Hamburg. Das Debüt des Über-Pianisten Marc-André Hamelin im Großen Saal der Elbphilharmonie war nicht nur in seinen virtuosen Etappen ein sensationelles Erlebnis.

Ein, zwei Stündchen könnte ich jetzt noch weitermachen, spielend. So in etwa konnte man das Lächeln von Marc-André Hamelin am Ende seines Recital-Debüts im Großen Saal der Elbphilharmonie wohl verstehen.

Andere Pianisten sind am Ende, nachdem sie Beethovens furchterregend schwere „Hammerklaviersonate“ im Konzert hinter sich und überlebt haben, und ebenso nach Ravels „Gaspard de la nuit“. Hamelin aber spielte Ersteres („mal eben“ ist für diese Interpretation nicht ganz untertrieben) zum Warmwerden. Und den Ravel im zweiten Teil, wo ist das Problem, auch noch.

Und zwischendurch gänzlich anders anspruchsvolle Meisterwerke. Und als Zugaben zunächst – Raritätenjuwelier, der er ist – ein reizend launiges Rondo von C.P.E. Bach und danach ein dezent parfümiertes Salon-Nocturne von Fauré. Bedauerlich war allerdings, dass Hamelins Abend trotz seines Rufs als Über-Pianist vor vielen leeren Sitzreihen stattfand.

Marc-André Hamelin stellt in der Elbphilharmonie Geschwindigkeitsrekord auf

Der ziemlich geniale Kunstgriff für diese Beethoven-Sonate: nie die Nerven verlieren und immer wieder das Tempo drosseln, ohne deswegen zu bremsen. Ein Balanceakt, weil schon der erste Satz so sehr nach vorn prescht, dass man als Interpret kaum anders kann, als sich todesmutig von der Motivverarbeitungs-Flut mitreißen zu lassen.

Beethovens „Hammerklaviersonate“ und Ravels „Gaspard de la nuit“ in einem Konzertprogramm, das geht? Das geht. Marc-André Hamelin bewies es eigenhändig in der Elbphilharmonie.
Beethovens „Hammerklaviersonate“ und Ravels „Gaspard de la nuit“ in einem Konzertprogramm, das geht? Das geht. Marc-André Hamelin bewies es eigenhändig in der Elbphilharmonie. © Carsten Peter Schulze | Carsten Peter Schulze

Hamelin jedoch nahm sich oft große Rubato-Freiheiten heraus, legte immer wieder Momente kurzen Nachdenkens ein, mit einem Anschlag, der mit seiner fast spröden Ruppigkeit gut zum revolutionären Gestus dieser Achterbahnfahrt passte. Sein Beethoven wurde dadurch zunächst eher episodisch, blieb aber ungemein spannend. Im langsamen Satz zeichnete Hamelin behutsam die Stimmungslinien, bevor er in der Schlussfuge wahrscheinlich einen neuen Allzeit-Geschwindigkeitsrekord aufstellte. Nicht alles war immer millimetergenau getroffen, doch alles hatte bezwingende Schlüssigkeit und mitunter extreme, klare Ausdruckskraft.

Die drei Sätze von Ravels „Gaspard“ sind in sich geschlossene Szenen, Hamelin modellierte sie mit penibler Detailtreue nach: Das verzauberte Flirren in „Ondine“, die leichenbleiche Schauermärchen-Atmosphäre in „Le gibet“ und als Höhepunkt des spieltechnisch Irren die Rasanz in „Scarbo“.

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Diese Seite Hamelins war erwartbar – eine andere war hinreißend behutsam und sensibel. Mit Schumanns „Waldszenen“, neun romantischen Vignetten, zerbrechlich und scheu, bewies der Kanadier, dass er auch aus sehr viel weniger Noten kleine, feine Welten für den Moment erschaffen kann. Hamelin spielt nicht nur schneller als fast alle anderen. Er hat auch zwei Händchen und ein riesiges Herz für Eigenwilliges.

Aktuelle CDs: C.P.E. Bach „Sonaten & Rondos“ (hyperion, 2 CDs, ca. 25 Euro). Fauré „Nocturnes & Barcaroles“ (hyperion, 2 CDs, ca. 20 Euro)