Hamburg. Diese Neuauflage eines Klassikers hat das Zeug zu etwas Großem. Das Publikum bei der Premiere in Hamburg feierte das gesamte Team.
Ach, diese dicht gestrickten Verse, die großen Gefühle, das muntere Spiel – „Cyrano de Bergerac“ ist ein Klassiker, ein tragikomisches Verwirrspiel der Liebe mit furiosem Witz. Allerdings ist das 1897 in Paris uraufgeführte Stück natürlich auch etwas in die Jahre gekommen. Weshalb der renommierte britische Dramatiker Martin Crimp eine 2019 in London uraufgeführte neue Fassung frei nach Edmond Rostand erstellt hat.
Die Überschreibung erweist sich in der mutigen, wohltuend heutigen Inszenierung von Harald Weiler am Ernst Deutsch Theater als geglückte Neuerfindung des Stoffes.
Theater Hamburg: Für „Cyrano de Bergerac“ hagelt es am Ernst Deutsch Theater Bravos
Eine hohe Mauer hat Nadin Schumacher auf Erdreich errichtet. Ein paar Stühle stehen davor. Mehr braucht es nicht. Lili Wanner hat die Figuren in Alltagskleidung gehüllt. Es gibt keine Mantel-und-Degen-Anspielungen – das Gefecht, das sich hier entwickelt, ist eines der Worte, die Poesie ist das Florett.
Es beginnt mit einer Theaterprobe, in der ein lächerlich barock gekleideter Jüngling gestelzte Verse drechselt. Bis Boris Aljinovic als Regisseur Cyrano dem ein Ende bereitet und stattdessen alle zum Duell am Mikrofon auffordert.
Mit kämpferisch-subversivem Geist lässt er seine Dichtkunst von niemandem beschränken – und ironisiert erst einmal selbst sein übergroßes Riechorgan: „Nennen Sie mich von mir aus verrückt, aber dieses Organ ist der Inbegriff von Mut – Höflichkeit – Autonomie – rhetorischem Schliff.“ Die Szene hat etwas von einem Battle-Rap-Event.
„Bleiben Sie, und lauschen Sie mit Inbrunst/meinem Variantenreichtum der Schimpf-Kunst“, heißt es später. Inhaltlich ist jede Metapher erlaubt, solange der Reim stimmt. Zum Glück ist es kein reiner Testosteron-Schlagabtausch – es mischen sich auch sanfte, nachdenkliche Töne hinein, gelegentlich untermalt von sanftem französischem Hip-Hop.
Roxane verliebt sich, will aber mehr hören als plumpe Liebesbeschwörungen
Als Zuschauer braucht man ein wenig, um über diesen Einstieg in die Handlung zu finden, doch dann läuft der zentrale Konflikt des Versdramas wie geölt: Cyranos Cousine Roxane verliebt sich in den stattlichen, aber wenig wortgewandten Soldaten Christian (Leander Lichti) und will von ihm mehr hören als plumpe Liebesbeschwörungen. Die flüstert ihm alsbald Cyrano ein, der heimlich ebenfalls in Roxane verliebt ist – allein sein tief sitzender Komplex aufgrund seiner großen Nase steht seinem Liebesgeständnis im Weg.
Zwar ist die von allen begehrte Roxane bei Lina Hoppe eine ganz schön schnippische, auch mal zickige Intellektuelle. Das gibt ihr aber auch die Kraft, den schmierigen, sie ebenfalls begehrenden De Guiche (Stefan Schießleder) abzuwehren. Als der Krieg ausbricht und die Männer an die Front müssen, schließen Cyrano und Christian den verhängnisvollen Pakt: Cyrano wird in Christians Namen Briefe voll kluger Liebeslyrik an Roxane senden.
Der Plan geht eine Weile gut. Harald Weiler gibt seinen Figuren viel Raum, um das komplexe Beziehungsgeflecht auszuspielen. Vor allem Boris Aljinovic verleiht seinem Cyrano statt plumpem Machismo viel reflektiertes Selbstbewusstsein und damit etwas sehr Verführerisches. In einer Begegnung mit De Guiche findet er auch zu raffinierter und körperlich-tänzerischen Komik.
Auch für das tragische Ende findet Regisseur Harald Weiler ein starkes Bild
In den Nebenrollen glänzt etwa Julia Weden als patente, auch in modernen Gender-Diskursen bewanderte Buchhändlerin und Freundin von Roxane. Und Rune Jürgensen darf in mehreren Figuren auch mal hart am Klamauk über die Strenge schlagen. Die Balance zwischen der immanenten Tragödie und dem äußeren Komödiengeschehen zu halten, bleibt die Herausforderung des Abends. In Weilers einfühlsamer, sicherer Regie gelingt dieser künstlerische Kraftakt trotz manch harten Bruchs vor allem nach der Pause, als die hungernden und frierenden Soldaten Frontbesuch von den Frauen erhalten.
Auch beim Ende erlaubt sich Autor Martin Crimp Freiheiten. Es ist 15 Jahre später. Roxane ist nicht wie in Rostands Original ins Kloster gegangen, sondern genießt ein freies Leben – mit vielen Liebhabern. Cyrano ist noch immer der Hausfreund, der sie nun mit guter Literatur versorgt. Bis die Wahrheit nach all den Jahren doch noch ans Licht drängen wird – unter dem Eindruck des von einem Überfall schwer verwundeten Cyrano. Auch für das tragische Ende findet Harald Weiler ein starkes Bild ohne klebriges Pathos.
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Als Zuschauer badet man in diesen geistreichen Sätzen, genießt den geschmeidigen Humor, gerät immer stärker in den Sog der Wortschwälle. Für das gesamte Team hagelt es Bravos. Dieser klug überschriebene „Cyrano“ hat das Zeug zum Theaterhit für das Ernst Deutsch Theater.
„Cyrano de Bergerac“ weitere Vorstellungen bis 7.1.2024, Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten unter T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de