sign” adressierte, einen bestimmten Kerl oder einfach alle: Sie hat die Power und den Glauben an sich selbst. Das ist eine Haltung, die übertragbar ist. Die Leute in Hamburg riss Lizzo jedenfalls ohne Warmmachphase mit.
Wobei die Selbstbefragung von „2 Be Loved“ (Am I Ready)“ tatsächlich die Reihenfolge vorgibt. Erst komme ich, erst muss ich mich gut mit mir selbst fühlen, dann kommt der andere ins Spiel.
Nach den ersten beiden Songs holte Lizzo sich die Liebe des Publikums ab, starrte regungslos in die Reihen. Die tobten. Lizzo trug ein rosafarbenes Glitzerdress. Sie war ganz und gar nicht allein. Keyboarderin, Gitarristin, Drummerin, Backgroundsängerinnen und DJane, alle mit dabei und einmal auch Cardi B, die auf der Leinwand ihren Part bei "Rumors" rappte.
Lizzo offenbarte demonstrativ den Stolz auf ihren Körper
Und später auf der Videoleinwand: die nackte Lizzo, schwarzweiß ästhetisiert. „My body is nobody's business", rappte sie noch später, dazu stretchten big girls auf der Leinwand ihre Körper. Demonstrativer Stolz auf den Body. Die Message war überdeutlich, und sie wurde wieder und wieder frenetisch gefeiert: Lizzo als Leaderin, die uns ans Licht der Selbstermächtigung führt.
Zu spät ist es nie, um ein Superstar zu werden. Auch dafür ist Lizzo, deren bürgerlicher Name Melissa Viviane Jefferson lautet, ein Beispiel. Als sie mit dem dritten Album „Cuz I Love You“ vor vier Jahren ihren Durchbruch im Mainstream feierte, war sie bereits Anfang 30. Und dann in aller Munde, weil sie als erfolgreiche Künstlerin neuer Prägung in Erscheinung trat:
Ein Star für das 21. Jahrhundert, dessen Agenda auf Erbauung und Ermutigung zielt und dabei authentischer nicht sein könnte. Wie keine andere tritt Lizzo für Körperpositivität und Selbstakzeptanz ein.
Auch das Konzert in Hamburg war die Fortsetzung dieses Programms. Auf der Bühne tanzten neben Lizzo, die für ihre Casting-Show „Lizzo’s Watch Out for the Big Grrrls“ einen Emmy bekam, ausschließlich Frauen mit den Maßen von XXL-Models. Alle waren sie sehr gymnastisch.
Lizzo vereinte HipHop, Disco, Soul und Pop in der Barclays Arena
Der Abend war durchgestylt, mit 26 Songs, die Lizzos ertragreiche Mischung aus HipHop, Disco, Soul und Pop spiegeln und überwiegend von den Alben „Cuz I Love You“ und „Special“ stammen. Man konnte nicht anders und musste das gesamte Setting einfach toll finden, in seiner Besonderheit, Gutmenschlichkeit, Unterhaltsamkeit und, ja, auch das: gesellschaftlichen Relevanz. In Amerika halten sie bei Konzerten Schilder mit dem Slogan „Lizzo for President“ hoch. Wahrscheinlich wünschen sich das in der Tat viele, eine Schwarze Präsidentin, die Gleichberechtigung einfordert und für Diversität steht.
Unter den 6000 in der Barclays Arena, die unter dem Vortrag der Amerikanerin vibrierte, waren unzählige Frauen, die schlanker als Lizzo sind, aber sich mit deren Befreiungsakten und Kampagne gegen Bodyshaming identifizieren.
Der Laden brummte wie eine Disco, und die paar Grauhaarigen, die sich unter das junge Lizzovolk mischten, fühlten sich auch unterhalten. Vielleicht eskalierten sie nicht unbedingt ganz so, wenn Lizzo mit ihrem Gesäß wackelte (was sie reichlich tat). Dieser Move, pure Ekstase. Und Lizzos ausgestreckter Mittelfinger an alle Next-Topmodel-Maße.
Lizzo überzeugte mit starker Soul-Stimme
Als die Maxime "My Body is my Choice", auf ihren Oberkörper projiziert wurde, jubelte das ganze Rund. Ja, es hatte etwas von einer Messe. „Everybody tonight is a big girl", peitschte Lizzo mehrere Male ins Publikum. Therapie pflegt sie ihr Programm bisweilen zu nennen, zum Beispiel auch „Jerome", den Song über jemanden, der ihr Herz brach. Auch bei „Break Up Twice" durfte man bewundern, wie stark ihre Soulstimme ist.
Lizzo gab die Animateurin der Selbstliebe. Eine topmodische Animateurin: Vor dem Konzert lief Werbung für ihr Modelabel Yitty, und Lizzo trug dann auch verschiedene Kostüme, Umhänge, Kleider. Diese Frau ist eine Wucht, und sie würde nie behaupten, man müsse subtil sein.
US-Star Lizzo grüßte auf Deutsch eine Oma
Im atemberaubenden „Special", das mit der Parole "I love you/You are beautiful/You can do anything" eingeführt wurde, röhrte sie mit der Kraft der Frau, die Kraft geben will. Später, nach den Schmachtern "Cuz I Love You" und "If You Love Me", verteilte sie Rosen.
Und bei „Coldplay" spielte sie Querflöte. Vorher die Interaktion mit dem Publikum: „Was heißt Grandma auf Deutsch, Oma? ... Oma, ich liebe Dich" - und dann, wo man schon dabei war, ein herzliches "Du hast mich", das Rammstein-Grollen, Lizzo hatte Spaß.
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Der Nummer-eins-Hit „Truth Hurts" läutete das Finale ein. Und dann sprach die Musikerin ihre „Lizzbians", wie die in der LGBT-Szene ungemein populäre Lizzo ihre Anhängerinnen und Anhänger manchmal nennt, Block für Block an. Das nennt man Fan-Pflege, und auch die wirkte: auf eine Art speziell. Wer um die potenzielle Fragilität von Selbstentwürfen weiß, der ist seinen Fans auf ehrlich wirkende Weise zugeneigt.