Hamburg. Mit Waagenbau, Fundbureau, Astra Stube und PAL verabschieden sich am 1. Januar angesagte Feieradressen. Ein Nachruf auf eine Ära.
Zuckende Strobo-Blitze. Bässe, die Bäuche massieren. Hände, die Muster in die Luft zeichnen. Zu dritt aufs Klo. Kommen, wenn es dunkel ist und gehen, wenn die Sonne scheint: Unzählige Nächte lang war das Alltag im Waagenbau, im Fundbureau und in der Beat Boutique unter der Sternbrücke an der Max-Brauer-Allee, Ecke Stresemannstraße. Nebenan in der Astra Stube und in der Bar 227 spielten derweil Indie-, Underground- und Nachwuchsbands auf winzigen, aber beliebten Bühnen. Und wer gern fast nackt tanzt, tat das im bröckelnden Charme des Sterngartens.
Am 1. Januar 2024 ist damit Schluss. Alle Clubs unter der Sternbrücke schließen, damit der Neubau der altersschwachen Sternbrücke beginnen kann. Nur die Bar 227 bekommt eine längere perspektive dort bis mindestens Mitte 2025. Das war lange absehbar, bereits 2009 wurden den Sternbrücken-Clubs, bildlich verewigt auf dem Jan-Delay-Album „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“, zum ersten Mal die Mietverträge gekündigt. Aber das Gezerre um Sanierung oder Neubau der Brücke zog sich jahrelang weiter hin und verlängerte die Gnadenfristen.
Clubs in Hamburg: Als Erstes musste der Central Park unter der Sternbrücke weichen
Eine halbe Ewigkeit unter dem Damoklesschwert Brückensanierung ist vergangen. Der Waagenbau zum Beispiel, 2003 eröffnet, hat sich in der Zeit von einem Club für Elektro, Drum‘n‘Bass, Reggae und Livekonzerte zum reinen Raverclub gewandelt. Geschäftsführerin Claudia Mohr, die den Waagenbau 2016 übernahm, hat seinerzeit viel Geld in Umbau und Technik gestreckt, obwohl klar war, dass das Ende mehr oder weniger bevorstand. Feiern, als wäre es das letzte Mal, war seitdem der Anspruch, und er wurde gehalten.
Als Erstes verschwand 2022 nach 18 Jahren der City-Beach-Club Central Park unweit des Waagenbaus. Trotzdem war der Schock in der Szene groß, als die Sternbrücken-Clubs in den vergangenen Tagen ihre finalen Programme bekannt gaben. Am 31. Dezember steigen im Waagenbau nach 20 Jahren und im Fundbureau nach 26 Jahren die letzten Raves. Die Astra Stube sorgt mit Konzerten von Fluppe (6. und 7. Dezember), Abramowicz (16. Dezember), Pohlmann (20. Dezember), Herrenmagazin (30. Dezember) und weiteren Lieblingsbands für fantastische Abrisse. Schön wird die Zeit gewesen sein.
Hamburger Techno-Club PAL unter dem Fernsehturm schließt
Völlig überraschend kam allerdings die Mitteilung, dass auch das PAL am 1. Januar nach neun Jahren die Pforten unter dem Fernsehturm schließt, weil man an der jetzigen Adresse an der Karolinenstraße nicht länger die eigene Vorstellung eines „idealen Clubs“ verwirklichen könne. Szene-Insider vermuten gestiegene Mietkosten. Dabei war das PAL neben dem Südpol einer der wenigen Techno-Clubs in Hamburg, der ein wenig Berlin-Gefühl vermittelte: lange Schlangen um 3 Uhr morgens, gute DJ-Bookings, strenge Tür, dahinter erhitzte Mobs auf mehreren Floors.
Klar, Hamburg war und ist nicht Berlin. Gerade im Techno-Metier war das Angebot hier übersichtlich. Aber mit dem (vorläufigen) Verlust von Waagenbau, Fundbureau und PAL bleibt nicht mehr viel übrig: Südpol, Juice, Golden Pudel Club und an passenden Abenden Uebel & Gefährlich, MS „Stubnitz“, Edelfettwerk, Hafenklang, DOT, Frau Holle und Gängeviertel. Nicht viel für eine Millionenmetropole. Aber vielleicht doch genug für die Partykultur post Corona. Mit den Nachwirkungen hat sogar Berlin zu kämpfen.
Sternbrücken-Clubs in Hamburg: Alternative Standorte sind in Planung
Alle schließenden Clubs suchen nach alternativen Standorten und Zwischenlösungen. Ein Neubau an der Sternbrücke soll die neue Heimat für einige der Clubs werden, aber Planungen und Bauarbeiten stocken seit vielen Monaten. Das Fundbureau zieht mit Glück im ersten Quartal 2024 in die Kasematten der Deichtorhallen, wie die „Hamburger Morgenpost“ berichtete. Andere finden wohl ein Zwischendomizil in Altona, die Planungen laufen noch, sollen aber kurz vor Abschluss stehen. Die Betreibenden halten sich bislang bedeckt. Das PAL schaut sich noch um.
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Dennoch endet am 1. Januar eine Ära. Das goldene, etwas nach Urin stinkende Party-Dreieck unter der Sternbrücke war zwei Jahrzehnte sowohl Hotspot als auch beliebte Alternative zum Saufi-Halligalli auf der Reeperbahn. Bald ist es ebenso Geschichte wie Unit, Palladium, Voilà, Front, Opera House, Tempelhof und Pleasure Dome, Hamburgs Top-Clubs der 90er-Jahre. Wie Click, Echochamber, Phonodrome und Weltbühne im ehemaligen C&A-Gebäude am Nobistor, das 2006 dem Ausbau der Endo-Klinik weichen musste. Wie der alternativ-progressive Moloch im Oberhafenquartier, dem 2019 die heranrückende Wohnbebauung in der HafenCity ein Ende setzte.
Sternbrücken-Clubs: Ein Umzug ist nicht nur finanziell ein Wagnis
Neue Heimaten zu finden ist schwierig. Die Kosten für Lärmschutz, Brandschutz und weitere Auflagen, Aus- und Umbau, Technik und Personal sind immens, gerade in diesen Zeiten. Auch das Partyvolk muss auf den Geldbeutel schauen. Betreiber, Publikum, Politik und Gesellschaft sind insgesamt gefragt. Die Toleranz der Einwohner in der immer stärker verdichteten und gentrifizierten Stadt für Partykrach sinkt. In den Industriegebieten und brachen Arealen geht vielleicht was. Aber Clubs, die in der Peripherie wie der Südpol am Billekanal liegen, müssen sich richtig reinhängen, um Feierfreudige aus ihrem gewohnten Umfeld auf St. Pauli und in der Schanze nach Hammerbrooklyn zu locken.
Und dauert ein Umzug oder eine Zwischenlösung zu lange, gehen die Stammgäste verloren und die nächste Generation hat sich längst woanders eingerichtet. Das Hafenklang, 2007 von der großen Elbstraße an die Große Bergstraße und dann wieder zurückgezogen, hat das gut überstanden. Der 2013 neu eröffnete Mojo Club an der Reeperbahn 1 aber war nach zehn Jahren Abstinenz in jeder Hinsicht nicht mehr der alte. Man kann nur hoffen, dass die Sternbrücken-Clubs und das PAL wirklich schnell wieder die Abendkasse öffnen können und nicht wie das Molotow in Zwischenlösungen viele Jahre auf einen Neubau warten.
Clubsterben in Hamburg: Das Stichwort begleitet die Szene seit Star-Club-Tagen
„Ständig dieses Hände hoch, macht mal Lärm und am besten dann auch noch alle zusammen in die Knie: Vielleicht sollte man kurz mal den Sinn des Ganzen hinterfragen, bevor sich dann doch wieder alle ausziehen“, heißt es im Deichkind-Song „Keine Party“ (2019). Ist das jetzt der Anspruch der Clubstadt Hamburg? Zugegeben, das Wort „Clubsterben“ lässt sich in den Archiven des Nachtlebens jahrzehntelang zurückverfolgen – zu Star-Club und Onkel Pö, Front und Unit, Click und Phonodrome, Moloch und PAL. Livemusik-Clubs und Discos haben es nie leicht gehabt im permanenten Wandel der Zeiten, Strukturen und Geschmäcker.
Gehen hier also nur noch die Lichter aus? Nein, es wird weiter gefeiert werden. Nicht mehr unter der Sternbrücke oder unter dem Fernsehturm, aber anderswo. Wo, das wird sich noch zeigen. Aber, um den Spruch von Ärzte-Trommler Bela B im Deichkind-Song zu zitieren: „Ist das noch Party?“