Der österreichische Autor schildert in “Das glückliche Geheimnis“ sein Leben – und eine ziemlich skurrile Leidenschaft.

Der Höhepunkt der schriftstellerischen Karriere von Arno Geiger mag das Erscheinen des Romans „Es geht uns gut“ gewesen sein – im Jahr 2005. Geiger gewann damals den gerade frisch ins Leben gerufenen Deutschen Buchpreis. Natürlich spielt dieser Höhepunkt auch in Geigers neuem, schmaleren Buch „Das glückliche Geheimnis“ eine respektable Rolle. Der mittlerweile 54 Jahre alte Autor aus dem österreichischen Vorarlberg schreibt hier eine autobiografische Skizze.

Der Bucherfolg mit „Es geht uns gut“ ist lediglich ein äußerlicher Höhepunkt von Geigers hier geschildertem Leben – und es ist nicht mal Koketterie, sondern wiederum große literarische Kunst, wie Geigers neue Erzählung dieses Karriereerlebnis entsorgt. Klar, ab diesem biografischen Punkt, dem internationalen Durchbruch, ist eine Schriftstellerlaufbahn ziemlich schlackenlos erzählbar: Es kommen Lektoren und Verleger ins Spiel, begeisterte, desinteressierte und auch ein bisschen wahnsinnige Leser, dazu Begebenheiten auf Lesetouren. Am 31. Januar liest Geiger übrigens im – bereits ausverkauften – Literaturhaus Hamburg.

Literatur-Tipp: Arno Geiger findet seinen eigenen Roman im Papiermüll

Aber es passiert etwas sehr Unrühm­liches mit dem Erfolgsroman, als Geiger ihn in seinem neuen Buch zum letzten Mal erwähnt. Der Schriftsteller findet die „schiefgelesene Taschenbuchausgabe“ von „Es geht uns gut“ in einem Altpapiercontainer irgendwo in Wien. Eine solche Begebenheit stellt unter normalen Umständen nun wirklich keinen ansehnlichen Höhepunkt einer Schriftstellerkarriere dar. Bei Arno Geiger aber kulminiert darin sein Leben und sein Künstlertum.

Arno Geiger, Hauptperson und Ich-Erzähler, hat über vier Lebensjahrzehnte im Altpapier nach Geschichten gesucht: nach antiquarischen, weggeworfenen Büchern mit bekannter und unbekannter Literatur auch, aber vor allem nach Tagebüchern von Privatpersonen. Das ist es, was ihn am meisten anzieht:

Auf der Suche nach Geschichten im Altpapier

„Meine Meinung ist, man müsste mehr Alltägliches lesen, Zweitrangiges, Vorläufiges, Verworfenes, es hat uns in vielerlei Hinsicht etwas zu sagen. Das Alltägliche und Beiläufige zeigt uns tendenziell eher so, wie wir sind, nicht so, wie wir gerne wären. Das Raue tritt in den Vordergrund, das unvermittelt Ehrliche, das Verzweifelte, das Niederträchtige, das Zärtliche, vermischt mit Unbeholfenheit. Denn unbeholfen sind alle Menschen, das zeigt sich in den Funden deutlicher als in den allermeisten literarischen Texten.“

Es ist eine subtile und künstlerisch ernst zu nehmende Analogie in diesem Buch: dass Geiger beim Schildern seines Lebens teilweise eben genauso unbeholfen wird wie die privat Schreibenden in den weggeworfenen Tagebüchern und Korrespondenzen. So unbeholfen wie es sich vermeintlich für einen professionellen Schriftsteller „nicht ziemt“. Die mangelnde künstlerische Fallhöhe zum wahren Leben – wir verspüren sie mitunter beim Nachvollziehen von Geigers Frauengeschichten, bei der Schilderung seiner alternden Eltern und am Ende auch bei derjenigen eines Suizids.

Ein über weite Strecken vergnügliches kleines Buch

Dieses Unbeholfene gilt dagegen nicht für seine plastische Schilderung seiner „Runden“ zum Altpapiermüll in der Wiener Stadtlandschaft, meist gegen 6 Uhr morgens mit dem Fahrrad. Hier ist Geiger vielmehr zurück im geölt schöngeistigen Geschäft der europäischen Literaten. Infolge der literarischen Nachzeichnung zahlreicher Wiederholungen dieser „Runden“ können sich alle Lesenden des über weite Strecken vergnüglichen kleinen Buches vorstellen, wie das aussieht: Hals über Kopf über den Rand des Papiercontainers, das muss schon sein. Bis nur noch die Füße mit den Schuhen am Rand herausschauen. Schließlich ist die Arbeit erst erledigt, wenn man wirklich auf dem Boden des riesigen Mülleimers nachgeschaut hat.

„Man kann auf verschiedene Art herunterkommen. Jemand, der im Abfall stöbert, ist gesellschaftlich unten angekommen, in einem sozialen Sinn: am Boden. Man kann aber auch im positiven Sinn herunterkommen, zur Ruhe kommen, Boden unter die Füße bekommen. Wie in ‚Fight Club‘, wo es heißt: ,You have to hit the bottom‘. Du musst zum Grund. Herunterfahren, gelassen sein, sich dem gesellschaftlichen Leistungsdruck verweigern“, erklärt er.

Arno Geiger scheint sich schon jenseits des ganz großen Erfolgs zu wähnen

Arno Geigers Buch „Das glückliche Geheimnis“ (240 S., 25 Euro) ist im Carl Hanser Verlag erschienen.
Arno Geigers Buch „Das glückliche Geheimnis“ (240 S., 25 Euro) ist im Carl Hanser Verlag erschienen. © Verlag | Carl Hanser Verlag

Das Buch handelt jedoch auf eine fruchtbar irritierende Art davon, dass dem müllwühlenden Autor eben doch nicht egal ist, wie er von außen gesehen wird. Darin ist er ehrlich und widerspricht klar dem Klischee eines heroischen und ach so eigensinnigen „I did it my way“. Gerade als noch erfolgloser junger Autor sei es für Geiger schwer gewesen, sich aus ganzem Herzen zu der Tätigkeit als Papiermüllsuchender zu bekennen. Das ist nachvollziehbar. Dass er bei dieser Tätigkeit auch wohlwollenden engsten Freunden, Geliebten gegenüber sein „glückliches Geheimnis“ ungern verrät, ist nicht vollends plausibel.

Jetzt, mit Mitte Fünfzig, scheint sich Arno Geiger nicht in Erwartung, sondern bereits jenseits des ganz großen Erfolgs zu wähnen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er sich in diesem Buch durch eine intensiv erlebte Midlife-Crisis quält. So viele Liebes- und Sexgeschichten hat sicherlich nicht jeder und jede, aber doch klingen sie so privat und pointenlos, dass es einen spontan irritiert.

Literatur-Tipp: Arno Geiger übt sich in Unbeholfenheit

Alle, die meinen, sie hätten schon größere Romane gelesen, haben wohl recht. Aber genau das wäre vielleicht das größte Lob für „Glückliches Geheimnis“. Geiger, der Verehrer und Verarbeiter privater Tagebücher von Fremden, er übt hier, als Profi, die schriftstellerische Unbeholfenheit. Das könnte er vielleicht auch inszenieren und sich selbst herausnehmen. Aber Arno Geiger gibt dafür sein eigenes Leben her. Dass jemand als Person „ganz in seinem Werk aufgehen“ will, kennt und schätzt man auf Buchmessen und blauen Sofas. Hier geschieht es nicht.

Arno Geiger liest am 31.1., 19.30 Uhr, im Literaturhaus. Saaltickets sind ausverkauft, es gibt aber Streaming-Tickets zu 6,- unter www.literaturhaus-hamburg.de