Hamburg. „Konzert für Manfred Eicher“ mit vielen Jazz- und Klassiklegenden in der Elbphilharmonie: Das Publikum tobte vor Begeisterung.
Vor dreieinhalb Jahren hatte Manfred Eicher von der Elbphilharmonie Carte blanche bekommen und ein mehrtägiges „Reflektor“-Festival nach seinen musikalischen Vorstellungen kuratiert. Damals kam er sogar nach Hamburg, gab aber keine Interviews und machte sich auch sonst rar. Zum ihm jetzt gewidmeten „Konzert für Manfred Eicher“ ist der 80-Jährige gar nicht erst angereist, steht er doch so ungern im Mittelpunkt. Stattdessen hat er eine Grußbotschaft geschickt, in der es unter anderem darum geht, dass Hörer (im Idealfall) zu glücklichen Menschen werden.
Elbphilharmonie: Auch Konzertröchler können diesen Abend nicht zerstören
Doch bevor die mehr als 2000 Menschen, die hier im Saal sitzen, musikalische Glücksmomente erleben, ist da erst einmal: ein Moment der Sammlung. Gitarristin Zsófia Boros schließt die Augen, atmet ruhig durch, dann spielt sie den ersten Ton. Perfekter könnte das Konzert nicht beginnen, ist dies doch ein Markenzeichen aller Veröffentlichungen auf Eichers ECM-Label: Sämtliche Alben beginnen seit Jahren mit fünfsekündiger Stille.
Brillant aus der Elbphilharmonie (und ohne Eichers Zutun) heraus kuratiert, ist dies ein Konzert, auf dessen zu erwartenden Legendenstatus bereits das Programmheft hinweist: „Diese Interpreten und Schöpfer exquisiter Musik aus Europa und den USA werden nach menschlichem Ermessen in dieser Form kein zweites Mal zusammenkommen“, heißt es da. Und: „Das Konzert wird weder gestreamt noch mitgeschnitten.“ Was zählt, ist allein das Wunder des Augenblicks, das auch die üblichen Konzertröchler nicht zu zerstören vermögen. Ein Abend, der einen Teil der ECM-Geschichte zwischen Jazz und Klassik abbildet – und doch so viel auslassen muss.
Elbphilharmonie: Was zählt, ist allein das Wunder des Augenblicks
Da ist der Chor Vox Clamantis, dessen Stimmen bei Arvo Pärts „The Deer‘s Cry“ so klar und warm durch den Saal schweben. Da ist das Danish String Quartet, das einmal mehr beweist, dass es zu den allerbesten Streichquartetten der Welt gehört und mit einem Ausschnitt aus seinen folkloristischen „Wood Works“ für riesigen Jubel sorgt. Da sind Geiger Gidon Kremer, Cellistin Giedre Dirvanauskaite und Pianist Georgijs Osokins, bei deren enorm fokusiertem Auftritt (das Middelheim-Trio von Giya Kancheli) sich Raum und Zeit aufzulösen scheinen.
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Und dann erst der Jazz-Part: Die Saxofonisten John Surman und Joe Lovano, Bassist Dave Holland, Gitarrist Ralph Towner, Sängerin Norma Winstone – allesamt Legenden, teilweise längst jenseits der 80, die hier auf der Bühne stehen und denen man die gegenseitige Wertschätzung, ja vielleicht sogar die Liebe, die sie verbindet, in jedem Moment ansieht. Aus der jüngeren Generation sind Trompeter Avishai Cohen und Pianist Tigran Hamasyan dabei, und als zum Schluss das Marcin Wasilewski Trio (unterstützt von Joe Lovano) die Zügel in die Hand nimmt, gibt es endgültig kein Halten mehr, so rauschhaft und mitreißend ist das, was diese vier da präsentieren.
Danach kommen alle Beteiligten noch einmal auf die Bühne, werden mit Standing Ovations gefeiert, Strahlen mit dem Publikum um die Wette. Ein denkwürdiger Abend, bei dem Manfred Eicher zwar nicht anwesend ist, an dem jedoch das geschieht, was er sich am meisten gewünscht hat: Aus Zuhörern sind für (mindestens) dreieinhalb Stunden glückliche Menschen geworden.