Hamburg. Es geht viel um Bedrohtes in „Dat Leven vun de Liven“. Ein kleiner großer Theaterabend zu einem nur scheinbar randständigen Thema.

Erkki Hopf steht ernst auf der Bühne des Lichthof Theaters. Und erzählt Peter Bichsels kleine Geschichte von dem Mann, der es leid war, in seinem Zimmer die Dinge immer beim gleichen Namen zu nennen. Er beschließt, das Bett fortan einfach Bild zu nennen. Bald können ihm die Menschen nicht mehr folgen. Am Ende spricht er nur noch mit sich selbst.

Eine traurige Geschichte. „Sprache ist unser Wegweiser zur sozialen Realität. Wir zerschneiden die Natur, ordnen sie in Begriffe und weisen diesen Begriffen Bedeutungen zu“, sagt Birte Kretschmer später. Wie so häufig im Leben erkennt man einen Wert manchmal erst, wenn er bedroht und gefährdet ist.

Lichthof Theater: Es geht viel um bedrohtes in „Dat Leven vun de Liven“

Es geht viel um Bedrohtes in dem neuen Theaterstück „Dat Leven vun de Liven“ von Helge Schmidt und Team, das nun am Lichthof Theater zur Uraufführung kam. Schmidt ist seit seinem Faust-Preis dekorierten „Cum-Ex Papers“ für ein kluges Recherche- und Dokumentartheater bekannt.

Und weil es hier um aussterbende Sprachen geht, liegt es nahe, dass die Spielenden auf der Bühne Plattdeutsch sprechen (keine Sorge, es gibt Übertitel) und das Ganze in Kooperation mit dem Ohnsorg Theater entstanden ist, das hier die größte Expertise mitbringt – und wundervolle Darsteller.

Was bedeutet es, wenn eine Sprache verschwindet?

Plattdeutsch oder Niederdeutsch sprechen rund vier Millionen Menschen. Aber haben Sie schon mal von der Livischen Sprache gehört? Sie gilt seit 2013 als ausgestorben, wird nur noch von rund 200 Menschen der Ethnie der Liven auf der Halbinsel, die die Rigaer Bucht von der Ostsee trennt, gesprochen.

Anhand der Geschichte dieser Sprache – übrigens eine von zwei indigenen Sprachen in Europa – zeichnet die Stückentwicklung nach, was es bedeutet, wenn eine Sprache verschwindet. Und vollzieht den Transfer zum ebenfalls bedrohten Plattdeutsch.

Gekonnt verwebt Helge Schmidt ein fantasievolles Bühnengeschehen mit Filmprojektionen, in denen Experten und Betroffene zu Wort kommen. Vor einer nordisch anmutenden Landschaft aus langen grauen Vorhängen, wunderbar ausgestattet vom Atelier Lanika, werden die Stimmen der Leiterin des Livonischen Gemeindehauses Kolga, Baiba Šuvcāne, des Rigaer Linguisten Valts Ernštreits oder des Chorleiters Ģirts Gailītis hörbar, die relativ gelassen feststellen, dass bislang noch immer ein neuer Erdenbürger in den Reihen der Liven begrüßt werden konnte.

Lichthof Theater: Es geht auch um einen durchaus kritisch hinterfragten Heimatbegriff

Der spielerische Anteil ist auf der Bühne erfreulich hoch, auch wenn eigentlich gar nicht viel passiert, außer dem, worum es geht: Kommunikation und Diskussion. Das geschieht oft mit feinem Humor und sieht auch dank der tollen nordisch anmutenden Fantasiekostüme sehr gut aus.

Mal zimmern Lamis Ammar und Cem Lukas Yeginer und die Ohnsorg-Ensemblemitglieder Erkki Hopf und Birte Kretschmer ein Boot zusammen zur wunderbar besinnlichen Musik von Frieder Hepting. Meist aber sprechen sie originell collagierte Texte unter anderem von Judith Schalansky, Ludwig Wittgenstein oder Mithu Sanyal.

Es geht um Identität, aber auch um einen durchaus kritisch hinterfragten Heimatbegriff. Und man erfährt, dass das Plattdeutsche um die Jahrhundertwende als Barriere gegen alles Sozialdemokratische galt, ja sogar gegen die Moderne. Eine gelungene Selbstbefragung und ein kleiner großer Theaterabend zu einem nur scheinbar randständigen Thema: Wie mit der Sprache auch Welten verschwinden.

„Dat Leven vun de Liven“ weitere Vorstellungen 25.2., 20.15, 26.2., 18 Uhr, 2. Bis 4.3., jew. 20.15, 5.3., 18 Uhr, Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15 B, Karten unter T. 01806/70 07 33; www.lichthof-theater.de