Hamburg. Christian Petzolds neuer Film „Roter Himmel“ ist eine Sommernachtssexkomödie, die zur Tragödie wird.
Das zweite Werk ist immer das schwerste. Klar, ein Debüt muss auch erst mal gelingen. Aber der Zweitling beweist, ob man nur eine Eintagsfliege ist oder wirklich was kann. Christian Petzold musste das selbst erfahren. Nach dem Erfolg seines Debüts „Pilotinnen“ drehte er 1996 „Cuba Libre“: „Der Film eines jungen Mannes, der sagen wollte: Hey ich bin Cineast, ich habe echt Ahnung“, wie er heute zugibt. Er sei da nicht Regisseur gewesen, er habe das eher gespielt. Es war das Grauenhafteste, das er je erlebt hat.
Jetzt, nach fast 30 Jahren und 15 Filmen, muss Petzold sich eigentlich nicht mehr beweisen. Aber er hat die Reife und Größe, das Scheitern von einst zu verarbeiten, und dies sehr ironisch. In „Roter Himmel“ ist Leon (Thomas Schubert) ein Jungliterat, dessen Debüt gefeiert wurde und der nun an einem neuen Buch sitzt, dessen Titel an „Cuba Libre“ erinnert: „Club Sandwich“.
„Roter Himmel“: Paula Beer bringt die Männer durcheinander
Leon ahnt, dass es kein Geniestreich wird. Deshalb fährt er mit seinem Freund Felix (Langston Uibel) in ein Waldhaus an der Ostsee, um in Ruhe zu arbeiten. Aber nichts läuft so, wie er sich das ausgemalt hat. Schon das Auto bleibt im Wald liegen. Und im Haus sind sie auch nicht allein. Sie müssen es mit Nadja (Paula Beer) teilen. Die sorgt für Chaos. Und hat wilden und vor allem lauten Sex mit dem Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs). An Arbeit ist da nicht zu denken.
Auch Felix müsste eigentlich eine Mappe für die Kunsthochschule fertigstellen, er will aber erst mal abschalten, lässt sich von dem Pärchen anstecken, fängt selbst was mit Devid an. Alles ist hier möglich und fließend. Nur der bockige Leon schließt sich selbst aus, obwohl er immer wieder heimlich nach Nadja schielt.
Einmal mehr muss Paula Beer als Petzolds Muse die Männer durcheinanderbringen. Und das klassische Männlichkeitsdenken gleich mit. Leon gibt ihr schließlich sogar sein Manuskript zu lesen. Doch ihr Urteil ist vernichtend. Dann schaut auch noch Leons Verleger (Matthias Brandt) vorbei, dessen Urteil nicht gnädiger ist. Und der mehr Interesse an Nadja als an seinem Autor zeigt.
Erst sind die Herzen entflammt, dann steht die Welt in Flammen
Klingt nach einem klassischen leichten Sommerfilm über junge Menschen, wie man das eher aus Frankreich kennt, insbesondere von Eric Rohmer. Aber von Anfang an dräut ein Unheil über alledem. Das klingt schon im Titel an. Und der erste Satz, der hier fällt, heißt nicht zufällig: „Irgendwas stimmt nicht.“
Als sechste Kraft webt Petzold hier die Waldbrände der letzten, viel zu trockenen Sommer und damit den Klimawandel ein. Erst dröhnen Löschflugzeuge am Himmel, dann warnt die Feuerwehr vor Waldbränden, nachts kann man von Ferne die Feuersbrunst sehen. Scheint alles weit weg. Aber dann schweben Aschepartikel in der Luft. Und Sirenen dröhnen. Erst sind die Herzen entflammt, dann steht die Welt in Flammen.
„Roter Himmel“ – Fans von Christian Petzold könnten irritiert sein
Es ist ein ungewohnter Petzold-Film. Viel leichter, sonniger und zugänglicher als seine früheren Werke. Weshalb „Roter Himmel“ bei seiner Berlinale-Premiere auch großen Zuspruch erlebte. Vor allem bei jenen, die sonst eher nicht so viel mit dem Vertreter der Berliner Schule und seinen schweren Gespenster-Seelendramen anfangen können.
Treue Fans könnten dagegen irritiert sein. Ist der Regisseur doch sonst ein Meister der Andeutungen, Nuancen und Mehrdeutigkeit. Hier aber überrascht er mit ungewohnter Eindeutigkeit. Ein Film ohne Geheimnis. Seine Fährten legt er fast penetrant aus. Sodass man förmlich darauf wartet, wann wohl das Inferno kommt, das die Sommernachtssexkomödie jäh in eine Tragödie kippt.
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Petzold tut dies freilich mit einer Volte, die erschauern lässt. Erst nach diesem Fanal wird Leon ein gutes Buch gelingen. Weil er nicht mehr nur so tut, als sei er Künstler, sondern endlich aus eigenen, schmerzvollen Erfahrungen schöpft. Ein Phoenix aus der Asche.
„Roter Himmel“ 102 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Abaton, Elbe, Holi, Koralle, Zeise