Hamburg. Spektakuläre Schau in der Hamburger Kunsthalle: Wie uns der Maler das Sehen und die Wertschätzung der Natur lehrt.
Er hat den Watzmann nie besucht – und den Berg trotzdem wie kaum ein anderer Maler beeindruckend eingefangen. An den Hafen seiner Heimatstadt Greifswald setzte er nach Belieben Schiffe und Anker in den Sand, die er vielleicht ganz woanders entdeckt hatte. Die berühmten Kreidefelsen auf Rügen hat man Hunderte Male versucht in der Realität zu identifizieren, aber ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Caspar David Friedrich (1774–1840) zeichnete mit größter Präzision Pflanzen, Bäume, Gebirge und Küsten in freier Natur, komponierte seine Landschaften aber anschließend im Atelier zu fantastischen Panoramen. Hauptsache: Stimmung. Sie ist es, die uns in die Bilder zieht, uns vor ihnen still werden, nachdenken oder träumen lässt.
Caspar David Friedrich in der Kunsthalle: Zeit für eine neue Romantik!
Gleich das erste Gemälde, das das Publikum in der großen Ausstellung „Kunst für eine neue Zeit“ empfängt, entfaltet diese besondere Wirkung: „Mönch am Meer“ (1808–1810) zeigt eine einsame Rückenfigur am Strand, daneben sind nur ein paar kleine Möwen zu erkennen, das ganze Gemälde ist Meer und Himmel. Das Sehnsuchtsbild par excellence. Für die einen strahlt es Hoffnung aus, für die anderen symbolisiert es eine ewige Sinnsuche und gar Todessehnsucht.
„Der Mensch kommt in die Natur, um etwas zu erleben, er hat Fragen an sie. Das Sehen ist das zentrale Thema der Ausstellung“, sagt Kurator Markus Bertsch. Caspar David Friedrich lehrt uns das Sehen. Und weist uns mit seinem sich durchziehenden Dreiklang aus Himmel, Wasser und Landschaft immer und immer wieder auf die Kostbarkeit der uns umgebenden Natur hin. Das ist es, was den Künstler so aktuell und zum „Maler der Stunde in diesen finsteren Zeiten“ macht. So hat es Florian Illies, Journalist und Autor des Buches „Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten“ jüngst in einem „Zeit“-Artikel formuliert.
70 Gemälde, darunter Leihgaben von renommierten Museen aus ganz Deutschland, der Schweiz und Kopenhagen, sowie rund 100 Zeichnungen hat Bertsch für die Kunsthallen-Ausstellung zusammengetragen. Doch ist die Schau nicht bloß eine Retrospektive; sie bringt den großen Maler der Romantik zusammen mit zeitgenössischen Arbeiten, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur in Zeiten des Klimawandels und bedrohter Umwelt auseinandersetzen oder sich ganz konkret auf Werke Friedrichs beziehen.
Caspar David Friedrich: Bilder zum ersten Mal in der Galerie der Gegenwart
Erster cooler Kuratoren-Move: Im Makart-Saal mit bedeutenden Kunstwerken des 19. Jahrhunderts, die wie in einem Salon gehängt sind, empfangen die Besucherinnen und Besucher zwei monumentale Bilder des 1977 geborenen kalifornischen Künstlers Kehinde Wiley: Linker Hand blickt ein junger schwarzer Mann im Trenchcoat à la „Wanderer“ in eine neblige Gebirgslandschaft, rechter Hand stehen sich zwei schwarze Männer in Sportkleidung auf den Kreidefelsen von Rügen gegenüber – ihre Hände wie zum Klatschen bereit, verharren sie in einer seltsamen Pose, einer von ihnen blickt einen direkt an.
„Looking of history through contemporary eyes“, erklärt Kunsthallen-Direktor Alexander Klar den rund 20 internationalen Journalistinnen und Journalisten zum Beginn des Presserundgangs. Caspar David Friedrich in unsere heutige Zeit verpflanzen – das möchte die Ausstellung und macht dies auch ganz praktisch: Zum ersten Mal werden seine Bilder in der Galerie der Gegenwart gezeigt.
Nach dem retrospektiven Teil der Ausstellung auf der ersten Etage folgt der zeitgenössische im zweiten Stockwerk der Galerie. Ólafur Elíasson spielt in „Colour Experiment No. 86“ (2019) mit der Farbpalette des Romantik-Malers, Elina Brotherus hat sich selbst als Rückenfigur im schwarzen Mantel in eine Nebellandschaft verortet („Der Wanderer 2“, 2004). Der Berliner Andreas Mühe zeigt in seiner Serie „Neue Romantik“ einen einsamen nackten Mann im „Gespensterwald“ (2024/15). Vom Hamburger Maler Jochen Hein sind zwei faszinierende Wolkenbilder mit durchbrechender Sonne ausgestellt („Sky“, 2023). Jonas Fischer hat ein Online-Archiv aus 813 Digitaldrucken erstellt („Cloud Index“, seit 2020), die Emissionen aus Verbrennungsanlagen für fossile Brennstoffe zeigen. So wird das romantische Motiv vorbeiziehender Wolken zum Dokument zerstörerischer Umweltverschmutzung.
Auch wenn man viele der ikonischen Friedrich-Bilder aus der Sammlung der Kunsthalle kennt, „Wanderer über dem Nebelmeer“, „Das Eismeer“ oder „Meeresufer im Mondschein“, ist es ein großer Genuss, wie jedes einzelne von ihnen im Zusammenspiel mit Meisterwerken anderer Museen an den dunkelgrau gestrichenen Wänden wirkt. Markus Bertsch und Johannes Grave von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena haben klug und reduziert gehängt und zum Glück schnell den chronologischen Pfad zugunsten thematischer Schwerpunkte wie „Seestücke und Fischer““ oder „Wolken, Nebel, Licht und Farbenspiel“ verlassen. Und wie so oft, wenn die Kunst ihren Zauber entfaltet, hilft kein Erklären. „Sehen Sie selbst!“, entlassen die Kuratoren denn auch ihr Publikum.
- Caspar David Friedrich: Warum die Kunsthalle den „Wanderer“ nicht haben wollte
- Caspar-David-Friedrich-Ausstellung: Meisterwerk wieder in Hamburger Kunsthalle
- Florian Illies: „Hamburg machte Caspar David Friedrich groß“
„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“15.12.–1.4.2024, Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.), kunsthalle-hamburg.de