Kreuztal/Leipzig. Der als Biotop zu schützende Bereich im Heestal ist viel größer als bisher angenommen. Das hat das Landesamt für Natur und Umwelt festgestellt.
Im Heestal wird weiter gearbeitet, auch zwischen den Terminen beim Bundesverwaltungsgericht. Die Bürgerinitiative schäumt: Am Standort für den Mast 377 wird gebohrt, obwohl darunter eine dicke Druckwasserleitung liegt. „Stundenlang“ seien Baumaschinen gereinigt und damit womöglich Grund- und Oberflächenwasser verschmutzt worden, berichtet Ansgar Klein: „Ein Schlachtfeld, der Bohrstaub hat sich bis Meiswinkel ausgebreitet.“ Seine Vermutung, dass Trassenbauer Amprion sich - auch unter dem Eindruck des Leipziger Prozesses - vorzeitig von der Baustelle zurückgezogen habe, wird von Amprion allerdings nicht bestätigt. Die Bedienung der Baustellen unterliege betrieblichen Bauabläufen. „Es ist also übliche Praxis, dass an einer Mastbaustelle gearbeitet wird – und demzufolge an einer anderen Mastbaustelle nicht“, erklärt Projektsprecher Andreas Lehmann, „das ist auch bei Mast 377 der Fall.“
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Verstößt die Planung von Höchstspannungsleitung und Umspannwerk im Heestal gegen Arten- und Naturschutzrecht? Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beantwortung dieser Frage auf den 19. Juni vertagt. Nicht nur, weil dann erst über die Planung für das Umspannwerk verhandelt werden soll, nachdem die Bezirksregierung kurz vor dem Prozesstermin den Planfeststellungbeschluss zum dritten Mal geändert hatte. Sondern auch, weil das Landesamt für Natur und Umwelt (Lanuv) das Heestal auf einmal in neuen Licht sieht Nach der von der Behörde soeben veröffentlichten Kartierung, folgert Philipp Heinz, Anwalt der klagenden Grundstücksbesitzer und der Stadt Kreuztal, sei nun eigentlich das gesamte Heestal naturschutzwürdig.
Wie ein Biotop groß wird
Der Verhandlungstag beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig - wir berichteten - hatte eine lange Tagesordnung. Es seien „nicht allzu wenige Punkte, zu denen wir Erörterungsbedarf haben“, hatte Prof. Dr. Christoph Külpmann, Vorsitzender Richter des 11. Senats, angekündigt. Ganz oben stand der Arten- und Naturschutz.
Dr. Sigrid Emmenegger als Berichterstatterin des Senats hatte Schritt für Schritt an den Schauplatz herangeführt. Es geht um Abschnitt C der Leitung von Attendorn bis zur Landesgrenze Rheinland-Pfalz, konkret um das Teilstück zwischen den Masten 347 und 349 beim Umspannwerk Altenkleusheim und Mast 380 bei Meiswinkel. Auf Kreuztaler Stadtgebiet stehen die Masten 359 bis 376. Geklagt wird gegen den Abschnitt ab Mast 371, den ersten Mast hinter Fellinghausen. Genau dort befindet sich Biotop „BT-5013-703-8 Ufergehölz, Bachmittellauf im Mittelgebirge, Nass- und Feuchtgrünlandbrache“.
„Von dem Biotop bleibt nicht viel übrig“, sagt Rechtsanwalt Philipp Heinz. Die im Planfeststellungsbeschluss festgesetzte Ausgleichsmaßnahme sei rechtswidrig. Weil, wie der von den Kreuztalern als Sachverständiger hinzugezogene Landschaftsplaner Uwe Meyer feststellt, erst einmal hätte geprüft werden müssen, ob die Zerstörung des Biotops vermeidbar sei – etwa durch eine andere Trassenführung, wie sie von der Stadt Kreuztal und der Bürgerinitiative Junkernhees gefordert wird. Das 8000 Quadratmeter große Biotop werde durch die Bauarbeiten „irreversibel“ beschädigt.
Und nun das Lanuv. Die weiteren, nun für schutzwürdig erklärten Bereiche gehen auch über Mast 373 hinaus, von dem die Zuleitung für das Umspannwerk in der Dänischen Wiese, ein 60 Mal 20 Meter großes, 15 Meter hohes Industriegebäude, abzweigen soll. Es handele sich eben nicht um „artenarmes Intensivmähland“, wie von Amprion angenommen, sondern um „extensiv bewirtschaftete Pferdekoppeln“, sagt Philipp Heinz. „Das wurde in der Planfeststellung nicht abgearbeitet, obwohl wir immer wieder darauf hingewiesen haben.“ Anke Utsch, Gewässerschutzbeauftragte der Stadt Kreuztal, berichtet, wie die Stadt seit 2000 den Heesbach und seine Ufer renaturiert hat. „Würden wir jetzt wieder eingreifen, bedarf es wieder einer Entwicklung von 15 Jahren“, sagt sie. Sollten indes die Amprion-Pläne verwirklicht werden, „dann ist das Tal kaputt.“
Regierungsdirektor Job, der bei der Bezirksregierung für Energieinfrastruktur zuständige Dezernent, weist Kritik zurück: „Natürlich“ seien die beim Bau entstehenden „erheblichen Beeinträchtigungen“ gesehen worden. Andererseits habe das Tal auch ein „hohes Rekultivierungspotenzial“, für das eine neue Fundament könnten zwei vorhandene Masten abgebaut werden. „Der erhebliche Eingriff ist voll umfänglich ausgeglichen.“ Amprion-Anwältin Mira Wilcock argumentiert formal: „Alle Sachgrundlagen wurden korrekt berücksichtigt“ – also die Biotope, die zum Zeitpunkt der Planfeststellung gesetzlich geschützt waren. So eindeutig scheint das Gericht das nicht zu sehen: „Dass die Biotope jetzt erst kartiert wurden, heißt nicht, dass sie damals nicht da waren“, sagt Prof. Dr. Külpmann.
Was der Schwarzstorch macht
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Schwarzstorch gegen stromführende Leitungsseile fliegt und getötet wird? Können farbige, an der Leitung angebrachte Vogelschutzmarker die Tiere abhalten? „Fast jeden Tag sind einer oder mehrere Schwarzstörche zu sehen“, sagt Philipp Heinz. Sascha Reller, der die Eigentümerin von Schloss Junkernhees vertritt, zitiert aus seinen Aufzeichnungen seit 2017 und legt Fotos vor. Regierungsdirektor Job sagt, dass die nächsten Brutplätze „mindestens“ acht Kilometer entfernt seien. „Es mag sein, dass sich vereinzelt ein Schwarzstorch ins Heestal verirrt.“ Es sei aber, so Amprion-Anwältin Wilcock, „kein essenzielles Nahrungshabitat“.
Welchen Schutz ein Denkmal hat
Vier Bauwerke an der Trasse stehen unter Denkmalschutz: Schloss Junkernhees und Mühle beim künftigen Mast 373, Hof Wurmbach und Backhaus in Mittelhees beim Mast 375. Vom Schloss, so Sachverständiger Christian Gerhard vom Schloss-Junkernhees-Verein, habe der Mast 190 Meter Abstand, das Umspannwerk 300 Meter.. „Das ist nicht einfach nur ein altes Haus“, sagt Gerhard, der die Details der Schlossfassade erklärt: „Das ist die seltene Gelegenheit, dass jemand durch seinen Bau zu uns spricht.“ Die Dänische Wiese war Eigentum des Schlossherrn. „Die Sichtverbindung würde durch das Umspannwerk voll verdeckt.“ Regierungsdirektor Job weist darauf hin, dass der Denkmalschutz nicht den unverstellten Blick gewährleiste. Das Gericht werde zu würdigen haben, „ob sich daraus ein weitergehender Umgebungsschutz ergibt“, sagt dagegen Prof. Dr. Christoph Külpmann, der Vorsitzende des 11. Senats.
In Mittelhees werden Backes (Gerhard zu den Nicht-Siegerländern: „Das ist quasi ein überbauter Backofen“) und Hof durch die Leitung getrennt. Für den Hof Wurmbach sieht Job eine „gewisse Entlastung“. Der Senatsvorsitzende bestätigt: Die neue Leitung hängt höher, „man kann ja drunter durch.“ Ansgar Klein, einer der Sprecher der Bürgerinitiative, protestiert: „Wir können Kindern doch nicht unter einer 380-kV-Leitung das Brotbacken beibringen.“ „Das hatten wir so deutlich nicht vor Augen“, räumt der Richter ein.
Wie wichtig das Heestal für Kreuztal ist
Prof. Dr. Christoph Külpmann hat gelernt, warum für die Kreuztaler das Heestal und der 1,3 Kilometer lange Geh- und Radweg vom Schloss bis nach Mittelhees so wichtig sind: „Weil bei Ihnen alle anderen Wege die Berge rauf und runter gehen und nicht asphaltiert sind.“ Als Mittelzentrum sei Kreuztal verpflichtet, auch eine „gewisse Freizeitqualität“ anzubieten, sagt Petra Kramer, Stadtplanerin im Kreuztaler Rathaus. Sie holt weiter aus: 60 Prozent des Stadtgebiets seien Wald, nur 15 Prozent Offenland. Drei von vier Kreuztaler Tälern sind mit Gewerbe und Industrie bestanden. „Da kann man nur hergehen, wenn man gut zu Fuß ist und den Blick vom Tal abwendet.“ Die Straßen seien dicht befahren, die Ruhr-Sieg-Bahnstrecke stehe vor einem Ausbau. Im Heestal sei das anders: „Da führt man seinen Hund aus, da sind am Sonntag Opa und Opa mit Rollator, da lernen Kinder Fahrrad fahren. Und die Straße hat noch nicht einmal einen Mittelstreifen.“
Petra Kramer hat im Rathaus seit 2018 schon viele Stellungnahmen geschrieben, mit denen die Stadt Kreuztal ins Verfahren gegangen ist. Aus ihrer Verärgerung macht sie keinen Hehl. „An keiner Stelle wurde das auch nur ansatzweise berücksichtigt. Das hat nie jemanden interessiert.“ Auch heute dringt sie bei Regierungsdirektor Job nicht durch: „Das ist keine unbelastete Naturlandschaft.“ Bei der Straße ohne Mittelstreifen handele es sich um die Landesstraße 908, zwei Stromleitungen würden ohnehin schon durch das Tal führen. „Es liegt in der Natur der Sache, dass die Stadt die Belange etwas anders gewichtet. Die Kritik der Stadt führt nicht dazu, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig wäre.“
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Was gegen die Alternative spricht
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe sieht die Kulturlandschaft im Heestal gefährdet. Aber wo ist die, welche Trasse wäre weniger beeinträchtigend? Die von Kreuztal geforderte orts- und talferne Waldtrasse jedenfalls nicht, bei der Wald zerstört würde und - oben auf dem Höhenkamm - das Landschaftsbild gleich mit, sagt Regierungsdirektor Job. Nicht auf der Kuppe, sondern am Hang führe die alternative Trasse entlang, widersprechen die Kreuztaler. Den Wald, den der Landesbetrieb Wald und Holz retten wolle, gebe es - nach Dürre und Käferplage - gar nicht mehr, und die Versuchsflächen zur Wiederbewaldung nach Kyrill würden kaum berührt.
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Der Vorsitzende Richter, der Amprion am Ende des Verhandlungstages nach der Bereitschaft zu einem Vergleich fragt, um ein Urteil zu vermeiden, lässt auch hier eine Position durchblicken: Die Vorgabe, dass eine Trasse im Bestand der Inanspruchnahme neuen Raums vorzuziehen sei, „ist kein Grund, der überall durchschlagen muss“. Dass die Meiswinkel-Variante dazu führe, dass von Buchen aus ein Mast sichtbar würde, „sollte man nicht größer machen, als es ist.“ Und wenn denn die Kulturlandschaft überhaupt maßgeblich sein werde, dann könne es „keinen Zweifel geben“, dass die Amprion-Trasse mehr drin liege als die Alternative. Wobei Prof. Dr. Christoph Külpmann vor dem von den Trassenplanern angeführten „Gewöhnungseffekt“(„Da zuckt man zurück“) auch nicht wirklich überzeugt zu sein scheint. „Ob das wirklich so ist, weiß ich nicht.“
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