Hamburg. Der libanesisch-amerikanische Künstler verknüpft Nationalsozialismus, Nahostkonflikt und Klimakrise zu einem wilden Ritt.

Als „Performance-Tour durch die Sammlung der Hamburger Kunsthalle und in die Abgründe der Kunst- und Finanzwelt inklusive Engeln und Untoten“ wirbt das Museum für seine neue Ausstellung. Die viel mehr ist als eine Ausstellung.

Der libanesisch-amerikanische Künstler Walid Raad begibt sich mit seinem Publikum auf eine gut 80-minütige sehr persönliche Zeitreise von den alten Meistern über das Kupferstichkabinett bis zum Transparenten Museum und verknüpft Objekte der Kunsthalle mit eigenen Werken und den Themen Nationalsozialismus, Nahostkonflikt und Klimakrise.

Ausstellung Hamburg: Walid Raad und die geheimen Bilder der Kunsthalle

„Walid Raad beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit Fakten und Realität, er hinterfragt auch die Rolle des Museums und beobachtet, was mit einer privaten Sammlung passiert, wenn sie öffentlich wird“, sagt Petra Roettig, die gemeinsam mit András Siebold von Kampnagel fürs Internationale Sommerfestival kuratiert hat.

Ausgangspunkt für „Cotton Under My Feet. The Hamburg Chapter“ ist Baron Heinrich Thyssen-Bornemisza (1921–2004), Schweizer Unternehmer und Besitzer der zweitgrößten privaten Kunstsammlung der Welt, der 1992 seine Sammlung nach Spanien verlegte.

„Performance Tour“ in Hamburg: „Fiktion ist nicht das Gegenteil von Realität“

Eigentlich war statt Spanien Hamburg angedacht, weil „Heini“, so sein Spitzname, und so nennt ihn auch Raad während seiner Performance, sein Gemälde „Ostermorgen“ von Caspar David Friedrich mit dessen künstlerischem Zwilling „Frühschnee“ in der Kunsthalle wieder zusammenführen wollte.

Teils wahre historische Ereignisse und teils fiktive Anekdoten verwebt der Künstler so zu einer höchst spannenden und amüsanten Geschichte. Raads Motto: „Fiktion ist nicht das Gegenteil von Realität. Es ist der Ort, um spezielle Erfahrungen auszudrücken.“

Nur so viel sei verraten: Die Zusammenführung glückte nicht, dafür schenkte „Heini“ dem Museum mehrere Kunstwerke, deren Auswahl so bizarr ist, dass sie noch nie gezeigt wurde. Darunter Bilder von Wolken, die auf mysteriöse Weise auf der Rückseite einiger Gemälde Alter Meister erschienen sind, Pokale, die bestimmte Arten von Insekten anziehen, oder Engel, die sich selbst restaurieren. Und auch ein kostbarer Teppich, der schwerer wiegt als sein tatsächliches Gewicht spielt eine Rolle ...

Kunsthalle besitzt zwei wichtige Arbeiten des Ausnahmekünstlers

Walid Raad wurde 1967 in Chbanieh im Libanon geboren und lebt heute in New York, wo er an der Cooper Union lehrt. Er nahm an der documenta 11 und 13 teil, hatte Einzelausstellungen im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, im Moderna Museet in Stockholm, im Stedelijk Museum Amsterdam, dem Louvre in Paris und dem MOMA in New York. Seine Werke befinden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen.

Auch die Kunsthalle besitzt zwei seiner Arbeiten, die er zusammen mit The Atlas Group realisierte: „The Dead Weight Of A Quarrel Hangs“ (1996–99), die eine Chronologie des libanesischen Bürgerkriegs versucht, ohne eine abgeschlossene Erzählung daraus zu machen, und „Hostage: The Bachar Tapes“ von 2001.

Kunsthalle Hamburg: Es geht auch um die Gefangenschaft von Souheil Bachar

Darin geht es um die Gefangenschaft des Filmemachers Souheil Bachar. Dieser wurde 1983 in Beirut gekidnappt und zehn Jahre einzeln inhaftiert. Über die 27 Wochen, die er zusammen mit amerikanischen Gefangenen verbrachte, drehte er Videos. Zwei davon veröffentlichte er.

Mit dem Wissen um Fake News, dem Vertuschen von Begebenheiten, kapitalistischem Profitdenken und geopolitischem Machtstreben erscheinen einem die weltweiten Verbindungen, die Walid Raad in seinem wilden Ritt durch die Geschichte aufspannt, – so verblüffend sie sind – gar nicht so abwegig. Vielmehr regt die Performance dazu an, die dargebotenen Realitäten kritischer zu sehen und hinter die Fassaden (nicht nur von Bildern) zu blicken.

„Walid Raad: Cotton Under My Feet. The Hamburg Chapter“, bis 12.11., Hamburger Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Tickets 18,-/12,- (erm.), in englischer Sprache, Performance-Termine im August: 17.8. 18.00, 18.8. 16.00, 19.8. 12.00 und 16.00, 20.08. 12.00, 24.8. 18.00, 25.8. 16.00, 26.8. 12.00 und 16.00, 27.8. 12.00 und 16.00. kunsthalle-hamburg.de, kampnagel.de