Gelsenkirchen-Buer. Angst um die Eltern, Unsicherheit wegen der Prüfungstermine, Pflichten im Haushalt: Drei Schüler erzählen, unter welchem Druck sie stehen

Büffeln mit Tunnelblick? Von wegen! Der Corona-Abiturjahrgang 2020, er steht unter besonderem Druck: Die Schüler plagen nicht nur Sorgen, wegen des Unterrichtsausfalls von drei Wochen zu wenig auf die Prüfungen vorbereitet zu sein, sondern auch davor, dass sich Eltern und Großeltern mit Covid-19 anstecken könnten. Kurz: Mit voller Konzentration zu pauken, ist für viele nicht möglich. Wie sehr das Virus das Lernen erschwert, erzählen Marcy Ann Rabe, Paula Dannenberg und Felix Dronia, die die Redaktion beim Büffeln stören durfte.

Nur mal kurz etwas essen und zur Toilette gehen, dann wieder ran an den Schreibtisch: Marcy Ann Rabe (19) von der Gesamtschule Buer-Mitte (GBM) wäre froh, wenn ihre Tage bis zum Start der Abiturklausuren am 12. Mai so herrlich eintönig verlaufen könnten. Weil ihre Eltern einer Risikogruppe angehören, ist sie es, die auch mal im Haushalt mit anpackt, dem Vater im Garten hilft, Lebensmittel einkauft. Immer wenn sie loszieht mit Liste und Tasche, sitzt ihr die Angst im Nacken, "dass ich das Virus mit nach Hause bringen könnte." Entsprechend aufmerksam beobachtet sie Mutter und Vater auch, lauscht auf jedes Räuspern und Husten.

Gelsenkirchenerin sorgt sich, dass Vorbereitungen nicht ausreichen

Zwar hat sie ein eigenes Zimmer samt PC, wo sie lernt, aber die nötige Ruhe, nein, die bringt sie nicht immer auf. "Ich will mich ja über die aktuelle Situation in den Medien informieren und werde so immer wieder herausgerissen", berichtet sie. Überdies: Die Betreuung durch Lehrer sei nicht durchgängig optimal. "Viele kümmern sich gut, bei anderen ist aber noch Luft nach oben."

Dass ihrem Jahrgang eine Woche normaler Unterricht und zwei Wochen Intensivvorbereitung auf die Abiturfächer fehlen, liegt Marcy Ann Rabe schwer im Magen. "Wir versuchen uns aber in Chats gegenseitig zu helfen, wenn noch etwas unklar ist. Schließlich will man die Lehrer nicht ständig mit Fragen per Mail nerven. Sonst bekommen sie den Eindruck, wir wären zu blöd", setzt sie darauf, dass letzte Fragen noch nach den Osterferien ab 20. April geklärt werden können.

PC-Störung verursacht in Zeiten digitalen Lernens für Ärger

GBM-Mitschüler Felix Dronia (18) aus Gladbeck-Rosenhügel an der Stadtgrenze zu Horst sorgt sich derweil um gleich mehrere zum Teil schwer erkrankte Familienmitglieder. "Ich habe sie schon seit Wochen nicht gesehen, wir telefonieren nur. Natürlich bedrückt mich das und erschwert, dass ich mich zu 100 Prozent in die Abiturvorbereitung stürzen kann."

Er lobt ausdrücklich das Engagement seiner Lehrer in Sachen Digital-Betreuung. "Das klappt super! Ich bekomme genügend Material." Probleme bereitet ihm allerdings, dass sein PC nicht mehr richtig funktioniert, er bei vielem aufs Handy ausweichen und sich bei Mitschülern erkundigen muss. Das ist umständlich und kostet Zeit.

Durch Terminverschiebung nun alle drei Klausuren in einer Woche

Sorge, nicht fit genug zu sein für die Prüfungen, hat Paula Dannenberg (17) vom Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium kaum. "Weil das Abi ja um drei Wochen nach hinten verschoben wurde, liege ich ganz gut in der Zeit. Die Kommunikation mit meinen Lehrern läuft auch gut", berichtet die Beckhausenerin.

Pech hat sie nur mit den neuen Terminen für ihre Klausuren. "Die liegen jetzt alle drei in einer Woche. Nach der alten Regelung hätte ich in jeder Woche nur eine geschrieben. Bei anderen ist es umgekehrt." Auch sie drückt die Angst, dass Familienmitglieder mit Risikofaktoren sich mit dem Coronavirus infizieren könnten.

Skepsis, wie Infektionsschutz während der Prüfungen gewährleistet werden soll

Beim Lernen im Hinterkopf haben aber auch alle Drei die Frage, "wie die Prüfungen praktisch unter Wahrung des Infektionsschutzes funktionieren sollen", so Felix Dronia. "Selbst wenn wir während der Klausuren genügend Abstand zueinander haben sollten, so ist es doch schon bei der Anreise in Bus oder Bahn schwierig, das Kontaktverbot einzuhalten. Auch bei der Ankunft, wenn alle vor den Räumen warten, wird es Ansammlungen geben."

"Ich frage mich, wie groß die Ansteckungsgefahr ist, wenn ein ganzer Jahrgang dieselben Toiletten benutzt. Mit Desinfektionsmittel alleine ist es ja nicht getan, wenn niemand die WC putzt", überlegt auch Marcy Ann Rabe, in Sorge wegen ihrer Eltern. "Gesundheit geht doch vor. Auch junge Leute können an dem Virus sterben."

Vorteile und Nachteile einer Durchschnitts-Abiturnote

Ob ihr dann eine Abiturnote, zusammengesetzt aus den Noten der Oberstufenjahre, lieber wäre? "Ich finde diese Idee ganz gut. Wir haben uns doch auch in den Jahren vor den Abiturprüfungen angestrengt. So stehen wir jetzt unter doppeltem Druck, müssen uns aber ein Leben lang mit dem Zeugnis bewerben."

"Bundesweit einheitlich geregelt, wäre eine solche Durchschnittsnote eine gute Sache. Sonst gibt's womöglich Nachteile bei Bewerbungen an den Universitäten", so Felix Dronia. Den Stoff beherrschten die Abiturienten nach drei Jahren, "da wäre es angesichts der gesundheitlichen Gefahren für uns und unsere Familien sinnvoller, die Prüfungen abzusagen."

Unsicherheit, ob "Durchschnitts-Abi" anerkannt wird

Dass dieses Lösung, zumal im Vergleich mit den Noten früherer Jahrgänge, womöglich als "geschenktes Abi" gewertet werden könnte, ist allen Abiturienten bewusst. "Aber umgekehrt ist es genauso ungerecht, uns in die Prüfungen zu schicken, während wir Angst vor einer Infektion und um die finanzielle Existenz unserer Familien haben", betont Felix Dronia.

Paula Dannenberg gibt sich unterdessen "schon gewillt, die Klausuren zu schreiben", auch aus Sorge, "dass andernfalls das Abi mit der Durchschnittsnote nicht so anerkannt wird." Und doch, wenn sie an ihre Familie denkt, bleibt sie dabei: "Gesundheitsschutz geht vor!"