Hamburg. Draußen Fans auf Kartensuche, drinnen drangvolle Enge: The Notwist gaben ein starkes Konzert in der restlos ausverkauften Fabrik.

Es ist alles fast so wie früher. Vor der Altonaer Fabrik drängt sich eine Menschenmenge, hoffnungsfroh wehen „Suche Karte!“-Schilder im Wind. Und in der Fabrik spielen The Notwist, jene oberbayrische Band, die in den Nullerjahren als die Zukunft des Indierock gehandelt wurde und sich seither immer weiter in einen ganz eigenen Soundkosmos verspinnt. Dicht an dicht steht man in der engen Halle, wer es nicht bis ganz nach vorn geschafft hat, sieht kaum etwas, wie schon oft, als The Notwist in der Fabrik spielten. Alles so wie früher.

Aber dann eben doch nicht alles. Der Sound nämlich: Der versuppte früher bei The Notwist gerne mal in der Vielzahl der Instrumente, im Durcheinander aus Gitarre und Percussion und Samples. Heute aber: glasklar! Man hört jeden Beat, jeden sanft angeschlagenen Akkord, auch der Gesang von Markus Acher, ohnehin nicht gerade eine klassische Frontmann-Stimme, bleibt präsent, und wenn sie zwischendurch verschwindet, in Gitarrendrones und zerhackten Rhythmen, dann nicht, weil der Mischer schlecht arbeitet, sondern weil dieses Verschwinden an genau dieser Stelle gewollt ist.

Fabrik: Melodien verschwinden, Songstrukturen lösen sich auf

Dass Melodien verschwinden, dass die Songstrukturen sich auflösen, ist das Grundprinzip dieses Konzerts. The No­twist, deren jüngstes Album „Vertigo Days“ auch schon wieder zwei Jahre alt ist, haben sich freigeschwommen von den Rockkonventionen früher Jahre, was nicht heißen soll, dass ihre Musik gar nichts mehr mit Rock zu tun hätte. Der ist weiter da, er versteckt sich nur, in den treibenden Samples von „Ship“, in den Improvisationspassagen von „Where You Find Me“, im Funkbass von „Into The Ice Age“. Und plötzlich hört man dann doch noch den Hardcore Punk, mit dem die Band 1990 anfing, mit dem frühen Song „Agenda“. Rasendes Schlagzeug, sägende Gitarren. Und Achers murmelnde Stimme, na gut.

Ansonsten: Dub, Krautrock, immer mehr Jazz. Die Songdramaturgidieses Konzerts ist total inkonsistent, aber sobald man verstanden hat, dass das womöglich gar nicht das Problem einer Band ist, die irgendwie zuviel kann, sondern Konzept, ergibt alles Sinn. Weil die Songs von The Notwist so die Möglichkeit haben, in jede denkbare Richtung zu mäandern, Stimmungen zu erzeugen, die jenseits der Melancholie von Hits wie „Pick Up The Phone“ oder „Pilot“ liegen.

Fabrik: Martin Gretschmann ist nicht mehr dabei

Martin Gretschmann, der der Band einst die Welt der Elektronik erschloss, ist seit 2014 nicht mehr dabei, für ihn spielt mittlerweile Multiinstrumentalist Cico Beck. „Chemicals“, ihren ersten echten Hit, geprägt von Gretschmanns Samples, spielt die Band nicht. Dafür „Venn Diagramm“, eigenartig verzögerten Kunst-Reggae, gemeinsam mit dem Support Act Elijah Minnelli, und natürlich funktioniert das auch. Alles wie früher? Naja, fast.