Hamburg. Mit seiner Version von Edgar Wallace’ „Die blaue Hand“ inszeniert Frank Thannhäuser im Imperial eine überaus skurrile Krimikomödie.

Sage und schreibe 175 Romane hat Edgar Wallace (1875–1932) verfasst – eine Fülle von weiteren Werken, Kurzgeschichten und Essays gar nicht mitgerechnet. Einige der Stoffe des englischen (Groß-)„Meisters“ sind hierzulande dank der deutschsprachigen Schwarz-Weiß-Kinofilme aus den 60er-Jahren und Wiederholungen im Fernsehen bekannt geworden – obwohl sie oft rein gar nichts mit der Handlung der Romane und ihrer zeitlichen Epoche zu tun haben.

Letzteres gilt auch für „Die blaue Hand“, erst im Jahr 1967 (in Farbe!) verfilmt. Für das Imperial Theater auf St. Pauli ist das Stück bereits die 15. Wallace-Premiere. Was Frank Thannhäuser, wieder mal Regisseur und Ausstatter in Personalunion, aus dem Romanstoff gemacht hat, kann sich jedoch sehen und hören lassen.

Theater Hamburg: Im Imperial ermittelt „Hamburgs Miss Marple“

Und wenn der Intendant bei der Kartenausgabe im Kassen-Kabuff zum Auftakt der Hamburger Theatersaison 2023/24 „Viel Spaß!“ wünscht, hat das durchaus Berechtigung: „Die(se) blaue Hand“ ist insbesondere im ersten Akt eine Krimikomödie, die mit Tempo, Timing und Sprachwitz überzeugt. Sie reiht sich ein in den typischen Imperial-Mix aus Humor, Spannung und Grusel sowie Liebe zum Detail, mit dem das Kiez-Theater längst zu Deutschlands führender Krimi-Bühne avanciert ist.

Bereits beim ersten Bild ist das Publikum mittendrin in der 1928 erstmals auf Deutsch veröffentlichten Geschichte im Salon eines Landhauses. Im Zentrum steht die rüstige Mary Danton (Iris Schumacher). Die Dame aus der Großstadt hat sich mit ihren beiden Gesellschafterinnen in vermeintlicher Sommer-Idylle auf dem Landsitz eines verstorbenen Bankiers eingemietet. Dort aber treibt ein unheimlicher Verbrecher sein Unwesen – aufgrund seiner Spuren bei seinen Einbrüchen und tätlichen Angriffen genannt „Die blaue Hand“.

Frank Thannhäuser hat die Texte Schauspielerinnen auf den Leib geschrieben

Auch Mary Danton erhält vom mysteriösen Gangster Drohbriefe, doch sie nimmt nicht etwa Reißaus: Als sie erfährt, dass eine Million Pfund aus dem Tresorraum in der Bank des toten Ex-Landhausherrn geraubt worden sind, weckt das erst recht ihren Spürsinn. Sie bleibt. Zum Leidwesen ihrer hysterischen Assistentin Madge Benson, gespielt von Jessica Zang. Ihr und Iris Schumacher hat Thannhäuser – mit noch mehr künstlerischer Freiheit als andere Regisseure bei den 60er-Jahren-Streifen – die Texte gewissermaßen auf den Leib geschrieben. Die Dialoge zünden.

Madge alias Zang hört immer wieder Stimmen und Geräusche („Hier spukt’s“!), schreit mehrmals das ganze Haus zusammen; indes trifft die Schauspielerin auch komödiantisch die leisen Töne in ihrer verängstigten, zunehmend zynischen Rolle. Und die Hamburgerin Iris Schumacher, außer im Imperial als versierte Musical-Darstellerin auf ganz großen Bühnen, aber auch solo („Kiezdiva“) erprobt, erinnert als Spürnase Mary vorm Kamin („Ich brauche Ruß!“) laut Stück an „Sherlocks Tante“. Sie könnte auch als Hamburgs Antwort auf Miss Marple durchgehen – nur jünger, frecher, resoluter und emanzipierter als die alte Roman- und Film-Detektivin von Agatha Christie.

Imperial-Devise: „Es geht nichts über einen Mord zur Pause“

Ohnehin gleicht das harmonierende neunköpfige Ensemble einer Truppe spleeniger und skurriler Typen, etwa das lebende Imperial-Inventar Janis Zaurins als zwielichtiger Dr. Salter, Heiko Fischer als aufbrausender Butler mit Augenklappe und Patrick Michel als Neo-Gärtner ohne Pflanzerfahrung. So wie sie untereinander im Haus rätseln, wer mit der „blauen Hand“ unter einer Decke stecken könnte, spekuliert parallel das Publikum im Saal. Erst recht nach Thannhäusers bewährter Krimi-Devise „Es geht nichts über einen guten Mord zur Pause.“

Und so nimmt die Suche nach dem Geld, einem „Geheimzimmer“ und dem Verbrecher ebenso im zweiten Akt seinen turbulenten Verlauf. Getoppt – so viel sei verraten – im dritten nach Umbau hinterm Vorhang auf dem Dachstuhl. Beifall auch dafür wie nach dem letzten Vorhang minutenlang vorm Premierenpublikum – trotz am Ende einiger Volten und Versteckspielchen zu viel.

Im Gegensatz zur Filmfassung von „Die blaue Hand“ ist das aber allemal auszuhalten. Denn wie kritisierte der „Evangelische Filmbeobachter“ 1967 zum Kinostart: „Empfehlenswert nur für Leute mit einer Vorliebe für Ratten, Schlangen und Verrückte“….

„Die blaue Hand“ bis 3.8.2024, Do–Sa, jew. 20.00 (Nov/Dez auch Sa 16.00), Imperial (U St. Pauli), Reeperbahn 5, Karten zu 25,- bis 45,-: T. 31 31 14; www.imperial-theater.de