Hamburg. Klanglich hochwertige Jazz- und Klassikalben sind auf Vinyl der ganz große Verkaufsschlager. Fans sind bereit, enorme Summen zu zahlen.

400 Euro für eine einzige Langspielplatte? Nicht etwa für ein Beatles-Original, auf dem die Fab Four unterschrieben haben, sondern für eine aktuelle Veröffentlichung, kann das wirklich sein? Es kann: Der ungebremste Vinyl-Boom (in den USA wurden erstmals seit 1987 mehr LPs als CDs verkauft) führt zu Entwicklungen, die sich wohl niemand hatte vorstellen können, der Ende der Achtziger all seine Platten für eine Handvoll Kleingeld verscherbelte, um fortan komplett auf CDs zu setzen.

Nun sind die 400 Euro der britischen Electric Recording Company für ihre streng limitierten LPs zwar eine Ausnahme, doch der Trend zum hochpreisigen Vinyl mit bestmöglicher Klangqualität ist unübersehbar und lockt immer neue Anbieter auf den Markt.

Vinyl: Geld spielt für viele Käufer von LPs keine Rolle

Veröffentlicht werden als sogenannte audiophile Versionen vor allem Archivschätze, insbesondere aus dem Bereich Jazz. Hier war es zunächst das inzwischen zum Universal-Konzern gehörende Label Blue Note, das mit den Reihen „Tone Poet“ und „Blue Note Classic“ auf eine Qualitätsoffensive setzte. Und das so erfolgreich, dass viele Veröffentlichungen der vergangenen vier Jahre derzeit nicht mehr erhältlich sind.

John Coltranes „Blue Train“ in der luxuriösen Tone-Poet-Variante
John Coltranes „Blue Train“ in der luxuriösen Tone-Poet-Variante © Blue Note/Universal

Zwar werden sie alle – so versprechen die Macher – nachgepresst, doch wann, ist ungewiss- Und bis dahin wird für bestimmte Aufnahmen auf dem Zweitmarkt gern das Zwei- bis Dreifache verlangt. Bei aktuellen Neupreisen von 40 bis 45 Euro (Tone Poet) keine kleine Summe.

Herbie Hancock, Chet Baker, Duke Ellington und natürlich John Coltrane, dessen einzige Blue-Note-Platte („Blue Train“) sowohl in einer Mono- als auch in einer Stereoversion veröffentlicht wurde, zählen zu den Verkaufsschlagern.

Vinyl: Von überragender Wichtigkeit ist für Fans die Klang- und Pressqualität

Allerdings lässt sich längst nicht mehr allein mit großen Namen punkten. Von überragender Wichtigkeit ist bei Käufern die Klang- und Pressqualität, wobei Erstere (zumindest gefühlt) auch davon abhängt, ob es sich um eine rein analoge Veröffentlichung handelt oder bei der Fertigung digitale Zwischenschritte, etwa bei der Abmischung oder beim Mastering, notwendig waren.

Für Puristen zählt ausschließlich „all analog“ (AAA), und für Plattenfirmen ist dieses Etikett wichtig, weil nur mit ihm Preise von 40 Euro und mehr aufgerufen werden können.

Wer hier trickst und irgendwann auffliegt, beschädigt seinen Ruf dauerhaft und steht möglicherweise auch finanziell vor dem Ruin: Die US-Firma MoFi hatte ihre teuren Schallplatten als „komplett analog“ beworben, dann kam heraus, dass es bei vielen Veröffentlichungen einen digitalen Zwischenschritt gab. Das Ergebnis war eine Sammelklage von Käufern und ein Vergleich, der MoFi bis zu 25 Millionen US-Dollar kosten könnte. Vom Image-Desaster ganz zu schweigen.

Es ist, als säße man in einem kleinen Jazzclub und würde die Band live hören

Trotz dieses Negativbeispiels ist der Run auf audiophile AAA-Veröffentlichungen weiterhin riesengroß – weshalb immer mehr Label mit entsprechenden Alben auf den Markt drängen. Neu dabei sind etwa die Original Jazz Classics, produziert von der US-Firma Craft, die zum Auftakt zwei Klassiker auf den Markt bringt: „Workin’ With The Miles Davis Quintet“ (1956) und „Thelonious Monk With John Coltrane“ (1957/58). 180 Gramm schweres Vinyl, extra stabile, hochwertige Coverhüllen, das Mastering von Kevin Gray, dem Guru der Szene – das kostet den Fan auch in diesem Fall mindestens 40 Euro.

Original Jazz Classics: „Workin’ With The Miles Davis Quintet“
Original Jazz Classics: „Workin’ With The Miles Davis Quintet“ © Jutta Schmitt

Viel Geld. Doch wer diese Platten hört, ist begeistert. Wann haben einzelne Instrumente zuletzt so lebendig und transparent geklungen? Es ist, als säße man in einem kleinen Jazzclub und würde die Band live hören. Da kommt keine CD und schon gar kein Streamingdienst mit.

Ähnlich großartig: Die neu aufgelegte „Luminessence“-Serie des Münchner Labels ECM, das jetzt Klassiker aus dem Backkatalog in audiophilen Vinylversionen herausbringt. Zum Beispiel „Gnu High“ (1975) von Trompeter Kenny Wheeler, mit Keith Jarrett am Piano, Dave Holland am Bass und Jack DeJohnette am Schlagzeug.

Dass diese Serie von Fans lange herbeigesehnt wurde, ist insofern etwas erstaunlich, als die ECM-Alben auch schon auf CD durch eine herausragende Klangqualität überzeugen.


Manche LPs sind streng limitiert und werden nur online vertrieben

Aber vielleicht ist es der Akt des Platteauflegens, ist es diese besondere Konzentration, die damit einhergeht, die Nadel behutsam aufzusetzen, die für einen zusätzlichen Kick sorgt. Der dann einigermaßen gelassen hinnehmen lässt, dass Vinyl – auch das gehört zur Wahrheit – gelegentlich ein wenig knistert. Nach den vielen CD-Jahrzehnten ist man das ja gar nicht mehr gewohnt. Wobei die Pressqualität bei fast allen audiophilen Veröffentlichungen enorm hoch ist.

Neuester Teilnehmer im Kampf um Käufer, die bereit sind, kräftig in ihr Hobby zu investieren, ist die Firma Rhino, die ihre „High Fidelity“-Reihe mit Alben von John Coltrane und der Rockband The Cars startet.

Auch in der Klassik wird vermehrt auf luxuriöse und teure Vinylversionen gesetzt

Limitiert auf jeweils 5000 Exemplare weltweit und vertrieben exklusiv online, was den Preis (inklusive Versand und Zoll) für europäische Fans auf ungefähr 70 Euro pro Tonträger hochschraubt. Absatzsorgen muss Rhino sich trotzdem nicht machen: Für den bestmöglichen Sound greifen genügend Fans tief in die Tasche.

Kenny Wheelers „Gnu High“ ist die erste Veröffentlichung in der audiophilen Vinylserie „Luminessence“ des ECM-Labels.
Kenny Wheelers „Gnu High“ ist die erste Veröffentlichung in der audiophilen Vinylserie „Luminessence“ des ECM-Labels. © ECM Records

Und nicht nur im Bereich Jazz ist momentan finanziell so ziemlich alles möglich. Auch in der Klassik hat man den Trend erkannt, und so startet die Deutsche Grammophon Anfang Juni ihre rein analoge Vinylserie „The Original Source“ (die Originalquelle). Man habe die originalen Vier-Spur-Bänder aus den 70er-Jahren verwendet und in „100% analoger Qualität“ neu gemastert und geschnitten.

Vinyl – warum das neue Hörerlebnis analog sein muss

Die klanglichen Unterschiede zu den Originalveröffentlichungen seien beträchtlich. „Größere Klarheit, mehr Feinheiten und Verbesserungen im Frequenzgang, zugleich weniger Nebengeräusche, Verzerrungen und Komprimierungen ermöglichen ein audiophiles Hörerlebnis wie nie zuvor“, heißt ganz unbescheiden im Werbetext.

Auch diese Serie auf 180-Gramm-Vinyl im Deluxe-Klappcover ist limitiert und sogar nummeriert. Los geht es unter anderem mit den Berliner Philharmonikern und Herbert von Karajan (Verdis „Messa da Requiem“) und den Wiener Philharmonikern unter Carlos Kleiber (Beethovens Siebte). Kostenpunkt: 40 bis 65 Euro.

Keine Schnäppchen, zugegeben, aber doch deutlich günstiger als die ganz aktuelle Veröffentlichung der Electric Recording Company: Für eine Doppel-LP mit Bachs Brandenburger Konzerten sind hier 750 Euro fällig.