Hamburg. Am CinemaxX Dammtor gab der Hollywood-Star geduldig Autogramme – und gestand nach der Premiere: Er hat gar nicht mitgeguckt.
Vielleicht waren da tatsächlich noch ein paar Blitzlichter mehr als sonst, mehr Schaulustige, ganz sicher mehr Autogrammjäger als in den vergangenen Tagen am roten Teppich beim Filmfest Hamburg vor dem CinemaxX Dammtor. Nicht ganz unbeteiligt an dem Auftrieb: der dänische Hollywood-Star Mads Mikkelsen („Casino Royale“). Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher – der schon zur Verleihung des Douglas-Sirk-Preises an Sandra Hüller am vergangenen Wochenende gekommen war –, ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit seiner Frau auf dem Weg ins Kino mit Mikkelsen fotografiert zu werden, dem wohl bekanntesten Schauspieler dieser letzten Festival-Ausgabe unter der Leitung des langjährigen Direktors Albert Wiederspiel.
Mads Mikkelsen stellt „King‘s Land“ beim Filmfest Hamburg vor
Mit dem historischen Drama „King‘s Land“, einer dänisch-deutsch-schwedischen Co-Produktion, stand am Donnerstagabend eine Deutschlandpremiere an. Dänemark hat den archaischen Jütland-Western, der im Original „Bastarden“ heißt und schon bei den Filmfestspielen von Venedig für den Goldenen Löwen nominiert war, ins Rennen um den Auslands-Oscar aufgestellt.
Und auch in Hamburg (wo der Film noch den diesjährigen Produzentenpreis gewinnen kann) ergänzte dieses Drama das Genre „Heide-Kino“ um eine wahrlich epische Nord-Variante. 127 Minuten voller ursprünglicher, unwirtlicher Gefilde, Leidenschaften, Trotz, (Natur)Gewalt, Emanzipation, Pathos, komplexer Charaktere. Und Kartoffeln.
Kartoffelanbau? Im Dänemark des 18. Jahrhunderts ein verwegener Plan
Die nämlich will der ehemalige Soldat Ludvig Kahlen (Mikkelsen) in der süddänischen Heide anbauen, sein so verwegener wie im 18. Jahrhundert bestechend moderner Plan zur Besiedelung einer dramatisch schönen, aber rauen Gegend, deren abweisende Natur Kahlens eigenes Wesen spiegelt. Nicht allein die bildgewaltigen Landschaftsaufnahmen und die brennende Heide verlangen zwingend nach der großen Leinwand - die Kamera liebt auch die scharf geschnittenen, lebenszerfurchten Gesichtszüge Mikkelsens. Sie wirken wie eine eigene, schroffe Landschaft, die sich erst an die Gesellschaft anderer Menschen gewöhnen muss.
Ganz gottverlassen immerhin ist das Fleckchen Erde nicht – ein junger Pastor steht dem wortkargen Mann bei seinem Vorhaben zur Seite, außerdem eine vor ihrem brutalen Lehnsherrn geflüchtete junge Frau (herb und stark: Amanda Collin) und ein ebenfalls gänzlich rechtloses Roma-Mädchen, das die junge Schwedin Melina Hagberg mit einer bemerkenswerten Klarheit und Offenheit spielt.
Wer sich allerdings während der Hamburger Filmfest-Premiere von „King‘s Land“ mehr als zwei Stunden im selben Kinosaal wähnte wie Mads Mikkelsen, musste direkt im Anschluss feststellen: Der Star des Abends war zwar pünktlich zum Begrüßungs- und zum Abpann-Applaus im Cinemaxx 1 zugegen. Den Film dazwischen jedoch mochten sich weder Mads Mikkelsen noch sein Kopenhagener Regisseur Nikolaj Arcel oder Drehbuchautor Anders Thomas Jensen ein weiteres Mal anschauen: Er habe während der Vorführung Interviews gegeben, erklärte Mikkelsen gutgelaunt. „Und ich habe den Film schon am Montag, Dienstag und Mittwoch gesehen. Irgendwann ist man selbst von seiner eigenen Arbeit etwas ermüdet“, gestand Arcel im Bühnengespräch mit Filmfest-Moderator und „Tagesschau“-Sprecher Michail Paweletz.
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Ermüdet oder womöglich irgendwann an eine emotionale Grenze gebracht? Tatsächlich sind die grausamen Folterszenen selbst beim einmaligen Schauen (und gelegentlichen Wegschauen) eine Herausforderung. Denn Ludvig Kahlens Gegenspieler – der sadistische Landbesitzer Frederik Schinkel, der seinem Namen für die aristokratische Wirkung ein prätentiöses „De“ voranstellt – kompensiert seine Komplexe durch ein rücksichts- und hemmungsloses Regime.
Nie zuvor habe er einen derart gewalttätigen Film gedreht, erzählte Nikolaj Arcel. Wie gegenwärtig die durch historische Vorbilder inspirierte, aber doch auf einem Roman („Kaptajnen og Ann Barbara“ von Ida Jessen) beruhende Geschichte ist, zeigt sich gerade in der direkten Umgebung des Despoten, dessen Handlanger und Speichellecker ihn erst durch ihr eigenes Zu- oder Nichtstun ermöglichen.
Das Hamburger Filmfest läuft noch bis zum 7. Oktober. Am letzten Festivaltag um 21.30 Uhr wird „King‘s Land“ noch einmal im Studio-Kino gezeigt, dann allerdings ohne dänischen Stargast. Regulärer Kinostart ist voraussichtlich Anfang 2024.