Hamburg. Martin Köttering, Präsident der Hochschule für bildende Künste, verteidigt die Berufung der ruangrupa-Künstler. Seine Argumente.
Die Berufung der ruangrupa-Mitglieder Reza Afisina und Iswanto Hartono, für ein Jahr als Gastprofessoren an der Hochschule für bildende Künste Hamburg zu arbeiten, hat eine öffentliche Debatte über die Grenzen künstlerischer und wissenschaftlicher Freiheit entfacht. Seit den Ereignissen während der documenta fifteen stehen Antisemitismusvorwürfe gegen das indonesische Kollektiv im Raum. Die Jüdische Gemeinde Hamburg fordert gar die Ausladung der Künstler. Ein Gespräch mit dem Präsidenten der Hochschule Martin Köttering.
Hamburger Abendblatt: Der öffentliche und mediale Druck wegen der Berufung der ruangrupa-Mitglieder ist enorm groß. Wie geht es Ihnen damit, und wie ist die Stimmung an der Hochschule?
Martin Köttering: Bei mir persönlich, bei den Lehrenden und Studierenden herrscht eine nachdenkliche, auch eine selbstkritische und reflektive Stimmung. Wir hinterfragen natürlich unsere Entscheidung, wo wir stehen, ob wir alles richtig gemacht haben, ob wir noch zu der Gastprofessur von Reza Afisina und Iswanto Hartono stehen können. Selbstverständlich geht diese gesamte Kritik, auch wenn wir sie manchmal in der Härte, in der sie vorgetragen wird, sehr schwer nachvollziehen können, nicht an uns vorbei. Wir nehmen sie ernst, und sie führt zu selbstkritischen Befragungen.
Das heißt, dass an der Hochschule darüber ganz offen diskutiert wird?
Köttering: Die Vorlesungszeit beginnt ja gerade erst wieder. Aber über Telefonate und Mails bekommen wir mit, dass die Berufung ein Gesprächsthema ist. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Das wussten wir aber vorher.
Gab es Stimmen, die von der Professur abgeraten haben?
Köttering: Eigentlich nicht, eigentlich sind alle hier der Meinung, dass wir uns diesen Themen stellen und die Arbeit an diesen Themen suchen müssen. Es gab freundschaftliche Hinweise, die sagten, Martin, willst du dir und der HfbK das wirklich zumuten? Sollten wir nicht lieber versuchen, unsere Entscheidung zu revidieren und somit aus dem Fokus der öffentlichen Diskussion herauszukommen? Es gab offensichtlich Sorge um den Ruf der Hochschule.
Und hatten Sie selbst auch Zweifel?
Köttering: Wer wäre ich zu sagen, dass ich keine Zweifel habe. Die schwerwiegendere Frage ist jedoch: Bekommen wir eine Diskussion über Antisemitismus an dieser Hochschule so gesteuert und gelenkt, dass sie produktiv wird? Daran kann man Zweifel haben. Besonders wenn es nicht gelingt, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die HfbK weit, weit davon entfernt ist, antisemitischem Gedankengut Platz einzuräumen. Ich bin, ehrlich gesagt, fassungslos darüber, dass man ausgerechnet dieser Kunsthochschule den Vorwurf macht. Hier, wo wir uns seit so vielen Jahren mit gesellschaftsrelevanten Themen wie Rassismus, Antidiskriminierung oder Identitätspolitik auseinandersetzen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir wollen miteinander reden, um Antisemitismus vorzubeugen, um Sensibilität bei Lehrerenden und Studierenden wachsen zu lassen, um von- und miteinander zu lernen.
In der jüdischen Gemeinde in Hamburg wird das Engagement der ruangrupa-Künstler wie eine Ohrfeige empfunden. Können Sie das nachvollziehen?
Köttering: Ich kann mich natürlich nicht in die Situation eines jüdischen Mitbürgers hineinversetzen, aber ich kann verstehen, dass man sich durch die Berufung verletzt fühlt. Ich möchte aber nachdrücklich darauf hinweisen, dass Reza Afisina und Iswanto Hartono keine Antisemiten sind. Sie haben sich mehrmals öffentlich dagegen positioniert. Und ich hoffe, dass es irgendwann gelingt, dies zu vermitteln. Gerade diese beiden Künstler des Kollektivs haben in Kassel mit der jüdischen Gemeinde viele Gespräche geführt. Unsere Professoren mit jüdischem Hintergrund haben mir signalisiert, dass sie sich freuen, mit diesen Kuratoren zusammen zu arbeiten. Wir haben auch den beiden jüdischen Gemeinden in Hamburg Gespräche angeboten und hoffen auf einen Dialog. Mit dem israelisch-deutschen Pädagogen und Leiter der Bildungsstätte Anne Frank Meron Mendel haben wir jemanden eingeladen, der gerne bereit ist, den Prozess an der Hochschule zu begleiten. Für die deutsche Gesellschaft und besonders für uns als Bildungsinstitution besteht die Notwendigkeit, sich mit diesen Themen intensiv auseinanderzusetzen und ihnen eben nicht auszuweichen.
Die Künstler werden mit der BDS-Bewegung in Verbindung gebracht, die zu vielfältigem Boykott und Sanktionen gegenüber Israel aufruft.
Köttering: Reza Afisina und Iswanto Hartono gehören nicht zu den Unterstützern der BDS-Bewegung. Aber sie haben den „Letter against Apartheid“ unterschrieben. Weltweit haben 16.000 Menschen diesen Brief unterzeichnet als Kritik am israelischen Staat und seinen militärischen Aktionen gegen Palästina. Genau da werden unsere Fragen an die beiden ansetzen.
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Eine Ausladung der Gastprofessoren ist für Sie kein Thema.
Köttering: Solange wir es schaffen, entsprechend unserem Auftrag als künstlerisch-wissenschaftliche Hochschule gesellschaftlich relevante Themen zu untersuchen, und es uns gelingt, diese Diskurse produktiv und lehrreich zu gestalten, wollen wir daran festhalten.
Wie werden die beiden konkret arbeiten und unterrichten?
Köttering: Sie werden im Atelier mit etwa 20 Studierenden an gemeinsamen Projekten arbeiten und dabei ihren künstlerischen Ansatz des lumbung (indonesisch für Reisscheune) einbringen, der auf Kollektivität, gemeinschaftlichem Ressourcenaufbau und gerechter Verteilung dieser Ressourcen beruht und der auch Basis der documenta fifteen war, der aber durch die Antisemitismusvorwürfe gar nicht wirklich zum Tragen kam. Das ist aber nur ein Strang. Neben dem Diskurs über aktuelle künstlerische Produktionsprozesse, die zur DNA der HfbK gehören, gibt es nun auch einen zweiten, politischen Strang, der die Geschehnisse rund um die Weltkunstausstellung aufarbeiten soll. Eine erste öffentliche Veranstaltung mit dem Titel „Die documenta als politisches und kulturelles Ereignis“ findet am 21. November am Institut für Sozialforschung in Kooperation mit uns und der Helmut-Schmidt-Universität statt. Es wird sicherlich auch eine öffentliche Diskussion mit den beiden ruangrupa-Mitgliedern geben. Denn wir sind überzeugt davon, dass es sinnvoller ist, miteinander im Gespräch zu sein als übereinander zu reden.