Hamburg. Die Hamburgerin Jarka Kubsova begibt sich in ihrem Roman „Marschlande“, der Jahrhunderte verbindet, auf eine packende Spurensuche.
Was hat eine aktuelle norddeutsche Frauengeschichte gemein mit dem Schicksal einer historischen Figur, die vor fast 500 Jahren als Hexe denunziert wurde? Dieser Frage spürt die Hamburger Autorin Jarka Kubsova in ihrem Roman „Marschlande‟ nach. Kunstvoll, nahbar und packend verknüpft sie die Wege ihrer sehr gegenwärtigen Protagonistin Britta Stoever und der Bäuerin Abelke Bleken, die um 1580 vor den Toren der Stadt gelebt hat.
Neuer Roman: Bewegende Frauengeschichte aus den Vier- und Marschlanden
Britta zieht mit Mann und Kindern von Hamburg in die Marschlandschaft, genauer gesagt in einen kühlen Designbau, der im krassen Gegensatz steht zu den alten Katen der Deichregion. Was als vermeintlicher Traum des Elternpaares begann, entpuppt sich bald als Sinnbild einer festgefahrenen und toxischen Beziehung. Doch nach und nach erkundet Britta die neue Umgebung, stößt dabei auf den Namen Abelke Bleken und ist zunehmend fasziniert von dieser charakterstarken Frau.
Im Gegenschnitt schildert Kubsova den harten Alltag in den Vier- und Marschlande vor einem halben Jahrtausend. Inspiriert von dokumentierten Tatsachen: Abelke Bleken besaß einen rund neun Hektar großen Hof in Ochsenwerder, der ausschließlich auf ihren Namen eingetragen war. 1570 wurde ihr Grundstück jedoch durch die Allerheiligenflut heftig beschädigt. Als Eignerin wäre es damals ihre Pflicht gewesen, den bei ihr gebrochenen Deich instand zu setzen. Doch da sie alleine dazu nicht in der Lage war, wurde sie enteignet und somit in die Armut getrieben. 1583 verbrannte man sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen, mithilfe einer erzwungenen gerichtlichen Aussage. Sie ist die einzige Frau in Hamburg, von der eine sogenannte Urgicht aus einem Hexenprozess existiert.
„Marschlande“: Romanfigur erinnert an Hamburger Sozialhistorikerin
Persönlichkeiten wie Abelke Bleken wird heute im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof gedacht. „Frauen, die nicht der patriarchalen Norm entsprechen, die sich anders benehmen und dazu noch erfolgreich sind, wurden und werden häufig mundtot gemacht‟, erklärt die Hamburger Sozialhistorikerin Rita Bake, die den Gedenkort vor 22 Jahren gegründet hat. Und die nun, während einer Exkursion zu „Marschlande‟, an dem Stein aus schwarzem Basalt steht, der an Abelke Bleken erinnert. Inmitten von sattem Grün etwas abseits des Hauptwegs.
„Ich bin so dankbar für die Arbeit von Rita Bake, die so viele Frauenfiguren erforscht und sichtbar gemacht hat‟, sagt Kubsova. Die Begeisterung der Autorin ging so weit, dass sie eine ihrer Romanfiguren anhand von Rita Bake entwickelt hat. In dem Buch schildert Kubsova einen Besuch bei der fiktiven Sozialhistorikerin Ruth Grotjahn, der ihre Heldin Britta tief beeindruckt: „Es waren der Schmerz, das Unrecht, die Wut, die Verzweiflung, die sie zwischen Ruths spärlichen Abrissen dieser Frauenbiografien spürte. Nie hatte sie das alles selbst erlebt, und trotzdem war es ihr eigenartig vertraut.‟
Neuer Roman „Marschlande“ erzählt von Gewalt gegen Frauen
„Marschlande‟ erzählt somit auch sehr wahrhaftig davon, wie sich der Sexismus durch die Geschichte hinweg in die Gesellschaft eingeschrieben hat. Wie körperliche und psychische Gewalt gegen Frauen systemisch verinnerlicht ist.
Äußerst nuanciert und spannend zu lesen ist es, wie sich die Autorin in das Denken, Fühlen und Handeln der Abelke Bleken hineinversetzt: Die enge Verbundenheit dieser Frau mit Hof, Tieren und Witterung. Die Anfeindungen der männlichen Bauern, die ihr den Besitz und auch das landwirtschaftliche Gespür neiden. Die kippende Stimmung in der dörflichen Gemeinschaft und Abelkes zunehmende Isolation. Und wie Misstrauen und Vorurteile schließlich in Hetze umschlagen.
Hof Eggers in Kirchwerder: Ort schlägt Brücke in die Vergangenheit
Das Tolle an dem Roman sei, erläutert die Hamburger Literaturkritikerin Annemarie Stoltenberg, dass Kubsova ihre Geschichte nicht mit Wissen überfrachte. Obwohl sie offensichtlich sehr gründlich recherchiert hat. „Eine Autorin muss ihr Handwerkszeug verstecken können‟, sagt Stoltenberg und lächelt. Da ist die Buch-Exkursion bereits auf dem traditionsreichen Hof Eggers in Kirchwerder angekommen – bei Kaffee und Kuchen sowie mit idyllischem Blick auf Weiden und denkmalgeschützte Gebäude. Seit 850 Jahren existiert dieses Gut, seit 400 Jahren befindet es sich in Familienbesitz. Ein Ort, der eine Brücke schlägt in die Vergangenheit. An dem es sich tief eintauchen lässt in das bäuerliche Schaffen der Region. Und in dem der Schauplatz von „Marschlande‟ spürbar wird.
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Für die Recherche zu ihrem Roman ist Kubsova viel in „Hamburgs Hausgarten‟ im Südosten unterwegs gewesen. Dabei habe sie beides erlebt: dass die Menschen sehr aufeinander achtgeben, dass Unbekannte aber auch verstärkt beobachtet werden. „Ich hatte zwischendurch schon Angst, dass ich wegen Spazierengehens verhaftet werde, als ich frühmorgens über die Dörfer und Felder gestreift bin‟, sagt die Autorin lachend.
In ihrem Buch verweist Kubsova auch darauf, dass viele, die aus der Stadt aufs Land ziehen, erst einmal einen Kulturschock erleben. „Ich verstehe die Figur der Britta durchaus ein Stück weit als mein Alter Ego‟, sagt die Autorin. Doch so gerne sie auch raus ins Grüne fahre, leben möchte sie doch lieber mitten in Hamburg. „Ich bin ein Kind des Karoviertels‟, erzählt Kubsova, die 1977 in Tschechien geboren wurde und seit 1987 in Deutschland lebt.
Neuer Roman „Marschlande‟ beschreibt die Mehrbelastung der Frau früher und heute
Doch ob nun Metropole oder Provinz: Mit „Marschlande‟ beschreibt Jarka Kubsova auch die Mehrfachbelastung und sogenannte Mental Load, die viele Frauen und vor allem Mütter heute bewerkstelligen müssen. Sie plädiert für Selbstbestimmung, zeigt aber ebenfalls auf, wie sehr der Feminismus immer wieder ins Stocken gerät.
Am Ende des Romans blickt Britta beim Spazieren in ein Haus hinein und sieht eine gehetzt und müde wirkende Frau, die alles akkurat vorbereitet, bevor ihr Mann abends nach Hause kommt. Ein Spiegel ihrer eigenen Geschichte. „Dann begann sie, das Essen zu kochen, sie bewegte sich vorsichtig und leise, um das Kind nicht zu wecken, und manchmal lauschte sie in die Stille hinein.‟
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