Hamburg. „Laios“, Teil zwei der Antikenserie, stemmt die hochdekorierte Schauspielerin ganz allein. Vor der Premiere sprach sie mit dem Abendblatt.
„Schauspielerin des Jahres“ war sie in der Kritikerumfrage des Fachmagazins „theater heute“ schon zweimal, der „Stern“ erklärte sie zur „offiziell besten Darstellerin Deutschlands“, die „Süddeutsche“ stellte andächtig fest: „Kann eigentlich alles.“ Lina Beckmann ist eine Schauspielerin, für die man ins Theater geht. Für eine Regie führende Intendantin ein Geschenk – und erst recht natürlich für das Publikum. In diesem Fall: das Hamburger Publikum, Lina Beckmann gehört seit zehn Jahren zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses.
Wie hochprozentig die Bandbreite ihrer Performance sein kann, konnte man zuletzt vor zwei Wochen zum Auftakt der großen Schauspielhaus-Theaterserie „Anthropolis“ in der Regie von Hausherrin Karin Beier beobachten; auch die Inszenierung „Richard the Kid & the King“ , in der Lina Beckmann seit zwei Jahren furios die Titelrolle spielt, bescherte dem Theater einen Triumph.
An diesem Freitag dürfte sie erneut die Hauptattraktion sein: In „Laios“, Episode zwei der fünfteiligen Antikenserie, stemmt die Schauspielerin den Abend auf der Bühne allein. Was macht das mit ihr? Und woher holt sie immer wieder diese Kraft? Beim Badwischen und Wäscheaufhängen zum Beispiel, erklärt sie nüchtern während der Endproben.
Hamburger Abendblatt: Gerade erst waren Sie in „Prolog/Dionysos“ zu sehen, jetzt stecken Sie in den Endproben von „Laios“, dem zweiten Teil der Schauspielhaus-Antikenserie „Anthropolis“. Und es ist ein Solo – Sie sind darin die einzige Schauspielerin. Wie geht es Ihnen, wie laufen die Proben?
Lina Beckmann: Ich bin ziemlich am Limit! Das ist schon extrem, erst diese eine wirklich große Premiere rauszuhauen – und dabei zu wissen, man hat das Eigentliche noch vor sich.
Zumal Sie in der Pilotepisode, die vor knapp zwei Wochen Premiere hatte, ja auch keine Nebenfigur spielen, sondern ebenfalls ein Kraftzentrum sind.
Ich dachte am Anfang: Ach, da habe ich diese eine schwierige Szene am Ende. Klar, die ist anstrengend, aber sonst geht’s. Aber dann wurde die Rolle immer komplexer und dazu kam noch diese Weinprobe, mit der es nach der Pause losgeht.
Lina Beckmann: „Viele denken, dass man sich die Komik so aus dem Ärmel schüttelt“
Das ist eine sehr, sehr lustige Szene – aber auch diese Komik muss man ja jedes Mal neu herstellen, auch die kostet körperliche Kraft ...
Wie schön, dass Sie das sagen! Viele denken, dass man sich die Komik so aus dem Ärmel schüttelt – und die soll ja auch leicht wirken. Aber ich habe vor dieser lustigen Weinprobe manchmal mehr Angst als vor der dramatischen Szene am Schluss. Das ist so eine Gratwanderung, das kann auch in die Hose gehen. Das erfordert einen wirklich wachen Kopf.
Schon im „Richard the Kid & the King“ waren Sie das Energiezentrum der Inszenierung. Woher holen Sie diese Vehemenz, diese Kraft?
Ich passe sehr auf mich auf. Ich bin gut zu mir! Ich gehe früh ins Bett, bin viel zu Hause. Ich mache manchmal Mittagsschlaf. Man lernt vielleicht erst mit den Jahren, wo seine Grenzen sind beziehungsweise lernt, das dann auch zu sagen. Wir haben zum Beispiel beschlossen, dass wir für meinen „Laios“-Monolog keine richtige Generalprobe am Vortag der Premiere machen. Sondern wie bei Opernsängern: Vor der Premiere machen wir einen Tag Pause. Ich merke, dass es sonst meine Stimme zu sehr anstrengt, ich muss einfach wieder zu Kräften kommen. Und auch Karin Beier muss ja mal Pause machen. Wir machen in dieser Griechen-Serie manches anders als sonst, wir lernen zusammen. Zum Beispiel, dass man sich selbst nicht doof findet, wenn man sagt: Ich kann nicht mehr. Egal, wie erfolgreich dieses Antiken-Projekt „Anthropolis“ am Ende wird: Ich habe noch nie so viel über mich selbst und mein Arbeiten gelernt. Das macht mich sehr froh.
Lina Beckmann: „Man darf nicht verrückt werden, wenn eine Vorstellung mal anders läuft“
Anders als bei Dreharbeiten müssen Sie nicht den einen perfekten Moment erwischen, der dann festgehalten wird – sondern Sie müssen diesen Moment in jeder Vorstellung vor jedem Publikum neu finden. Ist diese Wiederholbarkeit die eigentliche Herausforderung?
Ja. Man muss aufhören, dem „perfekten“ Moment nachzueifern, damit man nicht verpasst, was jetzt gerade passiert. Natürlich muss man suchen nach dem, was man in der Probe gefunden hatte. Aber man darf nicht verrückt werden, wenn eine Vorstellung mal anders läuft, weil zum Beispiel das Publikum ganz anders reagiert. Manchmal ist man schneller, manchmal ist man müder. Bei der Arbeit an „Richard“ habe ich stark gemerkt, dass ich auch das üben muss. Nicht aufgeben, wach bleiben. Das ist ein großer Teil der Theaterarbeit: Man muss mit dem Moment umgehen, der jetzt gerade da ist. Eben weil er einmalig ist!
Woran denken Sie, direkt bevor Sie auf die Bühne gehen?
Das ist vielleicht etwas kitschig: Ich versuche, mich leer zu machen von Erwartungen und Druck. Manchmal wiederhole ich für mich achtmal den ersten Satz – und der Rest passiert.
Edgar Selge, der am Schauspielhaus vor einigen Jahren den langen Houellebecq-Monolog „Unterwerfung“ gespielt hat, ist am Vortag jeder Vorstellung den gesamten Text mit einer Souffleuse noch einmal durchgegangen. Tun Sie das auch?
Bei „Richard“ gehe ich auch den ganzen Text noch einmal durch. Das werde ich bei „Laios“ bestimmt auch tun. Mir reicht es aber, zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn im Theater zu sein. Vorher versuche ich lieber, Dinge zu tun, die mich nicht so einkrampfen lassen. Sonst kriege ich Aufregungsschübe und mir wird schlecht. Es tut mir dann eher gut, das Bad zu wischen oder Wäsche aufzuhängen oder Mittagessen zu kochen.
Lina Beckmann: „Im Bett liege ich dann oft noch lange wach“
Wie ist es nach den Vorstellungen? Was brauchen Sie, um runterzukommen?
Nach Extremvorstellungen wie „Richard“ sitze ich erst mal lange in der Garderobe. Alleine. Ich dusche und sitze da. Und dann möchte ich meist nach Hause. Früher wollte ich gern noch mit den Kollegen zusammensitzen, einen Wein trinken, reden. Jetzt merke ich manchmal, dass ich ganz leer bin. Im Bett liege ich dann oft noch lange wach. Der Körper walkt und bebt nach.
Sie haben zuletzt oft Ausgestoßene gespielt, Machtbesessene, Despoten – was macht das mit einem, wenn man solche Charaktere spielt, sich dauernd mit dem Grauen beschäftigt?
In dieser Zeit, in der wir gerade leben, finde ich es richtig, dass man sich im Theater auch mit grauenhaften Gestalten befasst. Das verleiht meiner Arbeit einen Sinn. Wir arbeiten hier keine Themen ab, die irgendwie pillepalle sind. Ich frage mich im Moment jedenfalls nicht, warum ich diese Arbeit eigentlich mache. Ich habe das Gefühl, man kann einen Spiegel zeigen, anregen, zum Nachdenken auffordern. Aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass es ohne Humor keinen Sinn hat. Wenn man etwas durchlebt, das einen fröhlich macht, das man liebt – dann kann man auch wieder ins Dunkle gehen. Ich habe nie Angst um meine Seele. Ich brauche und suche das Licht so sehr, dass ich nie Angst habe, mich zu verlieren.
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Inwiefern realisieren Sie, dass viele inzwischen Ihretwegen ins Theater kommen, nicht in erster Linie wegen des jeweiligen Stücks? Muss man das aktiv vergessen?
Ich muss das wegschieben. Damit ich mir vor der „Laios“-Premiere am Freitag nicht in die Hose mache. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich da anderthalb Stunden vollkommen allein auf dieser Riesenbühne stehe und die Leute kommen, weil sie Lina Beckmann so gern sehen wollen – und dann sitzen die da vielleicht und denken: Och, das ist ja langweilig, ist gar nicht so toll! Die soll doch so lustig sein, die ist aber gar nicht lustig! Wenn ich darüber nachdenke, gehe ich keinen Schritt auf diese Bühne. Ich verlange sogar von den Leuten im Zuschauerraum: Guckt neu! Es kann euch auch enttäuschen, das darf es auch. Ihr könnt auch rausgehen oder schlafen, ist alles erlaubt. Natürlich ist es toll, wenn einem die Leute gern zusehen, das kann ich nicht leugnen. Dafür macht man ja den Beruf. Aber man sagt halt nie: Das kann ich schon. Oder: Ich weiß, wie’s geht. Man fängt stattdessen immer naiv wie ein Baby ganz von vorn an.