Oberhausen. Der Oberhausener Krisenstabsleiter Michael Jehn äußert sich im ausführlichen Interview zum Streit um die Centro-Öffnung – und zur Maskenpflicht.
Herr Jehn, der Corona-Krisenstab trifft viele heikle Entscheidungen. Welcher Beschluss ist Ihnen bisher am schwersten gefallen?
Michael Jehn: In unserem Krisenstab arbeiten rund 35 Personen zusammen, die so noch nie zusammengearbeitet haben. Gleichwohl ist zum Glück die Arbeitsatmosphäre sehr vertrauensvoll. Denn mir ist es wichtig, dass wir die Entscheidungen einvernehmlich treffen, nachdem wir die Experten gehört haben. Es gibt keinen Beschluss, den ich hier hervorheben will. Fast alle Entscheidungen bedeuten leider Einschränkungen für Bürgerinnen und Bürger – und sie sind teils massiver Natur. Ob Kontaktsperren oder wirtschaftliche Verbote – solche Entscheidungen trifft man nicht gern, das alles fällt schwer. Gut ist aber, dass die Oberhausener Bürger insgesamt sehr verständnisvoll, sehr diszipliniert mit diesen Einschnitten umgegangen sind.
Höchst umstritten in der Bevölkerung ist die Öffnung vieler Geschäfte im Centro. Was halten Sie von der Entscheidung der Landesregierung, Lockerungen ebenfalls für Einkaufszentren zu vollziehen?
Die Bundeskanzlerin hat den derzeitigen Stand als zerbrechlichen Zwischenerfolg beschrieben. Deswegen kann man mit Fug und Recht über jede einzelne Lockerung unterschiedlicher Meinung sein. Aber auch bei den Einkaufszentren zeigen die Oberhausener, dass sie sehr diszipliniert mit den Lockerungen umgehen. Weder im Bero-Zentrum noch im Centro haben wir bisher einen Massenansturm von Besuchern erlebt – das Gegenteil war der Fall.
Sieben-Tage-Job als Krisenstabsleiter
Michael Jehn (parteilos) ist seit Anfang Juli 2019 Beigeordneter für Ordnung, Bürgerservice, Personal und IT der Stadt Oberhausen. Zu seinem Bereich gehört auch die städtische Feuerwehr. Zuvor arbeitete der 50-jährige Diplom-Verwaltungsfachwirt von Herbst 2015 an als Leiter der Stadtkanzlei und damit als Büroleiter von Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU). In seiner vorherigen Station war er als Prokurist bei den Wirtschaftsbetrieben Oberhausen (WBO) zuständig für Personal und Finanzen.
Jehn lebt mit seiner Familie (zwei Töchter, ein Sohn) im Oberhausener Schladviertel. Er ist in Oberhausen geboren und aufgewachsen im Marien-/Bismarckviertel. Er machte das Abitur auf dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium, leistete seinen Zivildienst im St.-Josef-Hospital in Alt-Oberhausen. Zeit für Hobbys hat er in seinem derzeitigen Sieben-Tage-Job als Krisenstabsleiter nicht mehr – er bemüht sich nach eigenen Worten aber, seine regelmäßigen Jogging-Runden zu absolvieren.
Das Centro durfte noch vor den Schulen öffnen – ist das die richtige Reihenfolge, Shopping eher zu erlauben als Bildung?
Die Reihenfolge ist auch eine Frage vernünftiger Vorlaufzeiten. Die Schulen benötigen einige Zeit, um die Schüler unter sorgfältiger Einhaltung aller notwendigen Regeln wieder langsam in den Unterrichtsbetrieb zurückzuführen. Auch der Handel nimmt sich ja eine gewisse Vorlaufzeit, um geordnet zu beginnen: Im Centro oder in der Innenstadt haben noch nicht alle Geschäfte geöffnet.
Können die Schulen in Oberhausen überhaupt die Hygiene-Standards einhalten – Abstandsgebot, Desinfektionsmittel, saubere Toiletten, Seifenspender? Sind die Schulen so gut ausgestattet?
Direkt zu Beginn der Epidemie haben wir genügend Papierhandtücher, Seifenspender und andere notwendige Artikel bestellt. Die Schulverwaltung hat mit den Fachleuten der Stadttochter OGM noch einmal alle Schulen aufgesucht. Ich gehe davon aus, dass die Hygienebedingungen ausreichend erfüllt sind.
Kann man im öffentlichen Nahverkehr mit Schülern überhaupt dafür sorgen, dass man sich nicht so leicht infiziert? Wie will die Stoag das schaffen?
Der Stoag sind sämtliche aktuellen Schülerzahlen bekannt, um ihre Bus-Kapazitäten zu planen. Die Stoag hat zugesagt, bei Bedarf zusätzliche Busse bereitzustellen und zunächst nur große Gelenkbusse einzusetzen, um ein höheres Platzangebot zu schaffen.
Trotz aller Pandemiepläne haben die Kommunen und Krankenhäuser nicht ausreichend dafür gesorgt, dass zumindest für systemrelevante Berufe Atemschutzmasken und Schutzmäntel eingelagert wurden. Wo sehen Sie die Ursache für diesen Fehler?
Als Stadtverwaltung haben wir etwa für den Rettungsdienst ohnehin die Pflicht, einen Vorrat an Schutzmaterial vorzuhalten. Wir haben früh erkannt, dass wir vielleicht in die Situation geraten, Schutzmaterialien an Dritte abzugeben. So haben wir rechtzeitig entsprechende Bestellungen von Schutzausrüstungen auch für medizinische Bereiche aufgegeben. Nach vierwöchiger Wartezeit sind wir jetzt mit Masken bestückt. Bei der Feuerwehr haben wir ein Depot eingerichtet, um Schutzmasken auch an Dritte weiterzureichen.
Trotzdem hatten wir von Beginn an die Diskussion in Deutschland, dass es zu wenige Schutzmaterialien gibt. Warum haben sich Krankenhäuser und andere systemrelevante Berufssparten nicht darum gekümmert?
Die Oberhausener Krankenhäuser haben zwar für ihre normale Arbeit einen Vorrat angelegt, doch wir erleben eine extrem außergewöhnliche Situation für alle. Eine solche Extremlage kann nicht immer Grundlage für alle Planungen sein. Doch die Krankenhäuser haben bisher noch keine Bedarfsanforderung abgeben müssen, sondern uns sogar Schutzmasken für besondere Fälle angeboten. In Oberhausen sind wir sehr solidarisch aufgestellt.
Was halten Sie persönlich von der Einführung einer Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften, die ab Montag nun doch für Nordrhein-Westfalen gilt?
Mit dem einfachen Mund-Nasen-Schutz kann man die eigenen Tröpfchen bei sich behalten und erhöht damit den Schutz für Dritte. Überall da, wo man den nötigen Abstand nicht einhalten kann, ist es sicherlich sinnvoll, eine solche Maske zu nutzen. Deshalb ist es auch richtig, dass wir ab der kommenden Woche in NRW und damit auch in Oberhausen beim Einkaufen sowie in Bussen und Bahnen Masken tragen müssen.
Sie müssen sich ja auf die medizinischen Fachleute verlassen. Zunächst hieß es ja, dass das Corona-Risiko für Deutschland gering bis mäßig sei, eine Gefahr erst nach einem 15-Minuten-Gespräch mit Infizierten vorhanden sei oder Mundschutz-Masken nichts bringen würden. Jetzt ist das Gegenteil zu hören. Wie verärgert sind Sie über das Wirrwarr der Fachmeinungen im Laufe der Zeit?
Verärgert will ich das nicht nennen. Dass es unterschiedliche Meinungen von Fachleuten gibt, ist bei einer solchen dynamischen Lage mit einem unbekannten Virus eigentlich nichts Besonderes. Wir in Oberhausen müssen vor allem darauf achten, wie wir den Gesundheitsschutz für die Oberhausener Bevölkerung sicherstellen – und müssen uns auf die Akteure vor Ort verlassen. Da bin ich froh, dass uns alle Vertreter und Fachleute im Krisenstab so deutlich unterstützen.
Müssen nach Ihren Erkenntnissen mehr Menschen getestet werden, um wieder bessere Chancen zu haben, einen relativ normalen Alltag zu leben, weil man diese dann zielgerichtet in Quarantäne setzen kann?
Die Zunahme an Tests wird einen entscheidenden Anteil daran haben, wie gut wir den Fortgang der Krise bewältigen können. Uns ist es gelungen, unsere Testkapazitäten auf täglich 200 zu verdoppeln. Wir haben uns bewusst entschieden, damit als erstes in den Altenheimen strukturiert zu testen, um verdeckte Infizierungen zu ermitteln. So ist man präventiv tätig. Denn man kann so frühzeitig Infizierte erkennen, die Kontaktpersonen ausfindig machen und diese in die entsprechende Quarantäne schicken. So können Infektionsketten unterbrochen werden.
Mindestens ein Bürger musste allerdings Wartezeiten auf das Testergebnis von mehreren Wochen hinnehmen.
Wenn das so vorgekommen ist, bedaure ich das sehr, das sollte nicht so sein und muss ein extremer Einzelfall sein. Die Ergebnisse müssen zügig mitgeteilt werden. Wir sehen bei den Pflegeheimen, dass das Testergebnis sehr schnell geliefert wird. Sowohl bei den 140 Tests im Martha-Grillo-Seniorenzentrum als auch in der Flüchtlingsunterkunft an der Duisburger Straße hatten wir die Resultate direkt am Tag nach der Probenentnahme.
Neben den Geschäften unter 800 Quadratmetern, den Autohändlern und Möbelhäusern dürfen ja auch alle Buchhandlungen wieder öffnen. Kann man da nicht die städtischen Bibliotheken wieder zugänglich machen?
Nach der jetzt geänderten Corona-Schutzverordnung des Landes ist das tatsächlich wieder erlaubt – allerdings nur unter strengen Auflagen, wie etwa Zugangskontrollen und die Registrierung der Besucher. Wir planen, sukzessive wieder Bibliotheksleistungen der Bevölkerung zu unterbreiten – und auch der Service der Stadtverwaltung soll wieder Schritt für Schritt angeboten werden.
Der Krisenstab tagt jetzt bereits mehrere Wochen täglich. Wie sehr belastet diese Arbeit Sie persönlich, weil Sie jeden Tag mehrere Stunden tagen – auch am Wochenende?
In meiner 30-jährigen Berufstätigkeit bei der Stadtverwaltung Oberhausen ist diese Krise sicherlich das bisher einschneidendste Ereignis. Aber ich will gar nicht über meine persönliche Belastung reden, denn ich weiß, dass diese Epidemie den Arbeitsalltag fast aller Menschen unserer Stadt verändert hat – zum Teil auf dramatische Art und Weise. Viele werden wirtschaftlich stark gebeutelt – und trotzdem ist festzustellen, dass die Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung sehr hoch ist. Die allgemeine Stimmungslage ist zum Glück immer noch geprägt von Hilfsbereitschaft, Solidarität und Akzeptanz – die Menschen in Oberhausen sind zu loben.
Das Interview mit dem Leiter des Krisenstabs der Stadt Oberhausen und Ordnungsdezernent Michael Jehn führte Redakteur Peter Szymaniak
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