Elton John tritt endlich in der Barclays Arena auf – und verbreitet neben Kiezmärchen jede Menge Wehmut. Am Ende sogar im Bademantel.
- Elton John gibt das erste von drei Abschiedskonzerten in Hamburg
- Fans mussten nach drei coronabedingten Verlegungen lange warten
- Seine unvergleichliche Stimme und die Ausstrahlung sind immer noch da
Hamburg. Es gibt nicht viel, was man von Rotlichtgestalt Karl Heinz Schwensen lernen könnte oder sollte. Aber Tag und Nacht Sonnenbrille zu tragen ist keine schlechte Idee, vor allem bei Konzerten von Elton John – angeblich ein Kumpel von Schwensen nach einer Aftershow in den 80er-Jahren im Top Ten Club auf der Reeperbahn. Aber vielleicht ist das auch nur wieder ein Kiezmärchen.
Jedenfalls flimmern einem noch 15 Jahre nach Elton Johns „The Red Piano Show“ in der Hamburger Barclays Arena die Augen nach all den Licht- und Glitzergewittern, die sich 2008 auf dem Hochglanz-Bühnenboden zwischen Klavier, Band und aufblasbaren Bananenpimmeln spiegelten.
Also heißt es am Dienstag (sowie am Donnerstag und Freitag): Gefühlte Sonnenbrille auf – und ab in die Barclays Arena. Sir Elton John ist in der Stadt, endlich. Nach drei pandemiebedingten Verlegungen möchte der britische Popgigant ein weiteres erfolgreiches Kapitel auch in der Hansestadt abschließen.
Elton John schafft unfassbaren Weltrekord – auch dank Hamburg
Seit September 2018 sind er und seine in 50 Jahren treuen Begleiter Davey Johnstone (Gitarre), Nigel Olsson (Schlagzeug) und Ray Cooper (Percussion) sowie weitere Musiker auf „Farewell Yellow Brick Road“-Tour. Die finale Konzertreise, das letzte Hurra.
Und dieser letzte Weg, benannt nach dem vor 50 Jahren erschienenen Album „Goodbye Yellow Brick Road“, das sich mehr als 30 Millionen Mal verkaufte, ist nicht mit gelben Ziegeln, sondern mit Scheinen gepflastert. Bis Januar 2023 wurden mit der Tournee bei bis dahin 280 Konzerten über 800 Millionen US-Dollar eingespielt – bei noch 50 weiteren ausstehenden Terminen. Ein unfassbarer Weltrekord.
Die Produktionskosten waren schon einmal höher
Klar, wer die Abschiedskonzerte Nummer 297, 298 und 299 in Hamburg besucht, hat sich nicht lumpen lassen: 70 Euro für einen sichtbehinderten Sitzplatz an den Bühnenseiten bis 782 Euro für den Aufenthalt im „Golden Circle“ wurden aufgerufen, für Donnerstag und Freitag (obacht, da spielt der HSV nebenan im Volksparkstadion) gibt es noch Restkarten.
Dabei sind die Produktionskosten, das zeigt schon der Blick auf die sich elegant zu einem Video-Rechteck aufschwingende Bühnenkonstruktion, sicher nicht so hoch wie bei der „The Red Piano“-Orgie. Aber bei diesem Adieu sollen Elton John, die Band und die Musik im Mittelpunkt stehen und sitzen.
Elton John turnt nicht mehr, bleibt aber stilsicher
Der Empfang ist ohrenbetäubend beim Auftakt mit „Bennie And The Jets“ und „Philadelphia Freedom“. Alles steht auf. Sir Elton Hercules John, CH, CBE ist jetzt 76 Jahre alt und nach einer Hüftoperation nicht mehr in der Lage, auf seinem Klavier zu turnen wie 1975 im Dodgers Stadium in Los Angeles.
Aber die unvergleichliche Stimme und die Ausstrahlung sind immer noch da – „I Guess That’s Why They Call It The Blues.“ Und natürlich die einzigartigen Outfits. Schwarzer Glitzerfrack, rote Brillibrille, kann er tragen.
Elton John tischt ein Kiezmärchen auf – oder nicht?
„Danke, dass ihr so geduldig wart“, bedankt sich Elton bei seinen Fans und erzählt, dass er bereits in den 60ern „mit 17 im Top Ten auf der Reeperbahn“ gespielt habe. Noch so ein Kiezmärchen? So manches, was aus seiner Karriere belegt und bezeugt ist, ist so unglaublich, dass man alles für möglich hält.
„Tiny Dancer“ sorgt für den ersten Chor aus 12.000 Fans, nicht wenige sind sichtlich ergriffen. Auch dem Autor dieser Zeilen kommt kurz was ins Auge. Sekunde, bitte… danke.
Wo sind der Partner und die beiden Ziehsöhne?
Herrje, ist das jetzt Nostalgie oder Abschiedsschmerz? Wo mag wohl Eltons Gang gerade stecken? Wegbereiter wie Bernie Taupin, der von 1967 an fast alle seine Songs schrieb und ohne den Sir Elton wohl der Kneipenpianist Reginald Kenneth Dwight geblieben wäre. Superstar Dua Lipa, mit der Elton John 2021 den Welthit „Cold Heart“ feierte.
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Sein Liebster und eingetragener Partner David Furnish und ihre gemeinsamen Ziehsöhne Elijah und Zachary. Sie waren alle persönlich dabei, als Elton John im November 2022 im Dodgers Stadium Abschied von Amerika nahm – drei Abende vor jeweils 50.000 Fans. Wahnsinn.
Fans nehmen Songs auf wie Manna, das vom Himmel fällt
Aber auch wenn es in Hamburg alles eine Nummer kleiner ist, ist es um Elton John nicht so einsam wie im ewigen, live auf zehn Minuten gestreckten Klassiker „Rocket Man“. 12.000 Herzen und Seelen gehören ganz ihm, als er sich bei einem kurzen Spaziergang von der linken zur rechten Bühnenseite müht und winkt.
Seine Lieder, „Someone Saved My Life Tonight“, „Candle In The Wind” (natürlich in der Originalversion von 1973 für die Monroe, die Lady-Di-Version spielte er nur ein einziges Mal in seinem Leben), „Sad Songs (Say Do Much)“ und „Sorry Seems To Be The Hardest Word“ werden vom Saal aufgenommen wie Manna, das vom Himmel fällt.
Teilweise harscher Sound in der Barclays Arena
Bei „Funeral For A Friend“ dreht Elton, jetzt im hellen Strassjacket, mit dem Flügel eine Runde durch lange nicht in der Arena gesehenen Kunstnebel. Mehr träumerischer Zauber geht eigentlich kaum in einer Multifunktionsarena, auch wenn der Sound in einigen Bereichen sehr harsch ausgesteuert ist.
Es wäre keine Überraschung, würde der schmerzlich vermisste George Michael für das Duett „Don’t Let The Sun Go Down On Me“ auferstehen. Es geht auf das Ende des Abends zu, aber noch ist Elton John da. „The Bitch Is Back“, „I’m Still Standing“.
Erinnerungen an Elton Johns Konzert in der Laeiszhalle
1972 gab er sein erstes großes Hamburger Konzert in der Musikhalle, der heutigen Laeiszhalle, und man kann ihn sich kaum noch vorstellen zwischen neobarockem Stuck, Blattgold, Erkern und Orgel. Hat das Gemäuer damals auch so getobt wie jetzt die Barclays Arena bei „Crocodile Rock“ und „Saturday Night’s Alright For Fighting“?
Kurz in das Online-Archiv geschaut: „Elton Johns Musik allerdings war ganz so extravagant nicht. Bis zum Schlussteil des Konzerts klang ein Lied ein wenig so wie das andere. Dann jedoch steigerten sich der Sängerpianist und seine Begleiter in ein furioses Rockfinale. Dem entsprach der Beifall von 1400 Fans“, schrieb das Abendblatt 1972, „bunt wie ein Osterei“.
Elton John singt „Your Song“ im Bademantel
Auch das Finale im Jahr 2023 beginnt – nachdem Konfetti vom Flügel gepustet wurde – furios mit der Zugabe „Cold Heart“, dem Liederpuzzle aus „Sacrifice“, „Rocket Man“, „Kiss The Bride“ und „Where’s The Shoorah?“
Elton John hat sich mittlerweile einen Bademantel umgeworfen, nicht weiß wie seinerzeit Udo Jürgens, sondern pink. „Shoorah, Shoraah“ hallt es durch das Rund. Und dann: „Your Song“. Wie wundervoll das Leben doch ist, solange dieser Mensch auf der Welt ist und dieses Lied singt. Sekunde, bitte … danke.
Ein Lift fährt Elton John durch die Leinwand
Und so geht dieser berührende Konzertabend nach 150 Minuten und einer Dankesrede zu Ende: „Goodbye Yellow Brick Road“. „Ich wünsche euch Liebe, gute Nacht.“ Ein kleiner Lift fährt ihn durch die Leinwand. Und weg ist er.
Ein fantastischer Auftritt, der einen eigentlich richtig beschwingt in die Nacht schicken sollte. Aber im Gegensatz zu vielen anderen, die nach ihren Abschiedstouren wenige Jahre später zurück auf die Bühne kamen, als wäre nichts gewesen (a-ha, Scorpions, Status Quo …), wird es Elton John wohl ernst meinen.
Zumindest ist er sicher nicht bis zur Schädeldecke mit kolumbianischem Scheuerpulver zugedröhnt wie 1977, als er bei einem Auftritt verkündete, es wäre sein letzter. Das war es also. Wehmütig zählt man im Shuttle-Bus wie im Text von „Tiny Dancer“ die entgegenkommenden Frontscheinwerfer. „Piano man, he makes his stand, in the auditorium“. Vielen Dank, Sir Elton John. Wir halten dich ganz doll fest, kleiner Tänzer.