Hamburg. Die Galerie der Gegenwart packt mit „Femme Fatale“ ein heißes Eisen an: die sexualisierte Darstellung von Frauen. Über die Schau.

Lieblich auf einer Laute spielend stürzt die blondbezopfte „Lureley“ bei Carl Joseph Begas die Fischer auf dem Rhein ins Verderben. Lovis Corinths „Salome“ triumphiert barbusig über den abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer (ein Racheakt, da dieser sich kritisch über ihre Ehe geäußert hatte). Gustav Adolf Mossa rahmte sein Frauengesicht mit dem Körper eines Raubvogels und betitelte das Bild mit „Die gesättigte Sirene“. Edvard Munchs rothaarige Protagonistin ist gar ein blutrünstiger „Vampir im Wald“ (Achtung Gender-Alarm, heute müsste es selbstredend Vampirin heißen).

Wie schon im berühmten Bardot-Drama gilt auch in der Kunst: Und immer lockt das Weib, ob sinnlich-ätherisch, erotisiert und begehrenswert oder als mythologischer Dämon. Die fatale Frau ist ein Mythos, eine Projektion, konstruiert von fast ausschließlich männlichen Künstlern, die sich dabei auf literarische oder biblische Vorlagen beriefen. Ein lang tradiertes, vielfältig ins Bild gesetztes weibliches Stereotyp, das vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart wirkt. Und aus heutiger Sicht mit MeToo, Gender-Debatte, Identitätsfindung und weiblichem Empowerment im Rücken vollkommen anders gelesen und interpretiert wird und werden muss.

Ausstellung Hamburg: Sinnliche Damen in der Galerie der Gegenwart

Lovis Corinth: „Salome II“, 1899/1900, Öl auf Leinwand, 127 x 147 cm. Das Gemälde referiert eine mythologische Szene, in der die Tänzerin Salome aus Rache die Enthauptung von Johannes dem Täufer feiert.
Lovis Corinth: „Salome II“, 1899/1900, Öl auf Leinwand, 127 x 147 cm. Das Gemälde referiert eine mythologische Szene, in der die Tänzerin Salome aus Rache die Enthauptung von Johannes dem Täufer feiert. © bpk | Museum der bildenden Künste, Leipzig | Ursula Gerstenberger | MDBK

In der Galerie der Gegenwart ist nun, wenn man so will, ein programmatisches Gegengift zur überwiegend sexualisierten weiblichen Darstellung zu erleben, Titel: „Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“. Zwar begegnen einem in der zweiten Etage jede Menge verführerische, sinnliche, leicht bekleidete bis vollkommen nackte Damen, doch stehen diese nicht für sich; sie werden in einen klugen Kontext aus epochengeschichtlichem Hintergrund und zeitgenössischen Positionen eingebettet, die das eindimensionale Frauenbild immer wieder aufs Schönste brechen, aufs Korn nehmen, zuspitzen, zerstören.

„Wir wollen uns von einigen Dingen verabschieden, aber auch aus ihnen lernen, den Blick nach vorne richten“, sagt Kurator Markus Bertsch, Leiter der Sammlung 19. Jahrhundert. Das Jahrhundert sei „ein schwieriges Gelände, nicht nur was Sexualisierung von Frauen angeht, sondern etwa beim Thema Kolonialismus. „Auch im 19. Jahrhundert wussten die Menschen, was sie vor Augen hatten. Aber sie hatten eine andere Sprache zur Verfügung als wir heute. Durch eine veränderte Sprache können wir auch eine Veränderung des Bewusstseins erwirken.“

Schockmomente statt Verlockung

Die Ausstellung käme zu einer Zeit, die von so vielen Umbrüchen geprägt ist, also genau richtig. Mit Blick auf die Museumslandschaft habe Bertsch so manches Mal den Eindruck von Konformität; er wünsche sich aber gerade mehr „museale Souveränität“. Höchste Zeit also, mit „Femme Fatale“ ein heißes Eisen anzupacken. Statt immer nur auf Verlockung auch auf Schockmomente zu setzen, die Menschen bewusst zu provozieren und herauszufordern.

Ausgangspunkt der Ausstellung war eine Diskussion im eigenen Haus um das zentrale Werk von Hans Makart in der 2020 eröffneten Gemäldegalerie der Kunsthalle. „Der Einzug Karls V. in Antwerpen“ aus dem Jahr 1878 zeigt auf 50 Quadratmetern, wie zig junge, attraktive Damen, einige von ihnen nackt, manche mit Kindern, den Kaiser zu Pferd umringen und rauschend feiern. Im Betrachten des Gemäldes nimmt man fast zwangsläufig den voyeuristischen Blick des Malers ein. „Wie geht man mit etwas um, das offensichtlich sexistisch ist, aber zur Kunstgeschichte gehört?“, fragte sich Direktor Alexander Klar.

"Wir wollen uns der Debatte stellen"

„Wir wollen keine Bilder abhängen oder ins Depot verbannen, sondern uns der Debatte stellen, dem Stier das rote Tuch zeigen.“ Das heißt, dass nicht nur die dargestellten Frauen im Fokus der Aufarbeitung stehen, sondern auch die malenden, zeichnenden, formenden Männer.

Die Ausstellung hat also Einiges zu klären. Wie aufgeheizt die Atmosphäre um geschlechtliche Gleichbehandlung und Sichtbarmachung ist, wurde deutlich, als Klar sich quasi dafür entschuldigte, dass er zusammen mit Kurator Bertsch auf dem Podium sitze – und eben ausgerechnet bei diesem Thema keine Frau. Das Geschlechterverhältnis in den verantwortlichen Positionen sei im Museum aber „ausgeglichen“, versicherte er.

Schau behandelt Themen mit großer Sensibilität

Ob nun weiblich oder männlich kuratiert – die Schau geht mit großer Sensibilität für die Themen der Zeit ans Werk und komponiert einen spannungsreichen Bogen. Da wird eben noch die wunderschön geformte Salammbô-Skulptur von Jean-Antoine-Maria Idrac von 1881 gezeigt, und kaum biegt man um die Ecke wird man mit einer irritierenden Videoarbeit von Valie Export von 1968 konfrontiert. Sie zeigt, wie in einem öffentlichen „Tapp- und Tastkino“ – ein Kunstprojekt in München – zumeist männliche Passanten durch eine Öffnung in einem Pappkarton ihre nackten Brüste anfassen konnten – und davon auch rege Gebrauch machten.

„The Next Great Moment in History is Ours“ proklamierte 1970 die Künstlerin Dorothy Iannone und leitet damit die eigentlich interessantesten Kapitel ein, das Gegenbild zur Femme Fatale bis hin zur Abschaffung derselben.

Ausstellung Hamburg: Bedeutende Werke ausgestellt

Maria Lassnig: „Woman Power“, 1979.
Maria Lassnig: „Woman Power“, 1979. © VG Bild-Kunst, Bonn 2022/Peter Kainz

Von Maria Lassnigs „Woman Power“ (1979), bei der eine übergroße, schemenhafte Frau über eine Stadt hinwegschreitet über Nan Goldins Fotoserie (1972/1992), in der Modelle Sex-Symbole wie Marylin Monroe oder Madonna überzeichnen, bis zu Betty Tompkins’ Serie „Women Words“ (2018), bei der Frauenfiguren in prominenten Künstler-Bildern von Tizian bis Helmut Newton mit weiblichen Stereotypen überschrieben werden, um auf Kontinuitäten eines gewaltvoll-patriarchalen Kunstfelds aufmerksam zu machen.

„Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“ bis 10.4.2023, Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00, Eintritt 14,-/8,- (erm.), www.hamburger-kunsthalle.de