Hamburg. Die Guerilla Girls aus New York entern das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Was Besucher erwartet.

Was ist der Vorteil daran, eine Künstlerin zu sein? Es gibt weder den Druck, besonders erfolgreich oder ein Genie sein zu müssen. Man kann sicher sein, dass die Karriere erst an Fahrt aufnehmen wird, wenn man 80 ist. Vorher haben Frauen die Wahl zwischen Karriere und Mutterschaft. Und sie laufen nicht Gefahr, wie die „Malerfürsten“ an diesen großen Zigarren zu ersticken oder in italienischen Designeranzügen malen zu müssen.

Klingt ziemlich lustig, und doch bleibt einem das Lachen im Halse stecken, denn die Pille, die man da schluckt, ist eine bittere: Künstlerinnen waren und sind nach wie vor benachteiligt, was Sichtbarkeit, Anerkennung und Bezahlung angeht.

Feministisches Grafik Design im Museum für Kunst und Gewerbe

Die Beispiele, was Frauen in der Kunstwelt erwartet, stammen aus der Ausstellung „The F* word – Guerilla Girls und feministisches Grafik Design“ im Museum für Kunst und Gewerbe. Die Gruppe aus aktiven Künstlerinnen wurde 1985 in New York als Reaktion auf eine Ausstellung des Museums of Modern Art gegründet: Diese hatte den Anspruch, einen internationalen Überblick zeitgenössischer Malerei und Skulptur zu geben. Unter den 165 vertretenden Positionen waren nur 13 Frauen.

„Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“, fragte die Gruppe auf einem Plakat vier Jahre später und zitierte eine Statistik, nach der weniger als fünf Prozent der modernen Künstler Frauen, aber 85 Prozent der in Kunstwerken gezeigten Nackten weiblich sind. Das abgebildete Model trägt eine Gorillamaske – das Markenzeichen der Guerilla Girls, um anonym zu bleiben und um Inhalte und nicht Personen in den Fokus zu stellen. Es ist das zentrale Motiv in der Hamburger Ausstellung, für die die Guerilla Girls eine eigene Arbeit entwickelt haben. Dafür werteten sie die umfassende Plakat-Sammlung des Museums kritisch im Hinblick auf das Verhältnis von Frauen und Männern unter den Gestaltern aus.

"Frida Kahlo" war bei Ausstellungseröffnung in Hamburg dabei

Seit nunmehr fast 40 Jahren machen die Aktivistinnen und Aktivisten auf Ungleichheiten, Diskriminierung und Machtverhältnisse im Kunstbetrieb aufmerksam, sie nennen sich das „Bewusstsein der Kunstwelt“. Eine von ihnen, die sich Frida Kahlo nennt, war bei der Ausstellungseröffnung in Hamburg dabei. Sie seien damals „sehr wütend“ gewesen angesichts der vielen offensichtlichen Ungerechtigkeiten, erzählt die maskierte Künstlerin. Weil „die Straßen frei waren, das Plakatieren billig“, hätten sie mit bissig-humorigen Plakaten angefangen, ihre Kritik öffentlich zu äußern – „oft hilft es, einfach über Missstände zu lachen“, so Frida Kahlo.

Die Botschaft der Guerilla Girls hängt als großes Banner an der Front des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg.
Die Botschaft der Guerilla Girls hängt als großes Banner an der Front des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg. © guerilla girls

So wie beim Pop-Quiz: „Wenn Februar der Black History-Monat und März der Women’s History-Monat ist, was passiert dann im Rest des Jahres? Auflösung: Diskriminierung.“ Es springen dem Publikum viele weitere Plakate von unterschiedlichen Gestalterinnen an, es ist von „Zornigen Hausfrauen“ die Rede, aus deren Mund eine Zigarette hängt und die Aufforderung „Eat Your fucking cornflakes“ quillt. Oder es wird Frauen geraten, sich während einer Vergewaltigung zu entspannen und diese zu genießen, denn anschließend würde einem sowieso keiner glauben.

Feminismus, das zeigt diese poppig gestaltete Ausstellung, muss nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen; er tut manchmal weh, ist ironisch-bissig, kann aber auch Spaß machen. Deutlich macht es ein großes Banner an der Front des Museums mit einem überdimensionierten Franzbrötchen, darüber steht „Dieses Franzbrötchen repräsentiert die 400.000 grafischen Arbeiten im MK&G“ – und darunter: „Dieser Krümel steht für die Arbeiten von Frauen: 1,5%“ – umgerechnet 6000. 500 davon zeigt die Ausstellung.

Die Frage eines Journalisten, ob sie nicht resigniert sei, dass fast 40 Jahre nach ihrer Met-Aktion in einem Hamburger Museum für Gestaltung sogar nur 1,5 Prozent der Gestaltung von Frauen stammt, kontert Frida Kahlo, indem sie die Frage zurück ins Publikum wirft: „Wie zufrieden sind Sie denn mit der Situation in Ihrem Museum, wie fühlen Sie sich dargestellt und vertreten?“ Eine gute Frage.

Im MK&G, einem Museum, das laut Direktorin Tulga Beyerle „immer politisch war“, hat man das Gefühl, dass auf ausgewogene Darstellung weiblicher und männlicher Künstler Wert gelegt wird. Allein in Beyerles Amtszeit seit 2018 gab es Ausstellungen zu den Designerinnen der Werkstätten Hellerau, über die Sachfotografin der 1920er-Jahre, Hildegard Heise, und die ostdeutsche Formgestalterin Christa Petroff-Bohne, die in den 1950er- und 60er-Jahren stilprägend war. Allerdings gab es auch hier noch keine Einzelschau, die eine Grafikdesignerin in den Mittelpunkt rückt. „Und ich würde es auch nicht machen, wenn es dazu keinen wirklichen Anlass gibt.“

Stiftung Hamburger Kunstsammlungen kauft gesamte Werk an

Auch „The F* word“ ist eine Gruppenausstellung, aber eine, die ins Museum hineinwirken soll: „Der erste Schritt ist es, sich als Museum selbstkritisch zu hinterfragen und am Thema dranzubleiben. Solange es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen und Männer gleichwertig präsentiert und honoriert werden, ist es nicht genug“, sagt Beyerle. Fürs Erste hat das Museum das gesamte Werk der Guerilla Girls angekauft, ermöglicht durch die Stiftung Hamburger Kunstsammlungen (SHK).

Kuratorin Julia Meer, Leiterin der Sammlung Grafik und Plakat, will mit der Ausstellung die Vielfalt und Qualität der im Haus vertretenen Künstlerinnen zeigen und mit dem Klischee der „typisch weiblichen Gestaltung“ aufräumen. So sind viele politisch und gesellschaftlich engagierte Arbeiten dabei. Sie sei „begeistert von der messerscharfen Präzision, mit der die Guerilla Girls ihre Botschaften auf den Punkt bringen“. Auf den Punkt war auch der Tag der Eröffnung: Der 16. Februar ist der sogenannte Equal Pay Day, an dem aufgezeigt wird, dass Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit in Vollzeit immer noch viel weniger verdienen als Männer. Nicht nur in der Kunst.

„The F* word. Guerilla Girls und
feministisches Grafik Design“
bis 17.9., Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 14,-/8,- (erm.), www.mkg-hamburg.de