Bürger im Heestal reagieren entsetzt auf den geplanten Bau der Höchstspannungsleitung – und mit Unverständnis auf die Stadt Siegen.
Junkernhees Der Biergarten beim Gasthof Belz ist rappelvoll, nicht nur wegen des schönen Wetters. Auf den Tischen liegen Zeichnungen von Strommasten. Und eine Animation, mit der Sascha Reller den fast 79 Meter hohen Strommast am Beginn des Heestals und das Umspannwerk in der Dänischen Wiese gegenüber dem Schloss Junkernhees sichtbar macht „Das ist maßstabsgetreu“, betont Ansgar Klein, „das ist mit das Größte, was so in Deutschland verbaut wird.“ Die Reaktionen sind entsetzt: „Das darf hier nicht hin“, sagt ein Bürger. „Die drehen alles auf links“, fürchtet ein anderer.
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Ansgar Klein und Sascha Reller haben für die Bürgerinitiative Junkernhees eingeladen, um über die neue Situation zu informieren: Mit dem Planfeststellungsbeschluss hat der Netzbetreiber Amprion Baurecht für die neue Höchstspannungsleitung, die über Altenkleusheim ins Siegerland kommt, durchs Heestal, an Meiswinkel, Buchen, Seelbach und Oberschelden vorbei nach Mudersbach und schließlich nach Betzdorf führt. „Die können von heute auf morgen anfangen zu bauen.“ Zumindest solange das Bundesverwaltungsgericht der Stadt und den privaten Klägern nicht den beantragten einstweiligen Rechtsschutz gewährt, der einem Baustopp gleichzusetzen ist.
Stadt Kreuztal sagt auch finanzielle Unterstützung zu
Nach Junkernhees gekommen sind auch Stadtbaurätin Christina Eckstein und Stadtplanerin Petra Kramer. Den „Schulterschluss“ von Stadt und Bürgerinitiative betont die Stadtbaurätin. „Wir freuen uns, dass Sie bereit sind, in ein Klageverfahren einzusteigen.“ Gerichtlich zu überprüfen sei, ob die von Stadt und Bürgerinitiative vorgeschlagene Meiswinkel-Variante durch den Wald nicht die bessere Alternative sei „und ob die große Fabrik (das Umspannwerk, d. Red.) dort wirklich errichtet werden muss.“ Details ihrer Argumentation wollen an diesem Abend weder Stadt noch Bürgerinitiative offenlegen. „Es ist gut, Argumente vor Gericht vorzubringen und nicht in der Öffentlichkeit“, sagt Christina Eckstein.
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Die Stadtbaurätin sagt der Bürgerinitiative Unterstützung der Stadt zu, „auch mit finanziellen Mitteln“. Um die geht es an diesem Abend auch: Unmittelbar nach dem ersten Info-Markt von Amprion im Frühjahr 2016 in der Weißen Villa hat sich die Bürgerinitiative gebildet. Für Gutachten und Rechtsbeistand, schätzt Ansgar Klein, wurden bisher um die 20.000 Euro aufgewendet. Es hätten auch locker mehr werden können, sagt Christian Gerhard, der auf die unbezahlten Recherchen im Ehrenamt hinweist – er selbst vor allem in seiner Funktion als Vorstand des zur Erhaltung von Schloss Junkernhees, dessen Bedeutung für Denkmalschutz und Kulturlandschaft im Verfahren herausgearbeitet wurden: „Wenn man dafür auch noch Gutachter dazugeholt hätte, wären die Kosten explodiert.“ Was der Prozess kosten wird, will einer der rund 60 Anwesenden wissen. 30.000 bis 50.000 Euro, schätzt Ansgar Klein, die sich auf die Stadt und die einzelnen, von der Bürgerinitiative unterstützten Kläger verteilen. „Wir werden alles tun, um das noch abzuwenden.“
Kreuztal will Leitung nicht verhindern
„Ich bin hier aufgewachsen“, sagt ein Heestaler ratlos mit dem Blick auf die Animation mit Mast und Umspannwerk. „Stell dich doch mal neben so einen Trafo“, sagt ein anderer, „das brummt.“ „Die werden uns zubetonieren“, sagt eine Frau, die sich die allein für ein Mastfundament benötigten Betonmengen ausrechnet. Jemand fragt nach einer Ruhebank. „Die kommt auch wieder da hin“, ahnt Christian Gerhard, „da kannst du dann das Umspannwerk angucken.“ Stadtbaurätin Christina Eckstein richtet sich darauf ein, auch in den nächsten Wochen viele Fragen von Bürgerinnen und Bürgern zu beantworten. „Wir wollen helfen und unterstützen“, sagt sie – auch wenn viele ihre Einwendungen besser früher vorgebracht hätten, als sie noch hätten bearbeitet werden müssen. „Das ist die Crux bei solchen Verfahren.“
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„Viele glauben, es solle etwas verhindert werden“, hört Stadtplanerin Petra Kramer aus der Runde heraus. Und das, so betont Christina Eckstein, ist nicht der Fall: „Es wäre auch energiepolitisch unvertretbar.“ Kreuztal wolle die Alternativtrasse durchsetzen, erinnert auch Sascha Reller. Amprion sei eigentlich in der „komfortablen Ausgangslage“ gewesen, eine Planung gemeinsam mit einer Bürgerinitiative umsetzen zu können. Dass es darüber nun zum Prozess kommt, „ist schon paradox“.
Ärger über Entscheidung der Stadt Siegen: „Hohle Phrasen“
Irritiert nimmt die Runde der Entscheidung der Stadt Siegen zur Kenntnis, ihrerseits nicht gegen den Planfeststellungsbeschluss zu klagen – vor allem nach der gemeinsamen Veröffentlichung der SPD-Fraktionen aus Siegen, Kreistag und Kreuztal: „Wenn die sich in Siegen auf den Balkon stellen und klatschen, haben wir nichts davon“, sagt Christian Gerhard. „Hohle Phrasen“ seien das, pflichtet Sascha Reller bei, „wir lassen die Meiswinkeler nicht im Stich, auch wenn die Stadt Siegen das tut.“
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Die Stadt Siegen hatte – wie berichtet – sich gegen eine Klage entschieden, weil sie ihr eigene Planungshoheit und ihren eigenen Grundbesitz nicht verletzt sieht. Aus einem ähnlichen Grund hatten bereits die Ortsgemeinden Brachbach und Mudersbach 2016 ihre Klagen beim Bundesverwaltungsgericht verloren. Die Stadt Herdecke unterlag 2020 – dort wäre allerdings die Alternativtrasse durch ein Naturschutzgebiet gegangen. „Wie es bei uns ausgehen wird, weiß kein Mensch.“
Initiative warnt: Nichts unterschreiben
Einen aktuellen Rat gibt Ansgar Klein den Mitbürgern mit auf den Weg: Vorsicht bei den Abgesandten der von Amprion beauftragten Firma, die sich um Grundstücke an der Trasse bemüht – das würde den Widerstand gegen die Trasse hintertreiben. „Keiner ist verpflichtet, eine Unterschrift zu leisten. Im Zweifelsfallmuss sich Amprion das auf dem Rechtsweg erstreiten.“
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