Hamburg. Duo Signa macht Theater außerhalb vom Theater – erst ab 16 Jahren. Karten für „Das 13. Jahr“ waren innerhalb von Minuten vergriffen.
Scheinbar verwaist liegt das Fabrikgelände in der Nähe der S-Bahn Diebsteich hinter einem hohen Zaun. Doch zur verabredeten Zeit öffnet sich eine Tür. Sie führt in eine große Halle, vor allem aber in eine fremde Welt. Rollstühle tragen menschengroße Puppen. Waschmaschinen sind aufgereiht. Daneben steht eine Kochecke. In der Mitte erhebt sich ein Technologieboard. Unmengen Kisten und Hausrat steht herum, der eher der Mode vor 50 Jahren entspricht.
Signa ist in der Stadt. Auf diesem Gelände erarbeitet das dänisch-österreichische Duo aus Signa und Arthur Köstler seine inzwischen fünfte Produktion „Das 13. Jahr“ für das Schauspielhaus. Die Karten für die 20 Termine waren innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Wer zu einer Signa-Performance geht, schaut nicht aus dem Zuschauerraum mit Sicherheitsabstand zur Kunst zu – er ist mittendrin. „Immersiv“ nennt sich diese Theaterform. Sie spricht häufig Publikumsgruppen an, die mit Theater sonst eher nichts am Hut haben.
Schauspielhaus Hamburg: Signa lädt Zuschauerinnen und Zuschauer in Kunstwelt ein
Signa Köstler, maßgebliche Erfinderin der Signa-Welten, sitzt auf einem reichlich verwohnten Sofa vor einer Box mit Fruchtgummi-Schlümpfen und erzählt von der Arbeit – ohne deren letzte Geheimnisse preiszugeben, die die Magie schließlich ausmachen. Auch im „13. Jahr“ betreten 40 Zuschauerinnen und Zuschauer an jedem Abend eine abgeschlossene Kunstwelt. Ein auf Simulation spezialisiertes Unternehmen lädt ein, sich in das Jahr zurückzuversetzen, in dem man zwölf Jahre alt war. Die Teilnehmer stranden dann mit einem Bus in einer abgeschotteten Dorfgemeinschaft. Dort werden sie auf die dort lebenden Familien verteilt.
„Das 13. Jahr war auch für mich im Rückblick das prägendste, da hat sich entschieden, in welche Richtung man geht“, erzählt Signa Köstler. „Man hat bereits einen eigenen Willen, aber auch eine besondere Offenheit und Verletzbarkeit.“ Wie diese beiden Ebenen, die Simulation und das jugendlich erlebte Dorfleben zusammenfinden, bleibt bewusst nebulös. Sicher ist nur, der Alltag wird eher ein trüber sein. Es gebe viele Kranke und immer Nebel. Alles sei eher kalt und klamm, so Köstler. Und dann geschieht all das, was man mit zwölf Jahren eben so erlebt: erste Liebe, aber auch Mobbing, vielleicht Gewalt.
Schauspielhaus Hamburg: Das Duo Signa gräbt tief in der Psyche der Gesellschaft
Gemeinsam führen Signa und Arthur Köstler durch das Dorf und ja, es ist eng, dunkel, aber irgendwie auch gemütlich. Eingerichtet mit liebevoll zusammengetragenen Einrichtungen von Haushaltsauflösungen, etwa von einem Mann, der nördlich von Hamburg 15 Jahre allein ohne Strom und Wasser hauste. Um dort Dinge auszugraben, war trittfestes Schuhwerk erforderlich. Das Duo Signa gräbt seinerseits tief in der Psyche der Gesellschaft.
Die Performances berühren häufig Themen wie Machtverhältnisse, totalitäre Strukturen, aber auch Gemeinschaft, Sehnsucht. „Uns geht es eigentlich immer um zwischenmenschliche gordische Knoten. Es gibt immer unterschwellige Verhandlungen von Strukturen und Hierarchien“, erklärt Koestler. „Mich interessiert, was wir unter uns nicht gelöst bekommen. Wo kämpfen wir miteinander? Wie kommen wir damit klar, dass wir nie wirklich miteinander klarkommen? Und wie schaffen wir es, miteinander zu leben?“
Fragen zu stellen steht dabei im Zentrum, nicht etwa didaktisch Antworten zu formulieren. „Wir ermöglichen eine Reflexion, bei der das Publikum die Möglichkeit bekommt, verschiedene Positionen einzunehmen, ohne zu sagen, das ist jetzt die richtige.“ Die Teilnehmenden werden diesmal neben einigen Signa-„Veteranen“ und Hospitierenden auch Ensemblemitgliedern und deren erwachsenen Kindern begegnen.
Signa Köstler zu Gast in Hamburg: Vom Theater habe sie eigentlich keine Ahnung gehabt
Die Signa-Kunst ist aus einer Not heraus entstanden. Vom Theater habe sie eigentlich keine Ahnung gehabt, gibt Signa Köstler zu, ursprünglich wollte sie bildende Künstlerin werden. Doch die Kunstakademie lehnte sie ab, also studierte sie Kunst- und Mediengeschichte. Ihr Geld verdiente sie als sogenanntes Champagnermädchen in Nachtclubs. Die Erfahrungen dort seien ihrer heutigen Kunst gar nicht so unähnlich. „Da geht es auch um eine fiktive Welt, in die man hineingeht, die gestaltet ist mit Magie und verschiedenen Wirkmitteln und verlebt eine interessante Zeit.“
Aus einer Faszination für Tableaus und aus ersten detaillierten Installationen mit kombinierten Objekten, hat sich die Signa-Theatersprache entwickelt. Die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler und Musiker Arthur Köstler, der viel Administration, aber auch Technik übernimmt, funktioniert perfekt. Seit 18 Jahren ist das Künstlerpaar auch verheiratet.
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Der Ort selbst (beim letzten Hamburg-Auftritt war das Duo zu Gast im ehemaligen Altonaer Paketpostamt) hat mit dem Inhalt der Performance nichts zu tun. Und so spielt es auch keine Rolle, dass „Das 13. Jahr“ eigentlich in den durch ein Großfeuer vernichteten Industriehallen von Billwerder hätte über die Bühne gehen sollen. „Wir malen, bauen und tapezieren ja immer unsere eigenen Welten“, erzählt Signa Köstler.
Auch die aktuelle Performance, erst freigegeben ab 16 Jahren, dürfte die Besucherinnen und Besucher mit Räumen im eigenen Innern konfrontieren, die sie selbst nicht immer gerne betreten. Eine Triggerwarnung lehnt Signa Köstler allerdings grundsätzlich ab. „Trigger funktionieren ja für jeden anders. Ich finde, es hat etwas Bevormundendes, wenn man glaubt, sagen zu können, was andere belasten könnte“, so Köstler. „Man kann sich über das Stück informieren, aber ich finde, man sollte vor Kunst nicht warnen.“
Signa: „Das 13. Jahr“ Uraufführung 21.10., 18.30 Uhr, Halle 7, Waidmannstraße 26 (ehemaliges Thyssen-Krupp-Gelände), ausverkauft;www.schauspielhaus.de