Gelsenkirchen-Hassel/Castagneto Carducci. Die gebürtige Hasselerin Sara Heinrich-Balestri lebt in Italien im toskanischen Sperrgebiet. Das Virus hat ihren Alltag durcheinandergewirbelt.

Ein 9000-Seelen-Ort, malerisch gelegen auf einem Hügel, umgeben von Weinbergen und Olivenhainen, das Meer nur einen Spaziergang entfernt: Wo Pfarrerin Sara Heinrich-Balestri (42) arbeitet, machen andere Urlaub. In Zeiten des Coronavirus mag freilich kaum jemand mit der gebürtigen Hasselerin tauschen. Lebt sie doch mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Sperrzone Italien – und muss Seelsorge auf Distanz betreiben.

„Seit dem 10. März sind alle Gottesdienste und Aktivitäten bis zum 3. April ausgesetzt. Das neue Dekret verbietet, sich ohne dringenden Grund aus den Gemeinden wegzubewegen“, berichtet die evangelische Theologin, die mit einem Kollegen für die Gemeinden in Pisa, Livorno und Rio Marina auf der Insel Elba zuständig und deshalb häufig unterwegs ist.

Gelsenkirchenerin Pfarrerin will nah bei den Menschen sein

Pfarrerin Sara Heinrich-Balestri lebt und arbeitet in Italien. Sie zog aus Gelsenkirchen-Hassel nach Castagneto Carducci.   
Pfarrerin Sara Heinrich-Balestri lebt und arbeitet in Italien. Sie zog aus Gelsenkirchen-Hassel nach Castagneto Carducci.    © Privat

In Panik auszubrechen, ist ihre Sache aber nicht, obwohl – oder gerade weil – sie nah bei den Menschen sein möchte. „Wir werden die Kirchen für Seelsorge-Gespräche weiter offenhalten und zu bestimmten Zeiten telefonisch erreichbar sein für diejenigen, die nicht persönlich kommen können oder wollen.“

Gläubige außerhalb von Castagneto Carduci zu besuchen, ist ihr dank einer Ausnahmegenehmigung auch weiterhin möglich. Für die protestantische Pfarrerin im katholisch dominierten Italien wäre die Seelsorge in einem so großen Bereich sonst auch ausgesprochen schwierig. Eine Dienstreise nach Sizilien hat sie allerdings abgesagt.

Gottesdienste ohne das üblich „Küsschen“

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Am vergangenen Sonntag hat Sara Heinrich-Balestri noch einen Gottesdienst in Pisa gehalten. „So wie es das Gesetz fordert: Mit einem Meter Abstand zwischen den Besuchern, ohne Händedruck und das übliche ,Küsschen‘!“, beschreibt sie die „ungewöhnliche Situation“. Was Wunder, sind ihr die Alltagsgesten vor Ort doch längst in Fleisch und Blut übergegangen.

Seit sie 2011 ihren heutigen Mann – ein Italiener, der in der Tourismusbranche tätig ist – kennenlernte, pendelte sie zwischen Italien, Hassel und ihrem Studienort Heidelberg hin und her. Nach der Geburt ihrer Tochter und ihres Sohnes entschied sich das Paar schließlich 2016 für die Toskana als Lebensmittelpunkt, wo auch ihre Eltern, Lisa und der jetzt pensionierte Hasseler Pfarrer Rolf Heinrich, seit vielen Jahren ein Ferienhaus haben.

Hamsterkäufe kennt sie nur aus dem Fernsehen

Castagneto Carducci

Der Ort liegt in der Provinz Livorno in der Region Toskana in Italien mit Sandstrand am Tyrrhenischen Meer. Er befindet sich im Weinbaugebiet des Sassicaia.

Dort lebte über viele Jahre der Literatur-Nobelpreisträger Giosuè Carducci (1835-1907), beliebt ist das abseits vom Massentourismus gelegene Städtchen aber auch bei Radsportfans – und den Italienern selbst, die dort gerne ihren Urlaub verbringen.-

Die Medien vor Ort berichten, so Sara Heinrich-Balestri, dass Norditaliener aus der roten Zone etwa in die Toskana ausgereist seien, um sich in ihren Ferienwohnungen aufzuhalten. Nun appellieren die Gemeinden an die Eingereisten, sich bei den zuständigen Gesundheitsämtern zu melden.

Mit der Schließung von Schulen, Kitas und Universitäten, der Absage von Veranstaltungen und Abstands-Vorschriften etwa in der Gastronomie ist nun ein großer Teil des öffentlichen Lebens zum Erliegen gekommen. „Hier gibt es kaum ein anderes Gesprächsthema als das Coronavirus. Aber die meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, sind bislang erstaunlich entspannt und befürworten die Maßnahmen der Regierung grundsätzlich“, so die 42-Jährige. Leergekaufte Supermarkt-Regale kennt sie nur aus dem Fernsehen.

Mehr als Panik vor dem Virus nehme sie eine große Verunsicherung darüber wahr, wie es insgesamt weitergehen soll. „Italien, besonders die Toskana, hängt stark vom Tourismus ab. Kann die Saison nun nicht wie geplant starten, stellt das für viele Menschen eine direkte finanzielle Bedrohung dar.“

Sorge um das italienische Gesundheitssystem

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Von Thomas Tartemann,Andreas Artz und Andree Hagel

Und sie selbst? Wie nervös macht die Ansteckungsgefahr sie persönlich? „Wenig“, so die Theologin. „Sorgen bereitet mir die Frage, ob das italienische Gesundheitswesen die Herausforderungen, die die Erkrankungen mit sich bringt, bewältigen kann. Es ist seit Jahren stark von Sparmaßnahmen betroffen. Es gibt zu wenig Personal, zu wenig Plätze für Intensivpatienten und zu wenige Beatmungsgeräte. Die möglichen Konsequenzen machen mich durchaus nervös.“

Viel Zeit, darüber nachzudenken, hat sie aber ohnehin nicht. Gilt es doch, neben ihrer Vollzeitstelle die Betreuung der Kinder (5 und 3) sicherzustellen. „Wir haben Glück im Unglück, weil mein Mann momentan zu Hause ist.“ Für viele Familien sei die Vereinbarung von Arbeit und Kinderbetreuung aber ein sehr großes Problem. Nicht immer könnten die Großeltern einspringen. Und wann die von der Regierung versprochenen Kinderbetreuungs-Gutscheine kommen und wie das Ganze in der Praxis aussehen soll, sei noch unklar.

Zentrale Herausforderung für die evangelische und katholische Kirche in Italien

So bleibt ihr wie allen Menschen in Italien derzeit nur, die Hygienevorschriften zu befolgen und zu hoffen, dass das Virus sich nicht noch weiterverbreitet. Was für sie hingegen feststeht: „Hilfe und Beistand für die persönlich betroffenen Menschen und ihre Angehörigen, auch was die sozialen und ökonomischen Folgen angeht, werden in den kommenden Monaten eine zentrale Herausforderung für die evangelische und katholische Kirche in Italien sein.“