Hamburg. Es gab erfolgreiche Künstlerinnen schon seit dem 16. Jahrhundert. Wie schwierig sie es hatten, zeigt eine besondere Ausstellung.

„Ich bin Rachel Ruysch, die wohl berühmteste und erfolgreichste niederländische Malerin des 17. und 18. Jahrhunderts und gleichzeitig eine der wenigen Frauen, die überhaupt zu dieser Zeit künstlerisch tätig waren. Zu Lebzeiten waren meine Bilder zum Teil teurer als die des großen Rembrandt, den ihr auch nach 300 Jahren noch als genialen Maler feiert. An mich muss ich euch hingegen immer wieder aufs Neue erinnern, auch wenn ich mich im Gegensatz zu meinen tollen Malerkolleginnen nicht beschweren kann, immerhin gelte ich als die am besten dokumentierte Künstlerin des 18. Jahrhunderts.“ Diese fiktive Szene, die den Besuchern via QR-Code in einem digitalen Essay erzählt wird, ist eine von insgesamt 30 spannenden und überraschenden Künstlerinnenbiografien der Ausstellung „Geniale Frauen“ im Bucerius Kunst Forum.

Kuratorin Katrin Dyballa hat vier Jahre lang an der Konzeption dieser besonderen Ausstellung gearbeitet. Ihr Fokus liegt auf den Bedingungen, unter denen Frauen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert künstlerisch tätig werden konnten. Denn eine solche Karriere einzuschlagen, war eigentlich nicht vorgesehen. Um als selbstständige Künstlerin zu arbeiten, war die Zugehörigkeit zu einer Zunft notwendig; dies war aber meist mit hohen Kosten und einigen Hürden verbunden. Auffallend viele Künstlerinnen der frühen Neuzeit stammten aus Künstlerfamilien oder heirateten in solche ein. Sie arbeiteten ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern zu. Anders sah es an den Höfen aus: Dort war man aufgeschlossen gegenüber der künstlerischen Leistung, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft.

Kunst in Hamburg: „Geniale Frauen“ in einer besonderen Ausstellung Bucerius Kunst Forum

Der Ausstellungstitel „Geniale Frauen“ zahlt auf eben diese Schwierigkeiten ein, denen zum Trotz viele Frauen ihren Weg als Malerin, Druckgrafikerin oder Zeichnerin machten. Denn sie überzeugten schon Zeitgenossen mit brillanter Technik, bahnbrechenden Ideen und großem Einfallsreichtum, was die Motive betrifft, und bekamen dafür auch gebührende Anerkennung. Und doch: Durch den überwiegend männlichen Blick, der die Kunstgeschichte bis ins 20. Jahrhundert prägte, gerieten ihre Leistungen in Vergessenheit. Diesen Missstand will die Ausstellung zumindest teilweise beheben und zeigt meisterhafte Porträts, Stillleben und Historienbilder von der Renaissance über die Zeit des Barock bis zum beginnenden Klassizismus aus ganz Europa.

Katharina van Hemessens „Selbstporträt an der Staffelei“ aus dem Jahr 1548 ist das älteste Bild in der Ausstellung und das erste, auf dem eine Künstlerin sich bei der Arbeit malt.
Katharina van Hemessens „Selbstporträt an der Staffelei“ aus dem Jahr 1548 ist das älteste Bild in der Ausstellung und das erste, auf dem eine Künstlerin sich bei der Arbeit malt. © Kunstmuseum Basel | Kunstmuseum Basel

Ein „Geniestreich“ für die Kuratorin ist Katharina van Hemessens „Selbstporträt an der Staffelei“ von 1548. Es ist nicht nur das älteste Bild in der Ausstellung, sondern auch das erste Bild, das eine Künstlerin während der Arbeit zeigt. „Vermutlich hat die Malerin es an potenzielle Auftraggeber verschickt, sozusagen als Werbebild“, so Katrin Dyballa. Das Werk ist eine Leihgabe aus dem Kunstmuseum Basel und begründete auch die Kooperation zwischen beiden Ausstellungshäusern. Nach der Hamburger Schau werden die „Genialen Frauen“ in die Schweiz wandern. Van Hemessens ist ein positives Beispiel für die Förderung durch den Vater, in diesem Fall Jan Sanders van Hemessen, der es seiner Tochter erlaubte, als eigenständige Malerin zu arbeiten. Selbstbewusst signiert ist das Selbstporträt denn auch mit „Ego Katharina van Hemessen“.

Einige wenige Künstlerinnen entschieden sich bewusst gegen die Ehe

Ganz anders erging es der italienischen Malerin Marietta Robusti, genannt La Tintoretta (vermutlich um 1554/55–1590) – ihr Künstlername ist eine Anlehnung an ihren berühmten Vater, den Maler Tintoretto. Auch er erkannte früh ihr großes kreatives Talent, lehrte seine älteste Tochter und nahm sie mit zu seinen Auftraggebern. Doch konnte er sie nicht ziehen lassen, sodass die junge Frau an seine Werkstatt gebunden war. Dies führte dazu, dass die Zeichenstile kaum voneinander zu unterscheiden sind und nur sehr wenige Arbeiten eindeutig La Tintoretta zuzuordnen sind.

Wie groß der Einfluss der Familie auf die berufliche Laufbahn von Künstlerinnen war, zeigt das Kapitel „Karriere vor der Ehe“: Viele Frauen, die es jung geschafft hatten, sich als Künstlerin zu etablieren, gaben mit der Heirat ihren Beruf auf oder schränkten ihr Schaffen zugunsten der Familie ein, wie etwa die französische Stilllebenmalerin Louise Moillon. Andere wie Virginia Vezzi oder Judith Leyster traten in die Werkstatt des Ehemannes ein – und waren fortan als Schöpferinnen eigener Bilder unsichtbar.

Entgegen der gesellschaftlichen Konvention entschieden sich daher einige wenige Künstlerinnen gegen die Ehe. Michaelina Wautier ist hierbei hervorzuheben: Die niederländische Barockmalerin arbeitete zusammen mit ihrem Bruder Charles Wautier. Von beiden ist in der Ausstellung das Gemälde „Christus unter den Schriftgelehrten“ (ca. 1650) zu sehen. Lange wurde es nur dem Bruder zugeschrieben. Doch gehen Experten seit Kurzem davon aus, dass die zentrale Figur des Jesus von Michaelina stammt.

Ausstellungsansicht von „Geniale Frauen“ im Bucerius Kunst Forum, in der Mitte das Gemälde „Christus unter den Schriftgelehrten“ (ca. 1650) von Michaelina und Charles Wautier.
Ausstellungsansicht von „Geniale Frauen“ im Bucerius Kunst Forum, in der Mitte das Gemälde „Christus unter den Schriftgelehrten“ (ca. 1650) von Michaelina und Charles Wautier. © Ulrich Perrey | Ulrich Perrey

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Schon zur damaligen Zeit waren einige Künstlerfamilien sehr modern – wenn auch aus der Not heraus. Dies zeigt der Werdegang der Britin Mary Beale (1633–1699). Ihre professionelle Karriere als Künstlerin begann erst Jahre nach der Ehe, als Folge der Arbeitslosigkeit ihres Gatten, die sie zur Alleinverdienerin machte. Schließlich endet „Geniale Frauen“ mit einigen wahren Erfolgsgeschichten: Im Laufe des 17. und endgültig im 18. Jahrhundert wurden Kunstakademien zu wichtigen kunstpolitischen Institutionen und gewährten auch Frauen den Zutritt.

Anna Dorothea Therbusch und Angelika Kauffmann waren Mitglieder gleich mehrerer Akademien, Kauffmann war sogar Gründungsmitglied der renommierten Royal Academy of Arts in London. Sie ist mit mehreren Werken vertreten, darunter „Klio, Muse der Geschichtsschreibung“ (ca. 1770/75). Das Motiv ziert auch Ausstellungsplakat, Katalog und Werbemittel, zum Beispiel für die Date Night am 20. Oktober. Dazu äußert sich die Künstlerin im digitalen Essay: „Ist euch Clio ins Auge gefallen, dann habt ihr auch gleich eine Idee, wie ich vor 250 Jahren aussah. Selbstbewusst verlieh ich vielen Frauen in meinen Werken meine Gesichtszüge, und so zwinkere ich euch heute noch aus vielen Gemälden zu.“ Ein Schelm, der dabei an die Fotografin Cindy Sherman denkt!

„Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ 14.10.–28.1.2024, Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12 (U/S Jungfernstieg), täglich 11.00–19.00, Do 11.00–21.00, Eintritt 12,-/6,- (erm.), buceriuskunstforum.de