Kreuztal/Siegen. Ab Dienstag offengelegt: Auf 426 Seiten erklärt die Bezirksregierung, warum Höchstspannung und Umspannwerk in Kreuztal „vernünftig“ sind.
426 Seiten stark ist der Planfeststellungsbeschluss, mit dem die Bezirksregierung Baurecht für den 37 Kilometer langen Abschnitt Attendorn-Mudersbach einer 380-kV-Höchstspannungsleitung schafft. Ab Dienstag, 26. Juli, sind die Unterlagen im Internet und in den Rathäusern Kreuztal, Siegen und Freudenberg bis einschließlich Montag, 8. August, ausgelegt.
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Am 8. August beginnt eine einmonatige Frist, in der eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht werden kann. In diesem Zeitraum können Betroffene beim Gericht auch beantragen, eine „aufschiebende Wirkung“ des Beschlusses herzustellen – ohne die wären die Genehmigungen für den Bau der Leitung und des Umspannwerks in Junkernhees nämlich „sofort vollziehbar“. Amprion könnte somit im September mit dem Bau beginnen. „Wir werden klagen“, stellt Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß im Gespräch mit dieser Zeitung klar. Der Berliner Rechtsanwalt Philipp Heinz wird Stadt und Bürgerinitiative vertreten.
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Das Vorhaben
Die Planung der Stromleitung sei gerechtfertigt und vernünftig, heißt es am Ende des Planfeststellungsbeschlusses. „Das Vorhaben wird zugelassen, da es im Interesse des öffentlichen Wohls unter Beachtung der Rechte Dritter im Rahmen der planerischen Gestaltungsfreiheit vernünftigerweise geboten ist (...) Dennoch verbleibende Nachteile sind durch die verfolgte Zielsetzung gerechtfertigt und müssen im Interesse des Allgemeinwohls hingenommen werden.“
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Die Höchstspannungsleitung soll auf der Trasse der bisherigen 220-kV-Leitung verlaufen, mit weniger, aber höheren Masten als bisher. Auf der Dänischen Wiese gegenüber von Schloss Junkernhees ist der Neubau eines Umspannwerks geplant. Von dort wird eine 110-kV-Leitung abgezweigt, die – anstelle der 220 kV-Leitung – zum Umspannwerk Setzer Wiese bei den Edelstahlwerken in Geisweid geführt wird. In früheren Veröffentlichungen wurde für das Gebäude des neuen Umspannwerks eine Größe von 60 mal 20 Metern Grundfläche und eine Höhe von 15 Metern angegeben. Insgesamt fünf Jahre wird der Leitungsbau auf der Gesamtstrecke dauern.
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Die Einwände: Betrachter werden sich gewöhnen
Das Heestal: „Störungen Erholungssuchender“ würden „die Schwelle der Erheblichkeit nicht überschreiten". Für Wegeverbindungen, die während der Bauzeit unterbrochen würden, würden Umleitungen geschaffen; die Freizeit- und Erholungsfunktion des Waldes werde „nicht erheblich beeinträchtigt“. Das gelte auch für die Umspannanlage. Die höheren, die Baumkronen überragenden Masten würden zwar den Blick auf die Landschaft beeinträchtigen. Es sei aber auch „zu erwarten ist, dass eine physiologisch-psychologische Kompensationsreaktion (kognitive Adaption) auf die Masten als schleichender Gewöhnungseffekt nach einiger Zeit eintritt“.
Das Umspannwerk: „Durch weitmögliche Eingrünung des Anlagenstandortes sowie angepasste Farbgestaltung der Anlage werden die ermittelten nachteiligen Wirkungen kompensiert“, heißt es in dem Beschluss. „Insgesamt kommt es zu vergleichsweise schwachen Auswirkungen auf die historische Kulturlandschaft.“ Im Trassenverlauf befänden sich zudem bereits landwirtschaftliche Betriebe, Industriehallen und Freizeitanlagen, ausdrücklich genannt wird der Golfplatz.
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Das Schloss Junkernhees: Das Baudenkmal werde durch Masten und Leitungen „nicht komplett und vor allem nicht dauerhaft verschattet“. Der Blick vom Wanderweg aus zum Schloss werde „nur punktuell beeinträchtigt, wenn der Mast unmittelbar in der Sichtachse des Betrachters liegt“. Bei der Betrachtung der Sichtachsen vom Schloss Junkernhees ausgehend, würden „die Masten und die Freileitung sowie die Umspannanlage teilweise sichtbar, aber nicht vollständig visuell dominant im Sichtfeld liegen.“ Die Umspannanlage werde nur „in der ersten Zeit noch dominant im Sichtfeld stehen“. Für die Denkmäler – dazu gehören auch der Hof Wurmbach und sein Backes – stellt die Behörde fest, dass jeweils nur die Gebäude, nicht aber ihre Umgebung geschützt seien.
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Die Alternativen: Entscheidung für den Wald
Meiswinkel-Variante: Die von Bürgerinitiativen und Stadt Kreuztal bevorzugte Trassenführung durch den Wald würde einen bisher nicht vorbelasteten Bereich treffen, die Leitung auf dem Höhenzug wäre weithin sichtbarer, argumentiert die Bezirksregierung. Zugestanden wird, dass der Abstand zur Wohnbebauung im Heestal und in Meiswinkel vergrößert, in Buchen zumindest bei 800 Metern gehalten wird. Besonders weist der Planfeststellungsbeschluss auf die Wiederbewaldungs-Versuchsflächen im Bereich des Kreuztaler Mühlbergs hin. Dieser nach dem Sturm Kyrill 2007 angelegte Forschungswald würde mit einem 100 Meter breiten Schutzstreifen zerschnitten. Von der vom Landesbetrieb Wald und Holz vorgeschlagenen Untervariante, die erst später im Heestal in den Wald abzweigt, habe sich der Landesbetrieb selbst distanziert: „Einer zusätzlichen Zerschneidung geschlossener Waldgebiete durch Alternativtrassen könnegerade im Hinblick der immer noch andauernden Großkalamität ‘Dürre und Borkenkäfer’ nicht zugestimmt werden.“
Planung seit 2011
Eingeleitet wurde das Planfeststellungsverfahren 2017. Bis zum Erörterungstermin im November 2018 in Attendorn wurden 347 Einwendungen erhoben und zwei Unterschriftenlisten mit insgesamt rund 500 Unterschriften vorgelegt. 74 Stellungnahmen wurden von Trägern öffentlicher Belange, also von Behörden, Verbänden und Kommunalverwaltungen, vorgetragen.
Vorangegangen ist bereits im Jahr 2011 ein Raumordnungsverfahren, bei dem die Trassenführung festgelegt wurde.
Umspannanlage: Würde stattdessen die vorhandene Anlage Setzer Wiese ausgebaut, müsste die 380-kV-Leitung mit 19 neuen Masten und um 30 Meter verbreitertem Schutzstreifen auch dorthin geführt werden, heißt es in dem Planfeststellungsbeschluss. Gegen die von Kreuztal aus geforderte Erweiterung des Standorts Altenkleusheim spreche auch die Entfernung von 13,4 Kilometern zur Setzer Wiese. Mit der zusätzlich erforderlichen´ 110-kV-Leitung von Altenkleusheim nach Geisweid würden „Beeinträchtigungen der Netzfrequenz“ riskiert.
Die Einwender: Städte Siegen und Kreuztal zurückgewiesen
Stadt Siegen: Sie sieht die Nutzung des künftigen Gewerbegebietes Oberschelden/Seelbach beeinträchtigt, wenn die Masten nicht hoch genug sind. Die Bezirksregierung weist darauf hin, dass die Planung noch nicht begonnen hat und auch nicht feststeht, ob der von Siegen für notwendig gehaltene Autobahnanschluss kommt. „Grundsätzlich hat diejenige Planung Rücksicht auf die andere zu nehmen, die den zeitlichen Vorsprung hat.“
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Stadt Kreuztal: Die Bezirksregierung weist die Einwände der Stadt gegen Trassenführung und Umspannwerk zurück: „Es ist weder erkennbar, noch von der Stadt Kreuztal vorgetragen, inwieweit das Planungsvorhaben die kommunale Selbstgestaltung beeinträchtigt.“
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Der Planfeststellungsbeschluss setzt sich außerdem mit einer Reihe von Einwendungen von betroffenen Grundstückseigentümern, der Bürgerinitiativen Junkernhees, „...weil wir Meiswinkel lieben“ und „WIR in Buchen/Sohlbach“ sowie der Waldgenossenschaften Mittelhees, Bockenbach-Eichen, Seelbach, Krombach, Littfeld, Dornseifen Komplex A und Meiswinkel Komplex A sowie der Naturschutzverbände auseinander.
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