Gelsenkirchen. OB Baranowski erklärt, warum es in Gelsenkirchen ein Ansammlungsverbot gibt. Er schließt nicht aus, wegen der Krise länger im Amt zu bleiben.

In dieser Woche hat Oberbürgermeister Baranowski mit Ausgangssperren gedroht. Kommen wird zunächst – ab Samstag, 21. März, ein Ansammlungsverbot. Im Interview mit WAZ-Redaktionsleiter Steffen Gaux äußert sich Frank Baranowski zur aktuellen Corona-Krise.

Herr Baranowski, erleben Sie gerade kurz vor dem Ende Ihrer Amtszeit die schwerste Krise als Oberbürgermeister?

Baranowski: Zweifelsfrei ist das die größte Herausforderung, vor der Gelsenkirchen – wie alle anderen Städte auch – steht. Die Kanzlerin hat völlig Recht, dass dies eine Situation ist, die wir seit Ende des Zweiten Weltkriegs so noch nicht erlebt haben. Und es ist eine Herausforderung – das macht sie umso schwieriger –, für die es keine Blaupause gibt. Wir erkennen den Gegner nicht klar und die Folgen sind überhaupt nicht absehbar.

Die ersten Meldungen über das Coronavirus in China sind gerade einmal zwei Monate her. Wann haben Sie gemerkt, dass diese Infektion auch für Deutschland, auch für Gelsenkirchen zur Bedrohung werden kann?

Das war mit dem Auftreten der ersten Infizierten in Heinsberg. Da wurde mir klar: Jetzt ist es auch wirklich hier gelandet. Kurz danach hatten wir ja auch die ersten Fälle in unserer Stadt von Menschen, die in Heinsberg Karneval gefeiert hatten.

Herr Baranowski, ist eine Ausgangssperre in Gelsenkirchen noch zu verhindern?

Sie haben in dieser Woche an alle Bürgerinnen und Bürger appelliert, zu Hause zu bleiben, und mit einer Ausgangssperre gedroht. Lässt die sich überhaupt noch verhindern?

Mein Eindruck ist: Die Erkenntnis in der Bevölkerung, dass man zu Hause bleiben und die sozialen Kontakte runterfahren soll, wächst zu langsam. Deshalb haben wir jetzt ein Ansammlungsverbot für mehr als zwei Personen verhängt. Ob das ausreicht, wird das Wochenende zeigen. Aber klar ist: Ausgehverbote können immer nur das letzte Mittel sein. Man muss ja immer im Auge haben, dass diese Freiheitsbeschränkungen auch wieder aufgehoben werden müssen. Man kann eine Bevölkerung ja nicht dauerhaft wegschließen.

Genau davor haben viele Menschen Sorgen. Aber es ist ja nicht so, dass sie gar nicht mehr nach draußen dürften. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern einmal sagen, was eine Ausgangssperre, die Sie als OB aussprechen können, bedeuten würde?

Dass einzelne Städte isoliert eine komplette Ausgangssperre aussprechen, wäre äußerst ungewöhnlich. Wenn, dann rechne ich damit, dass das landesweit oder bundesweit passiert. Wir haben keine Erfahrung damit, es gibt keine Beispiele. Wir können nur in andere europäische Länder schauen. Da heißt Ausgangssperre: Man darf auf dem direkten Weg zur Arbeit und zurück, man darf einkaufen, man darf zum Arzt und man darf mit dem Hund rund um das Haus auch Gassi gehen – mehr allerdings dann auch nicht.

Rechnen Sie mit einer Ausgangssperre?

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Für eine Entscheidung darüber könnte der Samstag der ausschlaggebende Tag sein. Viele Menschen, die bisher noch ganz normal zur Arbeit gegangen sind, werden morgen das erste Mal regulär frei haben. Deshalb unser aktuelles Versammlungsverbot über zwei Personen. Und ich appelliere noch einmal an alle: Folgt den Anweisungen, bleibt freiwillig zu Hause! Geschieht das nicht, kann es schnell passieren, dass wirklich drastische Maßnahmen beschlossen werden müssen. Das würde ich gerne vermeiden.

Haben Sie die Sorge, dass viele Geschäfte pleite gehen?

Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski sorgt sich, dass einige Geschäfte die Krise nicht überleben könnten.
Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski sorgt sich, dass einige Geschäfte die Krise nicht überleben könnten. © FFS | Olaf Ziegler

Wie groß ist Ihre Sorge, dass viele der Geschäfte – Cafés, Kneipen, Restaurants, Reisebüros – nach der Krise nicht mehr öffnen, weil sie pleite sind?

Die Sorge ist schon sehr groß, weil es ganz viele kleinere Unternehmen gibt, wie Selbstständige oder Unternehmen mit einigen wenigen Mitarbeitern, die ja keine riesigen Rücklagen gebildet haben, aber Miete und Nebenkosten weiter zahlen müssen. Da ist es wichtig und hilfreich, dass es Finanzhilfen gibt. Mein Eindruck ist, dass Land und Bund diese Situation erkannt haben. Die Summen, die sie bereitstellen, sind ja auch wirklich bemerkenswert. Wichtig ist nur, dass dieses Geld auch zügig und unbürokratisch zur Verfügung gestellt wird, weil insbesondere die von Ihnen genannten Unternehmen gar keine Zeit für lange bürokratische Verfahren haben.

Ist das nur eine Sache von Land und Bund? Oder kann auch Gelsenkirchen selbst mit seinen begrenzten finanziellen Möglichkeiten etwas tun, um den Selbstständigen unter die Arme zu greifen?

Aus meiner Sicht können wir mindestens zwei Dinge tun. Zum einen: Ich sprach ja gerade von dem Geld, das Land und Bund zur Verfügung stellen. Ganz entscheidend sind dabei die Fragen: Was steht alles zur Verfügung? Und wie kommt man dran? Und deshalb ist eine unserer vorrangigen Aufgaben, Informationen zur Verfügung zu stellen – gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Kreditwirtschaft, um deutlich zu machen, wie man kurzfristig Liquidität sichern und Mieten weiter zahlen kann. Das Zweite ist, dass wir als Stadt jetzt Verträge, die wir mit Dienstleistern, Unternehmen oder Organisationen haben, nicht aussetzen oder kündigen, nur weil unsere Vertragspartner zurzeit ihre Leistung nicht erbringen können.

Glauben Sie auch, dass kein Job verloren geht?

Sie sprachen die Kreditwirtschaft an. Viele würden sich ja wünschen, dass man ihnen direkt unter die Arme greift. Ein Reisebüro, das einen Kredit aufnehmen muss, auch wenn das zu günstigen Konditionen der Fall sein würde, verschuldet sich ja damit. Sind wir vielleicht bald in einer Situation, wo man gewissen Unternehmen einfach einen Scheck in die Hand drücken muss?

Ja, auch diese Möglichkeit muss es geben. Und soweit ich die Nachrichten aufmerksam verfolgt habe, soll es solche Einmalzuwendungen, solche Nothilfefonds wohl geben. Auch diese Informationen werden wir, sobald sie vorliegen, ganz schnell an unsere Unternehmen weiterleiten.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat kürzlich gesagt, in dieser Krise ginge nicht ein Job verloren. Würden Sie das unterschreiben?

Ich würde es mir wünschen.

Aber unterschreiben würden Sie es nicht?

Dass nicht ein einziger Job verloren geht, da habe ich meine Zweifel.

Könnte die Kommunalwahl 2020 verschoben werden?

Haben Sie sich schon mit dem Gedanken auseinandergesetzt, möglicherweise doch noch länger im Amt zu bleiben, weil die Kommunalwahl vielleicht verschoben wird?

Eine Verschiebung der Kommunalwahl würde ich mittlerweile nicht mehr ausschließen. Lassen Sie mich das mit einem Bild beschreiben: Auch wenn die Fahrt ein bisschen länger dauert – der Kapitän geht dann nicht von der Brücke, sondern er steuert das Schiff schon bis in den Hafen.

Würden Sie eine Prognose wagen? Wann kehrt in Gelsenkirchen langsam wieder die Normalität zurück?

Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass wir noch vor den Sommerferien ein Stück Normalbetrieb haben. Garantieren – gerade mit Blick auf Italien und andere Länder – kann ich das allerdings nicht.

Wie lange halten die Menschen und auch die Wirtschaft diese Situation durch – wenn wir nicht nur von Wochen, sondern vielleicht von mehreren Monaten sprechen?

Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben. Mich sorgt das. Alle Experten, mit denen ich rede, haben auf die Frage, wie man wieder in den Normalbetrieb kommt, wenn die Zahl der Infizierten nicht nennenswert runtergeht, keine Antwort. Ich weiß es schlichtweg nicht.