Gelsenkirchen-Buer. Der Propsteichor St. Urbanus absolvierte jetzt in Gelsenkirchen seine zweite Online-Probe und bleibt ohne Kontakt in Kontakt. So funktioniert’s.
„Hallo, ihr Lieben. Könnt ihr mich hören?“ – „Ja“, schallt es zurück aus mehreren Wohnzimmern, Arbeitszimmern, Küchen. Das ist schon ein ganz besonderer Auftakt zu einer Chorprobe. Zum zweiten Mal probt der Propsteichor St. Urbanus online – technische Fallstricke noch inklusive. „Wie geht das denn jetzt. Wie bekomme ich euch alle laut gestellt“, spricht Kantor Carsten Böckmann ein bisschen mit allen und ein bisschen mit sich selbst. Dann sind alle Einstellungen perfekt.
Rund 40 Gelsenkirchener Sänger sitzen vor ihrem Computer
Es ist kurz nach acht Uhr am Abend. Immerhin rund 40 Sänger haben sich vor ihren Computer gesetzt um mitzumachen bei der Chorprobe – die so richtig gar keine ist. Woran es nämlich fehlt ist der Chor. Jeder singt für sich allein, hört dabei die anderen nicht. „Das würde nicht funktionieren“, sagt Carsten Böckmann. „Man hat immer eine Zeitverzögerung. Synchron singen, das geht gar nicht.“
Bei der Chorprobe spielt die Musik nicht die Hauptrolle
Daher seien es andere Proben, als sonst gewohnt. „Bevor wir richtig anfangen, schalte ich die Mikrofone der anderen stumm. Dann singe ich etwas vor und die anderen singen es nach.“ Ohne jedoch, dass der Chorleiter das Ergebnis hören kann. So könnten sich mit der Zeit auch Fehler verstetigen. „Bei so einer Chorprobe spielt die Musik nicht die Hauptrolle“, sagt Carsten Böckmann. „Es geht mehr um die Begegnung, den Austausch.“ Sicher auch darum, die gewachsene Gemeinschaft zusammen zu halten. Denn die Zeit, bis reguläre Chorproben wieder möglich sein werden, könnte ziemlich lang sein.
Man hat gerade Chöre als Infektionsherde ausgemacht
„Studien zeigen, dass das normale Chorproben bis zur Impfung nicht mehr möglich sein wird. Man hat gerade Chöre als Infektionsherde ausgemacht – weil während des Singens der Ausstoß an Atemluft so groß ist und man gleichzeitig so tief einatmet.“ Das alles über einen Zeitraum von gut 90 Minuten sorge für eine ziemliche Verseuchung der jeweiligen Räume. Daher gebe es sogar ein Verbot von Chorproben, erlassen durch das Bistum Essen. „Das ist die jetzige Situation. Warum sollte das in einigen Wochen anders aussehen? Die Aussichten sind relativ düster.“
Ausnahmezustand bleibt vorerst
Die Wissenschaftler sind sich einig: Das Singen in der Gemeinschaft birgt in diesen Tagen besondere Gefahren. Für Irritationen sorgte ein Satz aus dem neuen Erlass der Landesregierung, der Chorproben unter gewissen Auflagen gestattet. Das jedoch beziehe sich auf professionelle Sänger, hat Carsten Böckmann erfahren.
Geht es nach dem Urbanus-Kantor, bleibe man bis zu den Sommerferien bei den Online-Proben. In den Ferien ruht der Probenbetrieb ohnehin. Genug Zeit, die Lage dann neu zu bewerten – oder eben auch nicht.
Entmutigen lassen will man sich aber zumindest in St. Urbanus nicht. Auf dem heutigen Probenplan stehen sogar Stücke, die für ein Osterkonzert vorgesehen waren oder im Sommer bei einem Konzert hätten erklingen sollen. „Dann singen wir sie eben im nächsten Jahr“, trägt es der Kantor mit Fassung. Immerhin die Laune stimmt. Das tut sie auch bei den Sängern. Die freuen sich aneinander – und über den Pressebesuch. Dem winken sie sogar via Bildschirm zu. „So haben wir die Gelegenheit, miteinander zu quatschen“, erzählt eine Sängerin. Auch musikalisch sei das Projekt nicht sinnlos, meint ein Sänger. „Es muss eben jeder selbst beurteilen, ob er richtig singt. Das werden wir erleben, wenn wir wieder zusammen kommen.“
„Jetzt kann man während der Probe ein Bier trinken“
Wie denn die Familien das finden, wenn nun allein vor dem Laptop gesungen wird? „Die sind nicht da“, verraten die meisten, dass sie ihre Lieben für die Zeit der Chorprobe ausquartieren. Ein Sänger gesteht, dass am neuen Format eines besonders attraktiv ist: „Jetzt kann man während der Probe ein Bier trinken.“
Wobei damit vorerst Schluss ist. „Wir setzen uns gerade aufs Sofa, die Flasche Bier aus der Hand. Jetzt kommt die bekannte Zwerchfellübung.“ Die macht Carsten Böckmann vor. Den Ton der anderen hat er abgestellt. Jetzt gibt es im Saal des Michaelshauses nur noch ihn, das Klavier und den Laptop mit Kamera. Da spricht er seine Anweisungen hinein, singt Übungen und Stücke vor und wird vorübergehend auf eine neumodische wie besondere Weise zu einer Art Alleinunterhalter.
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