Hamburg. Mit seiner Sicht auf Bachs h-Moll-Messe fasziniert Sir John Eliot Gardiner zwei Stunde lang das Publikum im Großen Saal.
So unspektakulär kann ein Himmelfahrtskommando aussehen. Ganz am linken Bühnenrand der Elbphilharmonie, noch hinter den Trompeten, sitzt eine Frau auf einem Stuhl, neben sich auf dem Fußboden die mattschimmernden Messingschlaufen ihres Naturhorns.
Anneke Scott hat Mut zum Kaltstart. Es wird nämlich gut und gerne eine Dreiviertelstunde vergehen, bis sie in Bachs h-Moll-Messe ihren Einsatz hat, und der hat es in sich. Der Solopart im „Quoniam“ ist heikel.
Elbphilharmonie: Sir John Eliot Gardiner zieht Publikum in Bann
John Eliot Gardiner, demnächst 80 Jahre alt und in Hamburg noch bekannt von seiner Zeit als Chefdirigent des heutigen NDR Elbphilharmonie Orchesters in den 1980er-Jahren, kann sich das leisten. Er ist mit zwei Luxus-Ensembles angereist. Zwei pausenlose Stunden lang werden er, der Monteverdi Choir und die English Baroque Soloists das Publikum in den Bann schlagen.
Die h-Moll-Messe gilt als eine der größten Schöpfungen der Musikgeschichte, als Höhepunkt von Bachs Schaffen. Wie die Architektur einer gotischen Kathedrale entfaltet sich das komplexe und zugleich so dramatische Werk. Es zu erleben verändert einen, und das gilt an diesem Abend in besonderem Maße.
Elbphilharmonie: der Höhepunkt von Bachs Schaffen
Entlang des lateinischen Messetextes breiten sich mal Chorfugen aus, in denen jede Stimme wie in einem feinen Gewirk zu verfolgen ist, und wenden sich mal die Solosänger in den Arien in ergreifender Menschlichkeit an Gott.
Schon diese Perspektivwechsel fesseln das Publikum, zumal Gardiner die Übergänge so straff nimmt, als wollte er warnen: Denkt nicht mal dran, reinzuklatschen! Keine Gefahr an diesem Abend. Hier geht’s um letzte Dinge, das teilt sich mit.
Die Farbigkeit der alten Instrumente verbindet sich wunderbar mit dem Chor
Die Solisten treten nur für die Arien aus dem Chor nach vorne. Stellvertretend für diesen Interpretationsstil aus einem Gemeinschaftsgeist heraus sei der Countertenor Reginald Mobley genannt, dessen bewegliche, natürlich strömende Stimme die Arien „Qui sedes“ und natürlich besonders das „Agnus Dei“ zu Herzstücken der Aufführung adelt.
Seismografisch musiziert er mit den Instrumentalisten, besonders mit der Continuocellistin. Auch Anneke Scott macht beseelte Kammermusik. Vom Warten ist ihr nichts anzumerken. Zart klingt das Horn mit seinen langen Metallbögen, in der Lautstärke kann es sich gegen die lustvoll schnarrenden Fagotte gerade so behaupten. Die Farbigkeit der alten Instrumente hat etwas Ungezähmtes und verbindet sich wunderbar mit dem Chor.
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Dessen Geschlossenheit ist überwältigend. Das beginnt mit den Konsonanten, die die Sänger mustergültig vorzeitig in den Raum schleudern, damit der Stimmklang pünktlich mit dem nachfolgenden Vokal entsteht.
Dieser Chor kann flehen und zürnen, im „Qui tollis“ schmiegen sich die Stimmen voller Schmerzlust in die Dissonanzen, und die gefürchteten Koloraturen des „Cum Sancto Spiritu“ absolvieren sie in rasanter Virtuosität. Nur hin und wieder scheint das Tempo über die Aussage der Musik hinauszugehen. Sie können’s halt. Und werden am Ende mit allem Recht bejubelt.