Hamburg. Das neue Musikkabarett-Programm „Mensch, wir ärgern dich nicht“ zeigt im Nikolaifleet zwei starke Frauen mit viel aktueller Satire.
Wer in diesem Herbst Hamburgs Theaterschiff entern will, der wird den Weg finden. Am besten immer am Bauzaun entlang, der an der Willy-Brandt-Straße/Ecke Holzbrücke oberhalb des Nikolaifleets seit geraumer Zeit eine Baulücke umschließt. Etwas mehr Zeit als üblich sollte man indes einplanen.
So wie auch bei einer Fahrt mit der Deutschen Bahn. „Fenster oder Gang?“, lautet die Frage gleich zum Auftakt auf der Bühne vom „Schiff“: Das erste neue Programm der Saison 2023/24 spielt in einem ICE. In diesem begegnen sich zufällig zwei Frauen, beide grundverschieden, beide aber auf der Fahrt von Hamburg nach München.
Theaterschiff Hamburg: Im neuen Programm weht ein Hauch von Bollywood
Doch „Mensch, wir ärgern dich nicht“, so der Titel des als Musik-Kabarett angekündigten Feldversuchs aus der Feder des Schiffs-Leiters Michael Frowin (und der Co-Autoren Katinka Budenkotte und Johannes Rehmann), entpuppt sich nicht etwa als bloßes Nummernkabarett mit Liedern als Einsprengseln. Die Handlung entwickelt sich zu einer Reise mit zwei unterschiedlichen Lebensentwürfen, gewürzt mit vielen aktuellen satirischen Einschlägen. Ob nun aufs TV-Business, (Leit-)Medien, Lifestyle, Gleichberechtigung, KI oder Politik.
„Muss ich Angst haben, dass Sie mich festkleben?“, raunzt Vielfliegerin Ann-Katrin (Elisa Pape) im Look einer Business-Lady ihre Sitznachbarin Jasmin (Ronja Geburzky) an. Die regelmäßige Bahn-Nutzerin entspricht in blauer Latzhose dem Klischee einer Öko-Frau der „Letzten Generation“ und wird von ihrer feinen Nachbarin flugs als „Landpomeranze“ abgestempelt. Beide sind jedoch auf der Bühne wie im wahren Leben Schauspielerinnen. Bald stellt sich heraus, dass Jasmin und Ann-Kristin zum Casting für eine Vorabendserie, „Tierärztin Sabine Hiller“, anreisen und um die Titerolle konkurrieren.
Theaterschiff Hamburg: Eilsa Pape und Ronja Geburzky überzeugen auch choreografisch
Die eine hat zwei Kinder und kaum Geld, die andere hat geerbt und lässt gern mal die Arrogante raushängen: „Wer schlau ist, kann auch dumm spielen.“ Ann-Katrin alias Elisa Pape, auf dem „Schiff“ schon in den Produktionen „Das Ziel ist im Weg“ und „Die Wahrheit über Weihnachten“ zu erleben, und Ronja Geburzky als Jasmin finden im Laufe der turbulenten Fahrt immer mehr zueinander, ohne sich um den Hals zu fallen. Wärme erzeugt auch hier Reibung.
Nik Breidenbach, als Regisseur und omnipotenter Darsteller („Pompös“, „Oh, Alpengühn“, „Der letzte Ritt nach Fernando“) sonst im Schmidt und im Tivoli zu Hause, versteht es bei seinem Regie-Debüt auf dem Theaterschiff, die Protagonistinnen in ungeahnte Bewegung zu versetzten; er lässt sie fast das gesamte Unterdeck bespielen. Und beide überzeugen nicht nur schauspielerisch, sondern auf und neben dem drei mal zwei Meter kleinen Brettl auch choreografisch.
Theaterschiff: Yoga-Einlage und Taylor Swifts „Shake It Off“ sorgen für Frustbewältigung
Für den Gesang gilt das ohnehin. Irgendwo zwischen Alt und Mezzosopran changierend, treiben Elisa Pape und die zudem am Klavier und an der Gitarre versierte Geburzky mit mehr als einem Dutzend Liedern die Story voran. Angefangen von Julia Engelmanns „Kein Modelmädchen“ über Neu-Kompositionen wie dem „Fertig-Mach-Rap“ und der schönen Ballade „Thomas mein Mädchen“ (jeweils von Andreas Langsch) bis zu den mehr denn je aktuellen Songs der bissigen Berliner Pop-Kabarettistin Martina Brandl, „Ich lass mir n‘ QR-Code auf‘n Arsch tätowieren“ und „Surfen auf‘n Klo“. Letzteres sowie Netz-Empfang – mit Aussetzern – gibt es ja auch in der Bahn. Und „An mir liegt‘s nicht“, ein Song des in Hamburg gut bekannten Kleinkunst-Rock-‘n‘-Rollers Michael Krebs, originell arrangiert vom musikalischen Leiter Jochen Kilian, füllt als Duett den ganzen Raum.
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In dem erfahren die Mitreisenden, in diesem Fall die begeisterten Premierengäste, dass die Titelrolle in der Vorabendserie weder die eine noch die andere Schauspielerin erhält – stattdessen „ein nichtbinärer Hund“. Ann-Katrins Fazit „Unser Fell ist nicht dick genug“, ist zwar nur ein schwacher Trost. Doch eine analoge und kostenlose Yoga-Einlage mit Musik sowie Taylor Swifts „Shake It Off“ der beiden nicht fernsehtauglichen Frauen sorgt fix für Frustbewältigung. Ein Hauch von Bollywood und eine kräftige Rock-Einlage – erlebt man(n) auf dem „Schiff“ auch nicht aller Abende. Namaste!
Da hätte es die Nummer mit den vielen Fundsachen des Zugführers an Bord des ICE gar nicht mehr gebraucht. Sie verlängert die Reisezeit dieses frisch-frechen Programms auf fast zweieinhalb Stunden inklusive Pause. Ein unnötiger Umweg.
„Mensch, wir ärgern dich nicht“ wieder Fr 13./Sa 14.10., Do 19./Fr 20.10., 15./16. u. 18.11., 7.-9. und 29.-31.12., jew. 19.30 (So 18.00), Theaterschiff (U Rödingsmarkt), Nikolaifleet/Holzbrücke 2, Karten zu 29,- bis 34,- unter T. 040/69 65 05 60; www.theaterschiff.de