Kreuztal. Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird am Mittwoch über die Klagen gegen die Stromtrasse verhandelt. Was in letzter Minute passiert.

Die Überraschung kam per Mail von der Bezirksregierung am Dienstag, 30. April, 23.15 Uhr: ein Planfeststellungsbeschluss zur dritten Änderung der Planung für die Strom-Höchstspannungsleitung durch das Heestal – drei Werktage vor der mündlichen Verhandlung über die Klagen gegen die Stromtrasse. In der Planänderung geht es um die Zuwegungen zum geplanten Umspannwerk in der Dänischen Wiese gegenüber von Schloss Junkernhees.

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Das Gericht hat bereits reagiert: Am Mittwoch, 8. Mai, wird in Leipzig über das Umspannwerk nicht gesprochen; ein wesentlicher Teil des Konflikts wird damit zunächst ausgeblendet und auf einen späteren Termin verschoben. Konzentrieren wird sich die Auseinandersetzung somit auf die Stromtrasse selbst: Die Kläger wollen den Netzbetreiber Amprion zum Bau einer „Waldtrasse“, auch „Meiswinkel-Variante“, bewegen, die größeren Abstand von der Bebauung im Heestal und der Ortslage Meiswinkel hält. Vier private Kläger, darunter Ansgar Klein und Sascha Reller als Vertreter der Bürgerinitiative, und - für die ebenfalls klagende Stadt Kreuztal - Stadtbaurätin Christian Eckstein und Planungs-Sachgebietsleiterin Petra Kramer werden vor Gericht mit der Bezirksregierung streiten, genauer der Vertretung der Abteilung Bergbau und Energie und ihres Dezernats Energieinfrastruktur. Beigeladen ist Netzbetreiber Amprion.

Ansgar Klein ist empört: Die kurze Frist zwischen der nächtlichen Zustellung des zum dritten Mal geänderten Planfeststellungsbeschlusses und dem Gerichtstermin verhindere die angemessene Vorbereitung auf den Prozess. „In Deutschland ist es im Grunde für Privatleute nicht möglich, so einen Prozess durchzuziehen.“ Ebenfalls beklagt hat sich erst vor einigen Tagen die Stadt Kreuztal, dass ihr erst vor wenigen Tagen eine Änderung der dritten Änderung der Planfeststellung übermittelt wurde, die dann offenkundig auch sehr schnell in der Bezirksregierung unterschrieben wurde. Anscheinend, so die Vermutung der Stadt, gehe es darum, den Klägern vor dem Gerichtstermin möglichst viele Argumente zu nehmen, indem der Plan immer wieder nachgebessert werde. Die vier Kläger aus Junkernhees vermitteln trotzdem Zuversicht – ungeachtet der Vorgeschichte: Bisher blieben vor dem Bundesverwaltungsgericht alle Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse zu den anderen Trassenabschnitten erfolglos. Auch ein Antrag aus Kreuztal auf „Eilrechtsschutz“ wurde bereits im März abgelehnt, sodass Amprion weiterhin von dem erteilten Baurecht Gebrauch machen kann. Ansgar Klein: „Wir haben jetzt den letzten Schuss.“

So hat es angefangen

Im Mai 2011 wurde der Kreuztaler Infrastrukturausschuss erstmals mit einem „Raumordnungsverfahren für Höchstspannungsfreileitungen der Firma Amprion“ befasst. „Grundsätzlich“, so hieß es damals in der Stellungnahme der Stadt, bestünden keine Bedenken gegen das Vorhaben. Allerdings brachte die Stadt bereits Alternativen ins Spiel – unter anderem eine Trassenführung mit größerem Abstand von Mittel- und Junkernhees und Meiswinkel. Diese „Meiswinkel-Variante“ sollte dann Jahre später eines der Themen für eine lange Auseinandersetzung werden. Schon im Juli berichtete Stadtbaurat Eberhard Vogel dem Rat von einer „verschärften Stellungnahme“ der Stadt. Im November erfährt die Stadt, dass Amprion die Alternativtrasse aus „Umweltgesichtspunkten“ ablehne.

Im Dezember 2013 erreicht die Kreuztaler Politik eine vermeintliche Erfolgsmeldung: Der Ausbau der Leitung zwischen Fellinghausen und der Setzer Wiese in Geisweid sei womöglich entbehrlich, somit auch die breitere Schneise mit höheren Masten von Kreuztal über Buschhütten bis ins Siegener Stadtgebiet. Der Preis: ein neues Umspannwerk „zwischen Fellinghausen und der Mühlbergsiedlung“, das das Umspannen in der Setzer Wiese überflüssig machen würde. „Laut Amprion werde mit diesem Neubau, der in einem Talkessel liege, im Vergleich zum Trassenneubau der Eingriff in die Natur minimiert. Zudem würden die berechtigten Interessen der Anwohner besser berücksichtigt“, heißt es im Protokoll des Infrastrukturausschusses.

380 Kilovolt: Die Trasse

Zwischen Kruckel bei Dortmund in Nordrhein-Westfalen und Dauersberg in Rheinland-Pfalz baut Amprion auf 126 Kilometern eine Leitung in bereits vorhandener Trasse aus – statt 220 wird die neue Freileitung eine Spannung von 380 Kilovolt führen. Sie ist in sechs Abschnitte unterteilt. Für alle Abschnitte gibt es Planfeststellungsbeschlüsse. Gegen das Baurecht für die Abschnitte Dortmund-Hagen, Iserlohn-Attendorn und Landesgrenze-Dauersberg wurde geklagt, das Bundesverwaltungsgericht hat die Klagen jeweils abgewiesen. Ihre Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt Muderbsach-Umspannwerk Eiserfeld hat die Ortsgemeinde Mudersbach zurückgezogen.

Jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt wird der Planfeststellungsbeschluss von 2022 für den Abschnitt Attendorn-Oberschelden (Landesgrenze). Ab Wenden verläuft die Trasse entlang der B 54, erreicht Kreuztaler Stadtgebiet und führt westllch an Eichen vorbei nach Fellinghausen. Dort zweigt die Leitung zum bisherigen Umspannwerk Setzer Wiese in Geisweid ab. Über das neue Umspannwerk Junkernhees wird die Leitung über Meiswinkel, Niederholzklau, Alchen, Seelbach und Oberschelden zur Landesgrenze geführt.

Für das Umspannwerk werden verschiedene Standorte untersucht, Zwischeninformationen vor allem in nicht öffentlichen Sitzungen verbreitet. Die Annahme, dass es der Kohlenberg hinter der Mühlbergsiedlung wird, führt in die Irre. Das Numbachtal zwischen Junkern- und Mittelhees südöstlich der Heesstraße, die „ Nachtweide“ südlich von Mittelhees und ein Gelände zwischen Buschhütten und Sohlbach nordwestlich der Sohlbacher Straße werden genannt. Im April 2016, bei der ersten Bürgerinformationsveranstaltung in der Weißen Villa, wird die Katze aus dem Sack gelassen: Das Umspannwerk soll auf der Dänischen Wiese gegenüber von Schloss Junkernhees errichtet werden; das Grundstück hat Amprion gerade gekauft. Unmittelbar danach formiert sich der Protest, die Bürgerinitiative Junkernhees wird gegründet.

2016 beginnt das Planfeststellungsverfahren, 2018 gibt die Stadt Kreuztal ihre Stellungnahme ab, in der Stadthalle Attendorn findet ein mehrtägiger Erörterungstermin statt. Amprion rückt von der Dänischen Wiese nicht mehr ab, auch die mittlerweile auch von der Stadt Kreuztal geforderte Erweiterung des Umspannwerks in Altenkleusheim sei keine Alternative. Auf den Erörterungstermin folgen „ergänzende Betrachtungen“ in Form von Gutachten, die Amprion beibringt, zur Meiswinkel-Variante und zum Umspannwerk. Von Kreuztal aus wird die kulturhistorische Bedeutung von Schloss Junkernhees herausgestellt, dessen Anblick durch ein Umspannwerk beeinträchtigt würde.

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Im August/September 2020 schließlich fassen Infrastrukturausschuss und Rat einen „Grundsatzbeschluss zur Vertretung der städtischen Interessen vor Gericht“. Das Protokoll zitiert Bürgermeister Walter Kiß: Amprion halte an seiner Planung fest, „daher sei es möglich, dass in letzter Konsequenz die Klärung vor Gericht nötig werde. Durch ein gemeinsames Vorgehen mit der Bürgerinitiative Junkernhees wäre die Verwaltung handlungsfähiger.“ Am 7. Juli 2022 wird der Planfeststellungsbeschluss erlassen, im September werden die Klagen beim Bundesverwaltungsgericht erhoben, der ersten und letzten Instanz für Vorhaben dieser Dimension.

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