Hamburg. Das Bucerius Kunst Forum zeigt zum 20. Jubiläum die erste große Einzelausstellung über die US-Fotografin der Moderne in Deutschland.
Hingabe, Mut, Entschlossenheit – all das, was Lee Miller ausmachte, spricht aus einem einzigen Foto: Darauf sieht man sie als elegante ältere Dame beim Rupfen frischer Maiskolben; sie blickt herausfordernd direkt in die Kamera. So, als würde sie sagen: „Und, was dagegen, dass ich jetzt nur noch leidenschaftlich gerne koche, nachdem ich Jahrzehnte lang fotografiert habe, nicht nur die Schönheit von Mannequins sah, sondern auch den Schrecken in Konzentrationslagern?“
Das Foto stammt aus der Ausstellung „Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ im Bucerius Kunst Forum, der ersten großen Einzelausstellung zu dieser Ausnahmekünstlerin der Moderne. Entstanden ist das Bild 1960 auf der Farley Farm im englischen Sussex, und tatsächlich hat sich Lee Miller da schon weitgehend von ihrem beruflichen Leben verabschiedet. Aber was für ein erstaunliches Leben das war!
Ausstellung Hamburg: Lee Millers Weg vom „Vogue“-Model zur Kriegsreporterin
Elizabeth „Lee“ Miller (1907–1977) startete als Bühnen- und Lichtgestalterin in New York, und schon die Anekdote, die sich um ihre Entdeckung als Model rankt, ist kaum zu glauben: Angeblich soll der US-Verleger Condé Nast sie 1927 am Arm von der Straße gezogen haben, kurz bevor ein Laster sie überrollte, und bei der amerikanischen „Vogue“ engagiert haben.
Auch wenn zahlreiche Selbstporträts von der großen Lust der (Selbst-)Inszenierung zeugen, wurde der jungen Frau das Posieren vor der Kamera wohl schnell zu langweilig. In Paris schloss sie sich der männerlastigen Surrealisten-Clique um den Fotografen Man Ray an und assistierte ihm zunächst, obwohl er gar keine Aushilfe suchte. 1932 eröffnete sie ihr eigenes, sehr erfolgreiches Fotostudio in New York.
In Ägypten entstanden Millers bekannte surrealistische „Portraits of Spaces“
Die Jahre in Paris sollten prägend für ihren künstlerischen Blick sein und äußerten sich in ungewöhnlichen Bildausschnitten und Gegenüberstellungen, provokanten Perspektiven und Motiven. Ihre radikalste Antwort auf den männlichen Surrealismus, der von Frauen oft nur einzelne Körperteile in den Mittelpunkt rückt (wie Man Ray, der ihre Lippen im Himmel zeigte), ist die Arbeit „Ohne Titel (Amputierte Brust von einer Mastektomie mit Gedeck 1 +2“) von 1929, bei der sie zwei weibliche Brüste jeweils auf einem Porzellanteller anrichtete.
Nach einer amourösen Zwischenstation in Ägypten, wo sie den Geschäftsmann Aziz Eloui Bey heiratete und ihre bekanntesten surrealistischen Arbeiten, die „Portraits of Spaces“, schuf, folgte die wohl prägendste Phase ihres Lebens: Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs zog Lee Miller nach London zu ihrem neuen Partner, dem Künstler Roland Penrose. Der „Vogue“ blieb sie auch dort treu, berichtete über Mode und Kunst – und über ihre Kolleginnen im Luftschutzbunker.
Die Fotografin wurde Zeugin der massiven deutschen Bombenangriffe
Aber sie dokumentierte auch den „London Blitz“, die massiven Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe zwischen 1940 und 1941. Wenig später meldete sie sich als offizielle Kriegsberichterstatterin für die US-amerikanische Armee und reiste in Begleitung des „Life“-Fotografen David E. Sherman den Truppen hinterher von Deutschland bis nach Frankreich – ein Foto in der Ausstellung zeigt die Reporterin in ihrem Jeep: lächelnd, enthusiastisch, in der vollen Überzeugung, das Richtige zu tun.
Lee Miller berichtete aus Militärlazaretten und erlebte im französischen St. Malo das Frontgeschehen hautnah. Als die Amerikaner 1945 das Konzentrationslager Buchenwald befreiten, hielt sie das Grauen in Bildern fest. Das KZ Dachau erreichte die Fotografin einen Tag nach dessen Befreiung.
Zusammen mit Scherman wurde sie in Hitlers Privatwohnung in München einquartiert. Dort entstand das berühmte Bild, auf dem die Fotografin sich in Hitlers Badewanne wäscht, ihre dreckigen Stiefel stehen auf dem Badvorleger. Die feindlichen Deutschen wollte sie auf diese Weise entmystifizieren, unterwerfen. „Den Gestank Dachaus in meiner Nase bin ich nie wieder losgeworden“, soll sie Jahre später gesagt haben.
Direktorin Kathrin Baumstark will die ganze Lee-Miller-Biografie zeigen
„Vielleicht hat sich Lee Miller deshalb später Rezepte mit so intensiven Aromen ausgesucht, sich so leidenschaftlich ins Kochen und Bewirten von Gästen gestürzt“, so die Theorie von Kathrin Baumstark. Die Direktorin des Bucerius Kunst Forums hat die Ausstellung kuratiert, dabei wesentliche Elemente wie die zarte und dennoch pointierte Farbgebung der Wände von ihren Kollegen Karin Gimmi und Daniel Blochwitz vom Museum für Gestaltung Zürich übernommen.
Die Fotografien stammen sämtlich aus den Lee Miller Archives in East Sussex. Was Baumstark besonders wichtig ist: „Ich wollte die ganze Lee Miller zeigen, vor allem auch ihre gesamte Biografie und nicht nur den häufig kolportierten Eindruck, die Fotografin habe nach 1946 nur noch besoffen im Delirium gelegen und nichts mehr gemacht, was einfach nicht stimmt.“
Ausstellung Hamburg: Erlebnisse in Konzentrationslagern waren für Lee Miller traumatisch
Und doch hatten die Erlebnisse an der Front und in den Konzentrationslagern eine so traumatische Wirkung, dass Lee Miller ihre Rolleiflex ab Mitte der 1940er-Jahre fast nur noch im Privaten einsetzte. Zusammen mit Roland Penrose und ihrem Sohn Antony, den sie 1947 zur Welt brachte, zog sie sich auf den Landsitz Farley Farm in Sussex zurück und widmete sich ihrer letzten großen Leidenschaft: dem Kochen.
Sie ließ sich an der renommierten Kochschule „Le Cordon Bleu“ in Paris ausbilden, nahm an Wettbewerben teil und lud ihre Künstlerfreunde Pablo Picasso und Max Ernst zu regelmäßigen Gourmet-Wochenenden ein (bei denen die Gäste ordentlich mit anpacken mussten). In der Ausstellung sind einige ihrer originellen Rezepte wie etwa Marshmallow-Cola-Eis auf Karten zum Mitnehmen gedruckt.
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Verarbeitet hat Lee Miller das in Deutschland Erlebte wohl nie. Sie verbannte ihre Negative auf den Dachboden von Farley House und zerstörte sämtliche Abzüge. Als 30-Jähriger fand ihr einziger Sohn Antony Penrose das faszinierende Archiv seiner Mutter und ließ moderne Abzüge davon anfertigen. Dass diese Ausstellung, die ihr gesamtes Schaffen zwischen Schönheit und Schrecken würdigt, nun doch zu sehen ist, ist ihm zu verdanken.
„Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ 10.6. bis 24.9., Bucerius Kunst Forum (U/S Jungfernstieg), Alter Wall 12, täglich 11.00–19.00, Do 11.00–21.00, Eintritt 12,-/6,- (erm.), www.buceriuskunstforum.de