Hamburg. Das Aurora Orchestra aus London und der britische Cellist Sheku Kanneh-Mason begeisterten das Publikum im Großen Saal.
Einmal pro Saison darf es auch mal etwas kontrollierter Irrsinn mit Ansage sein. Bei seinem Elbphilharmonie-Debüt vor knapp einem Jahr spielte das Londoner Aurora Orchestra schon Berlioz‘ „Symphonie fantastique“ von vorn bis hinten detailscharf auswendig; nun, im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals wiederholten sie diesen Drahtseilakt im Großen Saal ein Gemeinheits-Level höher, mit Strawinskys „Sacre du printemps“.
Elbphilharmonie: Kontrollierter Irrsinn mit Ansage
Nicht wenige Dirigenten und Orchester tun sich damit selbst mit allen Noten vor den Nasen schwer, weil Strawinsky in dieser Ballettmusik durchgängig fast unberechenbare Akzente wie tückische Stolperdrähte eingezogen hat. Und das archaische, wild wuchernde Durcheinander, das animalische Röhren, Stampfen und Flirren in der vielschichtigen Partitur ist da noch gar nicht eingepreist.
Die Auroras und ihr lässig antiautoritär agierender Gründer/Dirigent Nicholas Collon haben diese kollektive Mutprobe zu ihrem Markenzeichen gemacht. Und, was soll man sagen: Funktioniert der Trick, jedes Mal, weil die verschärfte Konzentrationspflicht und die Extradosis Adrenalin ganz offenbar kleine Wunder bewirken können.
Elgars „Cockaigne“: eine Postkarte aus der guten alten Zeit
Reizender Kontrast dazu war der schwungvolle Auftakt mit Elgars „Cockaigne“-Konzertouvertüre. Der Name hat nichts mit dem kolumbianischen Nasenpulver für Overperformer zu tun, sie idolisiert Elgars nur ganz leicht pompöses London-Bild zum allerliebsten Schlaraffenland. Als Land, in dem Tee und Ale fließen, wo alle Royals nobel und verehrungswürdig sind und die milde Brise nach gut eingetragenem Tweed und frisch gebackenem Shortbread riecht. Splendid, diese Postkarte aus der guten alten Zeit der letzten Jahrhundertwende, mit zackig aufbrausendem Blech und Marschanklängen, saftig inszeniertem Patriotismus alter Schule und frisch gestärktem Streicherklang, tadellos ausgehfein für die nächste „Night of the Proms“.
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In den vergangenen Jahren seiner noch kurzen Karriere stand der Cellist Sheku Kanneh-Mason oft unter einer Art Welpenschutz, das gibt sich inzwischen, aus dem Talent hat sich eine gereifte Größe entwickelt. Anstatt mit einem der gefälligeren Paradestücke aufzuwarten, die man als erst 24 Jahre junger Virtuose parat zu haben hat, spielte Kanneh-Mason lieber Ernest Blochs „Schelomo“-Rhapsodie, ein Bekenntniswerk und Ton-Portät Salomons, in dem der Solist vom ersten Ton lange Erzählbögen aufspannen muss, um den alttestamentarischen König zum Leben zu erwecken.
Elbphilharmonie: Das Publikum tobte vor Begeisterung
Kanneh-Masons Ton, dunkel, satt, warm und intensiv, hielt der Herausforderung eindringlich stand. Und wie bei der legendär gewordenen Pariser Uraufführung vor 90 Jahren tobte das Publikum am Ende dieses Konzerts, erst recht, weil die Auroras sich bis weit nach oben in die Saalgänge verteilten, um zwei kurze „Sacre“-Portionen im Surround-Klang zuzugeben, als wäre das gar kein Problem. Diesmal tobten alle allerdings vor gerechtfertigter Begeisterung.
Nächstes SHMF-Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie: 28.8., 20 Uhr: ensemble reflektor, Camille Thomas (Cello), Holly Hyun Choe (Dirigentin) mit Werken Londoner Komponistinnen, Restkarten