Hamburg. Das irische Filmdrama „The Banshees of Inisherin“ erzählt vor fantastischer Kulisse vom Ende einer Freundschaft.
Der Volksmund ist ja immer schnell dabei mit drastischer Wortwahl, von wegen: Man reicht jemandem den kleinen Finger und der nimmt die ganze Hand. Ist ja nur sinnbildlich zu verstehen. Wie aber, wenn das ganz wörtlich gemeint ist? Das zeigt auf sehr makabre Art „The Banshees of Inisherin“, Martin McDonaghs neuer Film, der in dieser Woche in die Hamburger Kinos kommt.
Von einem Tag auf den anderen kündigt da ein bärbeißiger alter Mann seinem bis dato besten Kumpel die Freundschaft auf. Und weil es keinen Grund dafür gibt und der Andere die Welt nicht mehr versteht, droht der Alte ihm: Wenn er ihn künftig noch mal belästige, werde er sich einen Finger abschneiden. Wir verraten nicht zu viel, wenn wir konstatieren, dass es nicht bei der Drohung bleibt. Und dass es auch mit einem Finger noch nicht getan ist.
The Banshees of Inisherin: Auf dem kargen Eiland scheint die Zeit stehen geblieben
Der Film mit dem zugegeben recht komplizierten Titel spielt auf einer abgelegenen irischen Insel vor genau 100 Jahren. Drüben, auf dem Festland, tobt gerade der irische Bürgerkrieg. Kanonen- und Gewehrschüsse künden zuweilen aus der Ferne davon. Doch die fiktive Insel Inisherin ist davon nicht betroffen. Auf dem einsamen, kargen Eiland an der Westküste, wo das Leben hart und entbehrungsreich ist, scheint die Zeit stehen geblieben. Hier passiert nicht viel. Die wenigen Insulaner treffen sich einmal die Woche in der Kirche, die Männer zudem einmal am Tag im Pub.
Und da ist es schon allgemeiner Gesprächsstoff, wenn Colm (Brendan Gleeson) eines Tages nicht mehr neben Pádraic (Colin Farrell) sitzen und nicht mehr ihm sprechen will. Colm hält diese Freundschaft plötzlich für Zeitverschwendung. Weil er seine Zeit bald gekommen sieht, will er das wenige, das noch bleibt, fürs Philosophieren und für seine geliebte Musik aufbringen. Dem Jüngeren bricht er damit das Herz. Der hat nicht viel und will um diese Freundschaft kämpfen. Wie aber soll Colm komponieren, wie seine geliebte Fidel spielen, wenn er seine Drohung schließlich wahr macht und buchstäblich Hand an sich legt?
Mit nur wenigen Filmen hat es Martin McDonagh zum Kultregisseur gebracht
Es ist eine rohe, fast archaische Fabel, die hier erzählt wird, eine über Freundschaft, Verrat – und Einsamkeit. Verortet in einer kargen, rauen Welt. Auf den Àrainn Islands, auf denen der Film gedreht wurde, boomt heute der Tourismus. Damals aber kehrt, wer es nur kann, dem öden Flecken den Rücken. Weil es hier wenig Arbeit gibt. Aber viel Engstirnigkeit. Die Weite der Landschaft wirkt eher klaustrophobisch. Und der Aberglaube tut ein Übrigens. Denn man glaubt noch an mythische Todesfeen, die titelgebenden „Banshees“, die einst den Todgeweihten ihr Ende durch ihren Gesang ankündigten. Die Geister sind zwar längst verstummt, spuken aber noch immer in den Köpfen herum. Colm widmet ihnen sogar eine Komposition. Und da gibt es noch eine Alte im Dorf, die als Hexe verschrien ist – und wie die alten Feen einen baldigen Tod prophezeit.
Der Film ist irisch durch und durch. Geprägt von seiner malerischen, aber auch schroffen Landschaft. Geprägt von den verschlossenen, wortkargen Bewohnern. Und ihrer melancholischen Musik, die sie im Pub spielen. Man muss „The Banshees“ unbedingt im Original mit Untertitel sehen. Nicht dass man den schweren Akzent verstehen könnte. Aber es ist einfach so viel authentischer und wahrhaftiger.
Das Stück feiert eine späte Premiere auf der Leinwand
„The Banshees of Inisherin“ war eigentlich der dritte Teil der Árainn-Island-Trilogie. Für jede der drei Inseln, auf denen McDonagh als Kind viele Sommer verbrachte, hat er ein Theaterstück geschrieben: 1996 „The Cripple of Inishmaan“, 2001 „The Lieutenant of Inishmore“. Die Idee zu „Inisherin“, die auf die Insel Inisheer zurückgeht, hatte er sogar noch früher, schon 1994. Doch aus unerfindlichen Gründen kam das Stück nie zur Aufführung. An der Qualität und seiner Kraft kann es nicht gelegen haben. Jetzt aber feiert es späte Premiere auf der Leinwand.
Denn längst ist McDonagh auch ein erfolgreicher Filmregisseur, der mit nur wenigen Filmen zum Kultregisseur avancierte und für seinen letzten Film „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (2017) zahllose Preise, darunter zwei Oscars, gewann. Auch jenes Drama handelte schon von kauzigen, etwas einfältigen Figuren in einer abgelegenen Provinz. Und schon da musste man sich einen recht komplizierten Titel merken, der sich aber erstaunlich gut eingeprägt hat.
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„The Banshees of Inisherin“: Auf dem Filmfestival von Venedig gab es zwei Preise
Mit „The Banshees“ kehrt McDonagh zudem zu seinen Anfängen als Filmemacher zurück. Denn schon in seinem Spielfilmdebüt „Brügge sehen… und dann sterben?“ (2008) arbeitete der Ire mit seinen Landsmännern Colin Farrell und Brendan Gleeson zusammen. Und wollte seitdem immer wieder mit ihnen zusammenkommen, musste aber erst den richtigen Stoff dafür finden. Und fand ihn schließlich in seinem alten, nie aufgeführten Theaterstück. Auf dem Filmfestival von Venedig, wo der Film Premiere hat, gab es gleich zwei Preise. Einen für Collin Farrell als besten Schauspieler und einen für McDonagh für das beste Drehbuch.
Seine Geschichte erzählt er wieder auf unnachahmlich trockene, lethargische Art. Und dabei tut sich ein ganzer Kosmos auf. Eigentlich wirkt das Ende dieser Männerfreundschaft wie das typische Trauma einer Ehetrennung. Aber natürlich spielt sie nicht zufällig vor dem Bürgerkrieg, sie wird zum Fingerzeig, zum Spiegelbild der großen Historie. Auch hier werden aus Brüdern plötzlich Feinde, auch wenn am Ende keiner so genau weiß, wieso. Wie alle Fabeln ist auch diese eigentlich eine ganz schlichte Mär, die doch viel Tiefe hat und viele Interpretationen zulässt. Ein starker Start ins neue Kinojahr.
„The Banshees of Inisherin“ läuft im Abaton, Studio, Holi und im Zeise.