Hamburg. Tori Amos spielt sich in der Laeiszhalle durch die Alben ihrer Karriere. Ein Abend, der es dem Publikum nicht immer leicht macht.
Und, schwupps, sind die 90er wieder da. Gerade hat die norwegische Singer-Songwriterin Hilde Skaar ihren Support-Auftritt für Tori Amos beendet, mit zerbrechlichem, harmonischem, vielleicht ein wenig gleichförmigem Folkpop, da dröhnt ein vertrautes Gitarrenriff durch die Laeiszhalle, „Zombie“ von den Cranberries, und das passt wie die Faust aufs Auge. Weil nämlich „Zombie“ und die Songs von Amos’ zweiter Platte „Under the Pink“ in den 90ern auf jeder WG-Party rauf und runter liefen, als so handfeste wie melancholische Emotionstrigger. Wer immer sich die Pausenmusik ausgesucht hat, der hat sich was dabei gedacht.
Wobei dieser Erinnerungsflash auch ein wenig unfair ist. Weil Amos, geboren 1963 an der Ostküste der USA und seit Langem mit einer Basis in Großbritannien, kein Star von gestern ist, der sich auf seinen alten Hits ausruht. Die Sängerin und Pianistin veröffentlicht regelmäßig neue Musik – zuletzt Ende 2021 „Ocean to Ocean“, von der Kritik hochgelobt, mit Chartsplatzierungen im soliden Mittelfeld. Aber irgendwie ist sie aus dem Fokus gerückt, irgendwie ist ihr rätselhafter, exzentrischer Klavierpop nicht mehr so omnipräsent, wie er es in den 90ern war.
Tori Amos liefert ein eher sperriges Konzertprogramm ab
Und dass der Einstieg kein neuer Song ist, sondern mit „God“ eine Nummer aus „Under the Pink“, hilft auch nicht dabei, eine gegenwärtige Stimmung aufkommen zu lassen. Wobei das ungewöhnliche Arrangement des auf Platte elektronischer geprägten Songs schon beeindruckt: Bassist Jon Evans und Perkussionist Ash Soan konstruieren ein vertracktes Rhythmusgerüst, lange weisen nur die eingestreuten „U-huh“-Gesangssamples darauf hin, um welches Stück es sich handelt, und als Amos dann endlich die Bühne betritt, sich ans Klavier setzt und harte Klangakzente setzt, sorgt der Wiedererkennungseffekt für spontane Glücksgefühle. Und auch wenn es das erst mal war mit Nostalgie, ist die Präsentation von „God“ symptomatisch für den Auftritt.
Amos lässt Evans und Soan viel Raum, immer wieder bilden Bass und Perkussion eine eigenständige Basis, in die sich die Musik des Stars dann einpassen kann. Zu Beginn ihrer Karriere wurde Amos oft mit Kate Bush verglichen, wegen der ähnlichen Stimmfarbe (die sich interessanterweise auch mit 59 Jahren nicht nennenswert verändert hat und in der Laeiszhalle glasklar zu hören ist) und wegen des in den Arrangements zentralen Klaviers.
Was bei diesem Vergleich allerdings ein wenig untergeht: wie eigenständig Amos das Klavier einsetzt. Weniger als Melodieträger, mehr als Ergänzung der Rhythmusinstrumente, mit hartem Anschlag, der angesichts der fragilen Kompositionen eine interessante Spannung aufmacht. Und symptomatisch ist für Amos’ unkonventionelle Herangehensweise.
Auch ein Superhit von Depeche Mode ist an diesem Abend zu hören
So geht es dann also durch die mittlerweile 16 Studioalben umfassende Karriere der Musikerin. Aus „Ocean to Ocean“ spielt sie den Titelsong, aus „From the Choirgirl Hotel“ (1998) „Playboy Mommy“, und das dunkle „Purple People“, das treibende, bluesige „Body and Soul“ von „American Doll Posse“ (2007) koppelt sie mit Depeche Modes „Personal Jesus“, und wie sie diese zwei Songs zu einem macht, das beweist die musikalische Klasse von Amos.
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Ganz klar wird dabei nicht, was sie mit diesem Auftritt eigentlich will: Weder ist er auf die aktuelle Veröffentlichung konzentriert, dafür ist „Ocean to Ocean“ zu wenig präsent, noch hat man es hier mit einem klassischen Best-of-Programm zu tun. Für eine Retroshow spielt sie zu wenig Hits, mehr Obskures wie „Ruby Through the Looking-Glass“ (einer B-Seite von 2002) oder „Cooling“, das ausschließlich auf der Live-CD „To Venus and Back“ (1999) erschienen ist und in der Laeiszhalle als berührende Solo-Version erklingt, ausschließlich Amos am Piano. Vielleicht ist dieser Auftritt ja vor allem: die Sammlung von Lieblingsliedern einer Künstlerin, die sich schon immer ein gewisses Maß Eigenarten herausnahm. Wäre legitim.
Tori Amos spielt nach 90 Konzertminuten einen bewegenden Abschlusssong
Das Publikum jedenfalls freut sich über die unbekannten Songs, genauso wie über „Cornflake Girl“, Amos’ größten Hit aus dem Jahr 1994, der hier mit geisterhaftem, sehr hoch gespieltem Bass eine ungewohnte Facette erhält. Nach rund 90 Minuten entlässt sie einen in die Nacht mit „Tear in your Hand“ aus ihrem Solodebüt „Little Earthquakes“ (1992). Vielleicht ist der nahe am Mainstream komponierte Song nicht Amos’ stärkste Komposition, aber eine Abschiedszeile wie „Maybe it’s Time to Wave Goodbye“ sollte man sich nicht entgehen lassen. Also winkt die Sängerin Lebewohl, noch eine Arabeske am Piano, dann ist dieser gleichzeitig nostalgische wie unerwartet sperrige Abend vorbei. Schön.