Hamburg. Antisemitismus-Vorwürfe gegen Reza Afisina und Iswanto Hartono: Die Documenta-Künstler suchen den Dialog in Hamburg.
Lumbung, das indonesische Wort für Reisscheune, steht sinnbildlich für Freundschaft, dafür, gut zusammen zu arbeiten, Sachen miteinander zu teilen und sich um alle Menschen in einer Gruppe zu kümmern. Es war der künstlerische Ansatz des Kollektivs ruangrupa für die diesjährige documenta fifteen, der vielen zunächst fremd erschien, aber auch neugierig machte. Darauf, wie Künstlerinnen und Künstler aus dem sogenannten Globalen Süden das Programm einer der wichtigsten Kunstausstellungen weltweit gestalten würden.
Doch von diesen neuen Perspektiven und Entwicklungen war dann wenig die Rede: Mit Eröffnung der Schau am 18. Juni gab es gleich einen handfesten Skandal um einige Kunstwerke, in denen antisemitische Bildsprache erkannt wurde. Fortan verging kein Tag ohne Schuldzuweisungen, am Ende musste Generaldirektorin Sabine Schormann ihren Posten aufgeben.
Präsident Martin Köttering als „Antisemit“ beschimpft
Was blieb, war eine total beschädigte documenta. Und die Frage, wie man mit den Antisemitismusvorwürfen gegen die Mitglieder des ruangrupa-Kollektivs umgeht. Eine wirkliche Aufarbeitung der Geschehnisse – Fehlanzeige. Nun, mit dem Engagement der beiden Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono als Gastprofessoren an der Hochschule für bildende Künste, hat sich der Schauplatz von Kassel nach Hamburg verlagert.
Die Entscheidung, zwei Kuratoren der Weltkunstausstellung an die Hochschule zu holen, fiel bereits Ende 2021 und war damals ein cleverer Schachzug. Doch Präsident Martin Köttering hielt auch dann noch daran fest, als die Antisemitismus-Diskussion auf ihrem Höhepunkt war. Er hätte zurückrudern und die Berufung aufheben können. Aber er tat es nicht. Und musste sich dafür jetzt, bei Protesten während der Semestereröffnung, als „Antisemit“ beschimpfen lassen.
„Wir sind keine Antisemiten“
Es ist völlig unstrittig, dass es „keinen Millimeter Toleranz für Antisemitismus“ geben darf, so wie Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) es gefordert hat. Und die Reaktion einiger Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Hamburg, die die Berufung der ruangrupa-Künstler als „eine Ohrfeige ins Gesicht“ empfinden, ist nachvollziehbar. Antisemitismus ist nicht verhandelbar. Punkt. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht mehr miteinander reden und sich gegenseitig zuhören darf. Man muss es sogar, um Erkenntnisse zu gewinnen, auf deren Basis ein differenzierter Blick auf diesen Themenkomplex möglich wird.
„Wir sind keine Antisemiten“, haben die beiden Künstler offiziell geäußert und signalisiert, dass sie bereit sind für einen offenen Dialog – mit allen Beteiligten. Darin müssten sie zum Beispiel erklären, warum sie den „Letter of Apartheid“ unterschrieben haben, der den Staat Israel kritisiert. Oder, warum sie die umstrittenen Kunstwerke überhaupt zur documenta zugelassen haben. Auf der anderen Seite verdienen Reza Afisina und Iswanto Hartono Respekt dafür, dass sie diesem Konflikt begegnen. Ganz zu schweigen von ihrer künstlerischen Arbeit mit den Studierenden der Hochschule.
Jetzt bietet sich die Chance der Verständigung
Die HfbK kann der richtige Ort sein, um die documenta fifteen als politisches und kulturelles Ereignis aufzuarbeiten, und damit auch einen wichtigen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten. Es bietet sich jetzt eine große Chance der Verständigung. Diesen Rahmen zu geben, dazu gehört in der aktuell aufgeheizten Stimmung viel Mut. Den beweist Martin Köttering, indem er dem öffentlichen Druck der Sache wegen standhält.
Seite 15 ruangrupa-Künstler: „Wir sind traurig“