Hamburg. Comeback des deutschen Literatur-Exports: Es geht um den Regisseur G.W. Pabst und die Verstrickung ins Böse. Tarantino lässt grüßen.

Dies ist ein großer, fiebriger, plastischer, ein unterhaltsamer Versuch über das Böse. Das Böse, das über die Menschen kommt als Gewaltakt der Geschichte. Kann man sich dieser schicksalhaften Gewalt entziehen, muss man es? Wenn man schon nicht gegen dieses Böse zu Felde zieht? Wie sieht Schuld aus?

In „Lichtspiel“, dem jetzt erscheinenden neuen Roman von Starautor Daniel Kehlmann, ist es der Regisseur G.W. Pabst (Georg Wilhelm, 1885-1967), der dem Stresstest des Bösen ausgesetzt ist. Eines unterschied ihn von den anderen Film-Granden der Weimarer Republik, von Lubitsch und Lang (Murnau war bereits 1931 gestorben): Er hielt es so dermaßen nicht in Hollywood aus, dass er zurück nach Europa ging. Zuerst nach Frankreich, dann ins Reich. Eine „Heimkehr“, die keine war, denn der Ungeist der Nazis hatte alles, was schön war und aufregend und stilbildend, hatte die deutschsprachige Avantgarde hinweggefegt.

Daniel Kehlmann: Sein neuer Roman heißt „Lichtspiel“

Die bösen, schlechten Menschen herrschten in Dunkeldeutschland. Goebbels, der Propagandaminister, eine teuflische, machtbesessene, bis ins Mark manipulative, hässliche Person. Der Mann, der mit Eiseskälte bestimmte, wer dazugehören durfte und wer nicht. Wer lebte und wer starb, künstlerisch und buchstäblich. In „Lichtspiel“, diesem Roman in Szenen und Dialogen, gibt es ein Kapitel, in dem Pabst im Nazi-Büro in Berlin antanzt. Mehr als das, er muss bei Goebbels um Wiederaufnahme in den Kreis der Kunstschaffenden ersuchen. Goebbels verlangt vom „roten Pabst“, dem Schöpfer von „Die freudlose Gasse“, der für Jahre aus dem so tollen, neuen, glänzenden Deutschland verschwunden war, den Kotau. Es ist ein Gang nach Canossa, ausdrücklich.

Und wie Pabst sich dort windet vor dem selbstherrlichen Minister, wie er eigentlich nicht in diesem Raum sein will, wie er dennoch einen weiteren Schritt auf die Nazis zugeht, indem er nur halb präsent, instinktiv den Wünschen des schneidigen, unzweideutigen Machtspielers Goebbels nachgibt, das wird nicht weniger als meisterhaft beschrieben. Pabst wird von innen heraus, vom Karriere-, sicher auch Kunstwillen getrieben. Und deshalb dreht er dann, abgesegnet und unterstützt von den Nazis, Filme mit Nazi-Touch. Innere Emigration? Nicht mal das. Man kann sagen, dass „Lichtspiel“ von den Verführungskräften der Diktatur erzählt. Vor allem ist der Roman eine Einfühlung in die dunkle Seite der Seele…

„Lichtspiel“ von Daniel Kehlmann: Im Mittelpunkt steht der österreichische Regisseur G.W. Pabst

Das ist die, die am eigenen Weiterkommen interessiert ist, und sei es um den Preis der moralischen Integrität. Es ist bewundernswert, wie geschickt Kehlmann, dessen Ruhm auf seiner virtuosen Gestaltung historischer Stoffe („Die Vermessung der Welt“, „Tyll“) gründet, den Blick von Leserinnen und Lesern lenkt. Er tut das, um den gesamten Resonanzraum, in dem sich ein einzelner in der Zeit der Diktatur bewegte, abzubilden. Wobei der einzelne in diesem Fall der berühmte Regisseur war, ein VIP. Also: Das sonnenhelle, freie, so andersartige Amerika, in dem Pabsts „A Modern Hero“ Mitte der Dreißigerjahre grandios floppte. Der Zwischenstopp Frankreich, wo ihm die vor Hitler Flüchtenden entgegenkommen. Nur er reist in die andere Richtung.

G.W. Pabsts Frau Trude Hennings, die die Rückkehr ins Reich erleiden muss, sie will sofort wieder weg, aber dann ist Krieg, es geht nicht mehr, sie verstummt. Der Sohn Jakob, der erst Amerikaner war, kurz Franzose, Schweizer, und dann ein Deutscher wird, ein stolzer Hitler-Junge. Der englische Autor, ein Kriegsgefangener, der für die deutsche Propaganda arbeiten muss. Der Auslandsvertreter der Nazis, der Pabst umgarnt. Die amerikanische Schauspielerin Louise Brooks (die Lulu in „Die Büchse der Pandora“), die Kehlmann in „Lichtspiel“ gleich zweimal auftreten lässt, einmal davon als Nachkriegspointe; und Greta Garbo, der Superstar, der in Hollywood die europäischen Erfolge wiederholt. Sie alle haben ihren wichtigen Platz in dieser Geschichte eines menschlichen und künstlerischen Scheiterns, denn sie sind die Zeugen jenes Scheiterns. G.W. Pabst ist eine aus vielen Perspektiven betrachtete Erscheinung in diesem beeindruckend gebauten Roman, dessen einziger Makel, vielleicht, die bisweilen ausufernden Set-Beschreibungen sind.

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„Aber wer nicht so viel Glück gehabt habe, der müsse halt hier tun, was er könne. Müsse sauber bleiben, so wenige Kompromisse wie möglich machen. Eben seine Arbeit tun“, heißt es einmal. Es ist einer der im Deutschen Reich Gebliebenen, der diese feige Richtung vorgibt. Kehlmanns Erzählen ist filmisch wie nie, überhaupt ist „Lichtspiel“ fraglos auch eine Hommage an den Film. Noch fragloser ist das Urteil, das dieser Roman auf jeder Seite fällt: Ein richtiges Leben im Falschen gab es eben nicht. Es ist nicht die geringste Qualität des Stoffs, dass er das Böse konsequent auf seine Lächerlichkeit hin überprüft und diese immer wieder findet.

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So gelingt es Kehlmann, die fürchterliche, von Angst, Hass, Niedertracht, Verzweiflung und Wahn getränkte Atmosphäre der Nazijahre auf eine grelle Weise auszustellen, die gleichzeitig immer wieder komische Momente hat. Es ist wie in einem Tarantino-Film. Und es ist eine Komödie.

Wie lachhaft Leni Riefenstahl ist in ihrem schauspielerisch talentfreien Auftreten, wie grotesk ihre Überheblichkeit. Viele Hitler-Gefolgsleute, die in den niederen Rängen, sind gefährlich, aber sie sind trotzdem Knallchargen, Abziehbilder der Abteilung Nazi. Widerwärtiges Germanentum, so könnte man das nennen, einmal ist von einem „deutschen Stoßlachen“ die Rede. Man kann mit einer einzigen Beschreibung Wesensarten anschaulich machen.

Greta Garbo und Werner Krauss in G.W. Pabsts Film „Die freudlose Gasse“ von 1925.
Greta Garbo und Werner Krauss in G.W. Pabsts Film „Die freudlose Gasse“ von 1925. © picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection

Ist hier den alles echt, verbrieft, tatsächlich so passiert? Mitnichten. „Lichtspiel“ ist ein Roman. Der Autor, der gleichwohl in verschiedenen Archiven recherchierte, unterstreicht diese Kennzeichnung im Anmerkungsteil: „G.W. Pabsts Film Der Fall Molander wurde in den letzten Kriegsmonaten in Prag gedreht, das Material ist jedoch verschollen. Über die Umstände der Dreharbeiten ist nichts Konkretes bekannt.“

Daniel Kehlmann schreibt über Filmregisseur G.W. Pabst: Eine verhunzte zweite Karriere

„Der Fall Molander“ ist das erhoffte Meisterwerk, mit dem der nach seiner Rückkehr nach Europa auch ästhetisch nicht mehr überzeugende Regisseur seinen Ruf wiederherstellen wollte. „Lichtspiel“ setzt mit dem Fernseh-Auftritt des greisen einstigen Kameraassistenten von Pabst und späteren Regisseurs Franz Wilzek ein, der lange nach dem Krieg leugnet, dass es diesen Film je gegeben habe. Es durfte ihn, diesen unter so fragwürdigen, verbrecherischen Vorzeichen gedrehten Film, nicht geben, genauso wie es, in einer besseren Welt, die verhunzte zweite Karriere des tragischen G.W. Pabst nicht hätte geben dürfen. Wilzek will das Idol Pabst schützen.

Der österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst (1885-1967)
Der österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst (1885-1967) © picture-alliance/ dpa | db

In seiner Version des Geschehens um „Der Fall Molander“ verdichtet der geborene Erzähler Daniel Kehlmann den deutschen Sündenfall und den nur teilweise vorherrschenden Wunsch, diesen ungeschehen zu machen. W.G. Pabst ist die Figur, in der sich das Verhängnis bündelt. Kehlmanns Pabst ist ein schuldhaft Verstrickter, der um jeden Preis Künstler sein wollte; Großartigkeit und Barbarei liegen bei diesem Regisseur dicht beieinander.

Das Cover von Daniel Kehlmanns neuem Roman „Lichtspiel“, das beim Rowohlt-Verlag erscheint.
Das Cover von Daniel Kehlmanns neuem Roman „Lichtspiel“, das beim Rowohlt-Verlag erscheint. © Rowohlt Buchverlag | Rowohlt Buchverlag

Kehlmann imaginiert die möglichen Vorgänge um Pabsts verlorenen Film. So wie er sich vorstellt, wie das zum Beispiel war mit Pabst und Greta Garbo. Wie es gewesen sein könnte, wenn Pabst am Set auf gefeierte, abgründige Schauspieler wie Werner Krauß (der sechs Rollen in „Jud Süß“ übernahm) traf. Oder auf einen Hausmeister, der zum Obernazi eines österreichischen Dorfs geworden ist, und als hässlichste Fratze der neuen Machthaber den Heimkehrenden fortwährend verhöhnt. Diesen Nazi-Proleten gab es exakt so ebenso wenig, wie es einen Kameraassistenten Franz Wilzek gab oder einen Jakob Pabst. Es ist vieles erfunden in „Lichtspiel“. Und alles wahr, auf die ein oder andere Weise.

„Lichtspiel“ dürfte, auch international, ein Erfolg werden. Kehlmann genießt den Ruf, der interessanteste deutsche Autor zu sein. Und dass Nazis als Sujet immer gehen, ist hinlänglich bewiesen. Aber man muss ein so famos geschriebenes Werk wie dieses auch erst einmal hinbekommen.

Daniel Kehlmann tritt am 28.10. mit seinem neuen Roman „Lichtspiel“ im Schauspielhaus auf