Hamburg. Mit ihrem Mix aus Leidenschaft und Präzision generieren die Belceas ein hohes Level an Intensität. Besonders Beethoven liegt ihnen.
Man wolle die „führenden Kammermusikvereinigungen des In- und Auslandes“ einladen, um „kammermusikalische Spitzenleistungen“ nach Hamburg zu bringen. So haben es sich die Gründerväter der Hamburgischen Vereinigung von Freunden der Kammermusik ins Stammbuch geschrieben. Damals, im September 1922.
Hunderteinhalb Jahre später ist klar: Nur wenige Ensembles lösen diesen Weltklasse-Anspruch so zuverlässig ein wie das Belcea Quartet, das am Wochenende für drei Konzerte im Kleinen Saal der Laeiszhalle zu Gast war. Dass alle vier Mitglieder die Feinmechanik des Zusammenspiels beherrschen und die Partituren aus dem Effeff kennen, gehört bei Streichquartetten dieser Güteklasse ja zum Standard.
Aber das Belcea Quartet hat eben noch mehr zu bieten. Einen unbedingten Willen zum Ausdruck. Den lebendigen, in vielen Blickwechseln spürbaren Austausch untereinander. Und ein Energieniveau von 120 Prozent. Mindestens.
Laeiszhalle: Wie das Belcea Quartet für Glücks- und Schockmomente sorgt
Mit ihrem Mix aus Leidenschaft und Präzision generieren die Belceas ein Level an Intensität, das sie nie unterschreiten. Auch dann nicht, wenn sie, wie jetzt in Hamburg, mit einem exzellenten Ersatzmann an der zweiten Geige antreten. Sie finden einen gemeinsamen Klang und ergründen Nuancen, die der Notentext weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick hergibt.
Sondern erst dann, wenn man ihn zigfach unter die Lupe genommen und mit einer reichen Musik- und Lebenserfahrung beleuchtet hat. In einer schlichten Melodie aus Schuberts Es-Dur-Quartett spielt die erste Geigerin Corina Belcea einen Ton ein kleines bisschen länger und so überirdisch schön, dass plötzlich eine Tür aufzugehen scheint. Das eröffnet den Blick auf eine Welt, von der ein paar Takte vorher noch nichts zu ahnen war.
Eine ganz andere Überraschung lauert im Scherzo aus Beethovens erstem Rasumowsky-Quartett: da hält der Cellist kurz in der Bewegung inne, als wäre für eine Millisekunde nicht klar, ob es weitergeht. Ein herrlicher Schreckmoment. Das sind so Details, in denen das Belcea Quartet seine eigene Sicht auf die Werke offenbart und für Glücks- und Schockmomente sorgt.
Dabei wirken die Ideen und Interpretationen nie manieriert; sie stehen ganz im Dienst der Musik. Im Scherzo, in dessen stampfenden Staccati Beethoven eine unbändige Kraft entfaltet, scheinen die Instrumente und Bögen fast durchzubrechen. Im anschließenden Adagio berücken die Streicher dagegen mit ihrem innigen Gesang. Wunderbar zart und verletzlich.
Zarte Vierteltonreibungen und langsam sinkende Glissandi
Ja, Beethoven liegt den Belceas ganz besonders. Das wissen wir spätestens seit ihrem denkwürdigen Gesamtzyklus seiner Quartette vor gut zehn Jahren, auch im Kleinen Saal der Laeiszhalle. Aber es wäre Unsinn, sie deshalb als Spezialisten labeln zu wollen.
Wie es Künstlerinnen und Künstler von diesem Format auszeichnet, sind auch die Mitglieder des europäisch besetzten Belcea Quartet in verschiedenen Stilen und Sprachen zu Hause. Das Programm ihrer drei Konzerte umspannt eine Bandbreite von Haydn über Schostakowitsch bis zur zeitgenössischen Musik und legt einen besonderen Schwerpunkt auf das französische Repertoire.
Etwa mit der Hamburg-Premiere des Stücks „Les instants retrouvés“, ein Auftragswerk von Guillaume Connesson. Der Komponist bereichert seine Harmonien mit zarten Vierteltonreibungen und langsam sinkenden Glissandi, er inszeniert virtuos vertrackte Grooves – und er bekennt sich zur französischen Tradition, indem er impressionistische Farben aufschimmern lässt.
Die Bögen scheinen auf den Saiten zu wispern, zu hauchen und zu säuseln
Die malt das Belcea Quartet am zweiten Abend im Original. In einer Aufführung des Streichquartetts von Debussy, in der die Bögen auf den Saiten zu wispern, zu hauchen und zu säuseln scheinen. Mit einer reichen Palette an Klangschattierungen und dynamischen Feinstabstufungen. Hinreißend.
Das hätte der Höhepunkt sein können. Wäre da nicht auch noch eine packende Begegnung mit Haydns op. 20,2 gewesen, die eine ideale Balance aus Melancholie und spritzigen Pointen findet. Und wäre einem danach nicht die emotionale Wucht des achten Quartetts von Schostakowitsch in die Glieder gefahren. Ein beklemmend aktuelles Stück aus dem Jahr 1960, gewidmet den Opfern des Faschismus und des Krieges.
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Wie brachial die Belceas die Akkordschläge in die Saiten meißeln, als Chiffre für Brutalität und Gewalt, wie sie den Grundton von Schmerz und Klage durchdringen und zwischendrin doch eine Art Hoffnungsidyll andeuten: das brennt sich in die Seele. Schwer vorstellbar, dass irgendwo auf der Welt Menschen aufwühlender zusammen Musik machen als hier.
Diese bedingungslose Hingabe zeichnet das Belcea Quartet aus. Auch in der abschließenden Matinee am Sonntag, mit dem famosen Pianisten Bertrand Chamayou als Partner. Im Klavierquintett von Schostakowitsch tauchen die Interpreten noch einmal tief in die Seelendüsternis des Komponisten ein – geradezu bizarr kontrastiert mit Gesten von aufgesetzter Heiterkeit. Die Rhythmen rattern mechanisch. Der Frohsinn ist Fake. Echt sind nur die Schwere und die Töne der Trauer. Sie berühren etwas tief in uns drinnen, dort, wo vielleicht nur Musik hinkommt.
Laeiszhalle: Auch in Momenten der Ekstase bleibt der Klang stets transparent
Mit dem Klavierquintett von César Franck kehrt das Programm schließlich zum Frankreich-Schwerpunkt zurück. Streicher-Unisoni und rauschende Klavierkaskaden vereinen sich in spätromantischer Glut, sprengen mitunter fast die Akustik im Kleinen Saal. Und doch bleibt der Klang auch in der Ekstase transparent. Unfassbar, wie man so konzentriert und dicht musizieren kann ohne nachzulassen.
Auch wenn den Konzerten ein paar mehr Besucherinnen und Besucher zu wünschen gewesen wären: Ein unvergessliches, angemessen umjubeltes Wochenende mit dem Belcea Quartet, das die Kammermusikfreunde sich als Beleg für ihr gehaltenes Versprechen einrahmen können.