Hamburg. Auftritt in Hamburg wird zum atemberaubenden Spektakel in acht Akten. Einen geschmacklichen Missgriff leistet sich der Weltstar aber.

Beyoncé Knowles gibt dem Publikum, was es will. Und wenn das Publikum im ausverkauften Hamburger Volksparkstadion die alten Hits will, den klassischen R’n’B, mit dem Beyoncé Mitte der Neunziger bekannt wurde, dann kriegt es die. Gleich zur Eröffnung spielt sie das 2001 erstmals veröffentlichte „Dangerously In Love“ ihrer früheren Band Destiny’s Child, dann „Flaws And All“, „1+1“, das Mary-J.-Blige-Cover „I’m Going Down“.

Toller Sound, tolle Band, tolle Beyoncé, aber ein bisschen fragt man sich, ob diese Perfektion, diese Stimmakrobatik, dieses Bedienen der Konvention zum Weltstar reicht. Beim Klassiker „River Deep, Mountain High“ sitzt die 41-Jährige auf einem silbernen Piano, es ist sympathisch, es ist unspektakulär. Aber es ist auch ein bisschen langweilig.

Beyoncé unterteilt ihr Konzert in Hamburg in acht Akte

Und dann setzt Beyoncé die Show wieder auf null. Der Abend nämlich ist unterteilt in insgesamt acht Kapitel, und die hitlastige Eröffnung war nur der „Opening Act“, der die Vorgruppe ersetzt – so ein Opening Act soll ein bisschen die Stimmung anheben, aber er soll auch Platz lassen für das, was dann folgt.

Es folgt: eine Umbaupause, und damit die nicht zu langweilig wird, fluten Visuals die riesige, atemberaubende Videowand. Der Star verwandelt sich virtuell in einen Cyborg, die Kamera jagt durch einen Tunnel, die Spannung steigt: „Welcome To The Renaissance“. Die Stimmung ist wie ausgewechselt, statt des sanften Soulgesangs vom Einstieg dominiert jetzt die harte Elektronik des aktuellen, weltweit gefeierten Albums „Renaissance“: das skelettierte „I’m That Girl“, das schroffe „Cozy“, das futuristische „Alien Superstar“.

Beyoncés Konzert in Hamburg wird zum politischen Tanztheater

Ihre achtköpfige Band braucht Beyoncé hier erst mal nicht mehr, der Sound ist weitgehend digital. Eigentlich schade, aber dafür bevölkern jetzt insgesamt 21 Tänzer die Bühne, und die machen unter der choreografischen Gesamtverantwortung von Fatima Robinson weit mehr, als man von einem Popkonzert erwartet. Im Grunde wird der Auftritt zum Tanztheater, bei dem sich die Tänzer und die Sängerin in eine zärtliche Gemeinschaft begeben, kurz darauf auseinanderstreben, synchrone Schritte vollziehen, um gleich wieder asynchron, individuell zu tanzen. Und um schließlich selbstbewusst die linke Faust zu heben – die ausgeklügelte Choreografie ist in ihrer Ikonografie hochpolitisch.

Beyoncé spannte im Volksparkstadion einen Bogen quer durch viele Musikstile.
Beyoncé spannte im Volksparkstadion einen Bogen quer durch viele Musikstile. © RENAISSANCE WORLD TOUR | Andrew White

Wobei Feiern, Tanzen, auch Sex bei Beyoncé ohnehin immer politisch gedacht werden. „Renaissance“ ist eine lautstark wummernde Verbeugung vor queerem Nachtleben, entgrenzter Sexualität und hedonistischer Lust, und wenn man diese Verbeugung in den Kontext des konservativen Kulturkampfes stellt, der nicht zuletzt in den USA tobt, dann wird einem klar, dass die Energie, die hier durchs Volksparkstadion schwappt, einen widerständigen Charakter hat. „More nudity and ecstasy“ fordert Beyoncé in „Virgo’s Groove“, „mehr Nacktheit und Exzess“, das ist eine Kampfansage an die Prüderie, die nicht nur in der US-Politik ein gewichtiger Faktor ist.

Beyoncé leistet sich einen geschmacklichen Missgriff

Was sich bei solch einem politischen Selbstverständnis allerdings nicht vermeiden lässt: der Vorwurf kultureller Aneignung, die Frage, ob eine privilegierte (und heterosexuelle) Millionärin die Kämpfe um LGBTQ-Selbstbestimmung überhaupt nachvollziehen kann. Und ob man eigentlich noch in den Spiegel schauen kann, wenn man ein so klar queeres Programm wie die „Renaissance World Tour“ ausgerechnet in Dubai startet, wo Homosexualität strafbar ist, auf einem mit 24 Millionen Dollar entlohnten Privatkonzert. Immerhin – Beyoncé legt ihre Einflüsse offen, in einem langen Einschub bei „Break My Soul“ rappt sie die Namen Schwarzer Künstlerinnen, bei denen sie sich bedient, Grace Jones, Missy Elliott, Santigold. Aneignung ist das trotzdem, aber immerhin ist es Aneignung mit Respekt.

Kapitel um Kapitel geht es weiter, bei „Motherboard“ macht der Abend einen Schlenker in Richtung House und Disco, bei „Opulance“ geht es um Militanz (und dass der Star bei „Black Parade“ mit einem glitzernden Panzer über die Bühne fährt, ist vielleicht der einzige geschmackliche Missgriff in diesem ästhetisch weitgehend sicheren Arrangement), bei „Anointed“ um Religion, „Mind Control“ ist ein explizit politisches Kapitel, das in seiner medienkritischen Eindeutigkeit ein wenig hinter Beyoncés gesellschaftlichem Gesamtkonzept zurückbleibt, aber immerhin das düstere „America Has A Problem“ beinhaltet.

Beyoncé spannt in Hamburg einen Bogen über viele Musikstile

Musikalisch spannt der Abend einen Bogen vom Hip-Hop über Soul und House zurück zum R’n’B, manchmal innerhalb eines einzigen Songs – „Church Girl“ ist so ein Beispiel für die Vielschichtigkeit dieser Kompositionen, mit einem harmonischen Soul-Einstieg, den bald ein harscher Rap ablöst, und die Band wird bei Bedarf auch mal wieder auf einem mobilen Podest auf die Bühne gerollt. Acht Kapitel, 32 Songs, gut zweieinhalb Stunden Spieldauer, bei denen ununterbrochen etwas passiert – Respekt.

Auch wenn das, was da passiert, manchmal höherer Blödsinn ist: „Plastic Off The Sofa“ performt Beyoncé etwa aus einer riesigen Auster heraus, wie Botticellis „Geburt der Venus“, allerdings im Disco-Ambiente. Lustig. Aber auch albern.

Es ist der längste Tag des Jahres. Als das Konzert gegen 22 Uhr in die Zielgerade geht, scheint noch die Sonne über dem Volkspark. Als Zugabe gibt es „Summer Renaissance“, das klingt nach der hellen Sommernacht, aber tatsächlich bezieht sich der Titel auf die 2012 gestorbene Discokönigin Donna Summer: „Summer Renaissance“ ist eine Neuauflage ihrer 1978 erschienener Schwulenhymne „I Feel Love“.

Der Beat also wummert orgiastisch, Beyoncé besteigt das Discokugel-Pferd vom „Renaissance“-Cover – und schwebt langsam und majestätisch über die Köpfe des ekstatisch tanzenden Publikums. Kein Konzert, ein Ereignis.