Gelsenkirchen. Wegen des Coronavirus' macht niemand mehr Urlaub. Für Gelsenkirchener Reisebüros rückt die Insolvenz mit jeder stornierten Reise näher.

Die Bundesregierung hat eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen, deutsche Reisende aus aller Welt werden gerade per Luftbrücke zurückgeholt, Europa schottet sich während der aktuellen Corona-Krise zunehmend ab, Deutschland hat die Grenzen zu den Nachbarn Österreich, Schweiz und Frankreich bereits geschlossen, Hotels, auch in NRW, dürfen keine Touristen mehr beherbergen. Wie lange die Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, anhalten werden, ist völlig unklar. Für Menschen, die in der Tourismusbranche arbeiten, eine existenzbedrohende Situation. Gelsenkirchener Reisebüro-Betreiber berichten.

André Vöges Arbeitsalltag hat sich in der vergangenen Woche drastisch geändert. Der 50-Jährige betreibt ein Reisebüro auf der Hagenstraße in Buer. Doch statt Kunden zu beraten, ob ihr nächster Trip sie in die Karibik oder an die niederländische Nordseeküste bringen wird, macht er seit Tagen vor allem eines: Stornierungen bearbeiten. Und mit jeder weiteren Reise, die abgesagt werden muss, werden die Sorgenfalten auf seiner Stirn tiefer. Denn jedes Mal verliert er dadurch seine Provision, seine Lebensgrundlage.

Geld fließt nur, wenn die Reise angetreten wird

„Keine Reise, kein Geld, also auch keine Provision“, fasst Vöge zusammen, der am Mittwoch ins Homeoffice umziehen musste. Geld fließt für den Reisebüro-Betreiber nur, wenn eine bei ihm gebuchte Reise auch tatsächlich angetreten wird. Erst dann muss der Veranstalter ihm eine Provision zahlen. Wird der Trip vorher storniert, geht Vöge leer aus. Doch dem Gelsenkirchener brechen zurzeit nicht nur die Einnahmen komplett weg. Einige Reiseveranstalter zahlen bereits bei Buchung eine Provision im Voraus. Falls die Reise dann nicht angetreten wird, muss die zurückgezahlt werden. Eine Abwärtsspirale, mit ungewissem Ausgang: „Ich habe noch nicht nachgerechnet, wie lange ich das durchhalten kann.“

Dazu komme, dass die Kunden verunsichert seien. „Viele haben Beratungsbedarf“, sagt Vöge. Dabei gehe es nicht nur um die Frage, ob bereits bezahlte Reisen erstattungsfähig sind – wird ein Urlaub wegen eines Einreiseverbots oder einer Reisewarnung abgesagt, ist es möglich, das Geld zurückzufordern. Auch, was aus Reisen für die Zeit nach dem 19. April, bis zu dem die Einschränkungen in NRW zunächst angesetzt sind, wird, bereite vielen Sorgen. Sie versuchen nun den Trip zu verschieben. Vöge hilft ihnen dabei wo er kann, obwohl er dadurch nicht nur kein Geld verdient, sondern sich so auch die Zahlung der Provision nach hinten verlagert.

Große Verluste schon durch Thomas-Cook-Pleite

„Ich habe schon von Kollegen gehört, die ganz zumachen. Für immer. Auch in Gelsenkirchen“, sagt Frank Scholz. Seit 24 Jahren betreibt er sein Reisebüro an der Karl-Meyer-Straße in Rotthausen. Dort verkauft er auch Tabakwaren, Lottoscheine und Zeitschriften. Ein zweites Standbein, auf dem nun seine berufliche Zukunft steht. „Ich werde weiter offen lassen, so lange es erlaubt ist. Aber wer ein reines Reisebüro hat, der kann nicht bestehen“, prophezeit er. Ob seine Einnahmen reichen werden, kann er noch nicht sagen. Auch, weil er die letzte Krise der Tourismusbranche gerade erst hinter sich hat. „Sehr, sehr viel“ habe er durch die Pleite des Reiseveranstalters Thomas Cook im vergangenen Herbst verloren, sagt er.

Davon ist man im Reisebüro Gelsenfly auf der Bismarckstraße in Bismarck verschont geblieben, wie Betreiber Serdar Kavakpinar erzählt. Trotzdem hat auch er Zukunftsängste. Am Dienstag noch habe er zusammen mit einem Angestellten den gesamten Tag Reisen storniert oder umgebucht. „Keiner möchte mehr fliegen.“ Auch nicht nach dem bisher verkündeten Ende der Präventionsmaßnahmen am 19. April. Die meisten, die für Ende April oder Anfang Mai eine Reise gebucht hätten, würden nun versuchen, diese noch abzusagen oder nach hinten zu verschieben, so Kavakpinar.

Reisebüros rechnen mit monatelangen Ausfällen

Und selbst wenn die Situation sich nach den Osterferien wieder entspannen sollte, glaubt er nicht an eine schnelle Rückkehr zur Normalität. „Ich denke nicht, dass die Leute sofort wieder buchen würden.“ Frank Scholz ist ebenfalls überzeugt: „In den nächsten zwei bis drei Monaten verkauft man wahrscheinlich keine Reise.“

André Vöge hat sich deshalb zu einem drastischen Schritt entschieden. „Ich melde mich arbeitslos. Ich habe recherchiert und herausgefunden, dass das auch als Selbstständiger geht“, sagt er. Auf Staatshilfe, um die finanzielle Notlage zu überwinden, will er nicht setzen. Denn diese werde wahrscheinlich in Form von Krediten erfolgen. Und die müsste Vöge zurückzahlen. „Damit wäre mir auch nicht geholfen“, sagt er. Denn auch er geht davon aus, dass es Monate dauern würde, bis das Geschäft sich wieder normalisiert. Und viel übrig bleibe ohnehin schon nicht. Auch, weil er das Gehalt seiner Auszubildenden aufbringen muss.

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