Hamburg. In der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle treffen Gerhard Richter und Vija Celmins aufeinander – mit erstaunlichem Ergebnis.

Der vorletzte Raum der Ausstellung „Double Vision“ in der Kunsthalle trägt den Titel „Spiegel und Doppelgänger“. Man sieht Spiegelobjekte von Gerhard Richter, darunter das an der Grenze zwischen Gebrauchsgegenstand und Gemälde stehende „Spiegel, blutrot“ (1991), und man sieht Vija Celmins’ Installation „To Fix The Image In Memory“ (1977-82), 22 unterschiedliche Steine, von denen ein Teil in der Natur gefunden, ein anderer aber aus Bronze nachgebildet wurde – Doppelgänger, die sich bis zur Ununterscheidbarkeit ähnlich sind, aber doch nicht gleich.

Kunsthalle Hamburg: Künstlerpersönlichkeiten wirken fast wie Doppelgänger

Tatsächlich bringt der „Spiegel und Doppelgänger“-Raum das Konzept der Ausstellung auf den Punkt: Gezeigt werden zwei prägende Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die sich sowohl in ihrer Biografie als auch in ihren künstlerischen Ansätzen überraschend nahe sind, die sich allerdings nicht kennen und die sich nur ein einziges Mal, am Rande einer Vernissage, überhaupt begegnet sind.

Beide teilen Erfahrungen von Krieg, Flucht und Migration: Celmins, geboren 1938 in Riga, floh 1944 mit ihren Eltern über die Bundesrepublik in die USA, heute lebt sie in New York. Richter, geboren 1932 in Dresden, erlebte das Bombardement seiner Heimatstadt und feierte in der DDR erste Erfolge als Maler, 1961 floh er nach Düsseldorf und setzte dort seine Karriere fort.

Bemerkenswert ist die große Ähnlichkeit der malerischen Herangehensweise

Die Auseinandersetzung mit diesen biografischen Stationen zeichnet die Ausstellung unter dem Titel „Disaster“ mit fotorealistischen Gemälden von Kampfflugzeugen und Explosionen nach. Bemerkenswert ist dabei die große Ähnlichkeit der malerischen Herangehensweise: Bei Bildern wie Richters „Schlachtschiff“ (1963) oder Celmins’ „Explosion At Sea“ (1966) lässt sich auf den ersten Blick nicht genau sagen, wer welches gemalt hat.

Die Künstlerin Vija Celmins in der Kunsthalle Hamburg: In der aktuellen Ausstellung „Vija Celmins/Gerhard Richter. Double Vision“ wird auch ihr Werk „Heater“ (Heizgerät), 1964, gezeigt.
Die Künstlerin Vija Celmins in der Kunsthalle Hamburg: In der aktuellen Ausstellung „Vija Celmins/Gerhard Richter. Double Vision“ wird auch ihr Werk „Heater“ (Heizgerät), 1964, gezeigt. © dpa | Georg Wendt

Entsprechend überrascht es, dass bislang noch kein Museum auf die Idee kam, Celmins und Richter zusammenzuspannen. Allerdings war die Vorarbeit von „Double Vision“ nicht ohne – Kuratorin Brigitte Kölle erzählt, wie sie immer wieder nach New York reisen musste, weil beispielsweise das MoMA Angst hatte, dass das diffizile Arrangement von „To Fix The Image In Memory“ in Hamburg nicht ordentlich behandelt würde.

Vija Celmins fürchtete zunächst, in Hamburg nur die zweite Geige zu spielen

Oder weil Celmins fürchtete, neben dem in Deutschland als Malerfürst geltenden Richter nur die zweite Geige zu spielen. Wobei ihr Kölle diese Sorge nehmen konnte: Zwar ist Celmins in Europa tatsächlich wenig bekannt, in den USA zählt sie aber zu den bedeutendsten Gegenwartskünstlerinnen, und die Ausstellung stellt die beiden Perspektiven zweifellos auf Augenhöhe dar.

Diese Augenhöhe zeigt eben auch die erstaunlichen Parallelen des jeweiligen Schaffens: die frühen, von großer Distanz zur expressiven Malerei geprägten Arbeiten, die den eigenen Ausdruck möglichst weit zurückzustellen versuchten und im kleinen Format fotorealistische Bilder von Alltagsgegenständen im Atelier zeigten, eine Kochplatte bei Celmins („Hot Plate“, 1964), ein „Kleiner Stuhl“ bei Richter (1965). Die halb ironische, halb distanzierte Auseinandersetzung mit Marcel Duchamp. Die Vorliebe für serielles Arbeiten. Das Grau, das in beider Werk die dominierende Farbe darstellt. Schließlich die Seestücke, an denen beide während ihrer gesamten Karriere arbeiteten.

Anhand der Seestücke beschreibt die Ausstellung allerdings auch ästhetische Unterschiede. Richter ging von hier aus den Schritt in die Abstraktion, die Begeisterung für Wellen, Lichtbrechungen und Farbspiele führte 1969 zu „Seestück (grau)“ – einer monochromen Fläche, in der nur noch die Materialität der dick aufgetragenen Farbe und ein angedeuteter Horizont so etwas wie eine Struktur darstellen. Celmins hingegen blieb gegenständlich, auch wenn insbesondere die Hängung von sechs Seestücken („A Painting In Six Parts“, 1986–1987, 2012–2016) einen Zug ins Abstrakte zeigt.

Kunsthalle Hamburg: „Double Vision“ ist eine fast perfekte Ausstellung

„Double Vision“ ist so eine fast perfekte Ausstellung. Sie zeigt zwei jeweils auf ihre Weise massentaugliche Künstler. Sie ist überraschend. Sie weist auch über die ausgestellten Werke hinaus, indem sie Fragen nach dem stellt, was auf einem Bild eigentlich zu sehen ist oder was unsere Wahrnehmung für Erkenntnisse zu liefern fähig ist.

Ob die Präsentation perfekt in den Unger-Bau der Galerie der Gegenwart passt, wie Kunsthallen-Direktor Alexander Klar jubelt, kann man hinterfragen: Ja, Kölle hat die Bilder präzise gehängt, aber alles in allem bleibt „Double Vision“ eine konventionelle Malerei-Schau (mit kurzen Ausflügen in Installation und Zeichnung). Die allerdings einiges an Erkenntnis bereithält, und das ist ja auch etwas, über das man sich freuen kann.

Vija Celmins, Gerhard Richter – Double Vision bis 27. August, Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall 5, der Katalog kostet 34 Euro, www.hamburger-kunsthalle.de