Kreuztal/Leipzig. Der erste Prozesstag beim Bundesverwaltungsgericht endet überraschend: Der Vorsitzende bringt einen Vergleich ins Spiel, die Stadt eine Wasserleitung.
Ein bisschen ungleich sind die Parteien schon, die da auf dem Simsonplatz in Leipzig aufeinandertreffen: Eine bunte Gruppe von Grundstücksbesitzern aus dem Heestal wartet am Mittwochmorgen schon lange vor dem imposanten Gebäude des Bundesverwaltungsgerichts, als eine regelrechte Armada von Anzugträgern von Amprion und der Bezirksregierung an ihnen vorbeizieht. Bevor, mit ganz viel Abstand, die vier Prozessvertreter der Stadt Kreuztal über den Platz kommen: Stadtbaurätin Christina Eckstein, Planungschefin Petra Kramer, Tiefbauamtsleiter Roland Jarzina und seine Kollegin Anke Utsch.
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Um die 50 Personen füllen am Ende den Sitzungssaal 4 im Obergeschoss, wo an diesem Mittwoch die einzige öffentliche Verhandlung stattfindet. Es geht um den letzten Abschnitt der Höchstspannungsleitung aus dem Ruhrgebiet nach Rheinland-Pfalz, für den das Baurecht noch wackelt – der große Bahnhof könnte Beleg dafür sein, wie bedeutsam dieser Lückenschluss ist. Schließlich, das wird Regierungsdirektor Job als Vertreter der Bezirksregierung Arnsberg gleich sagen, ist das im Energieleitungsausbaugesetz unter der laufenden Nummer 19 geführte Vorhaben von „überragendem öffentlichen Interesse“. „Es dient der öffentlichen Sicherheit“, sagt der für die Energieinfrastruktur zuständige Dezernent.
Der Auftakt: Volles Haus in Leipzig
In dem Gebäude, das als Reichsgericht gebaut wurde und in dem zu Nazi-Zeiten auch der fürchterliche Roland Freisler verbrecherische Urteile gefällt hat, treffen an diesem Tag nicht David und Goliath aufeinander. Es geht zeitweise sogar entspannt zu: Als Prof. Dr. Christoph Külpmann, der Vorsitzende des 11. Senats, ganz robust entscheidet, dass die „Dänische Wiese“ fortan verbindlich „Dänische Wiese“ heißt und nicht mehr „Dönische Wiese“ – wofür ihm Christian Gerhard, der als Sachverständiger geladene Vertreter des Schloss-Junkernhees-Vereins, gleich auch noch den historischen Beleg liefert. Und als der Vorsitzende des gerade erst neu gebildeten Energie-Senats bekennt, bei der Befassung mit den Kreuztaler Klagen „ganz viel über die Geschichte des Siegerlandes gelernt“ zu haben – und dann vernehmlich erschreckt, als Christian Gerhard die Jahreszahl 1250 erwähnt: „Heute nicht …“, heißt es bittend von der Richterbank.
Die Konfrontation: Warum keine Meiswinkel-Variante?
Ein Urteil wird es an diesem Tag nicht geben. Die mündliche Verhandlung muss sogar zu einem weiteren Termin – es wird der 19. Juni – fortgesetzt werden. Denn erst vor ein paar Tagen hat die Bezirksregierung auf Antrag von Amprion einen zweiten Planfeststellungsänderungsbeschluss erlassen, der die Zuwegungen zum geplanten Umspannwerk Junkernhees betrifft. Der will gelesen werden, so lange wird das Thema ausgeklammert. Was nicht bedeutet, dass nicht trotzdem über die Stromtrassenführung durch das Heestal gesprochen werden kann. „Es sind nicht allzu wenige Punkte, zu denen wir Erörterungsbedarf haben“, kündigt Prof. Dr. Külpmann an.
Was dann über den ganzen Tag folgt, heißt formal „Rechtsgespräch“: Das Gericht fragt, Kläger und Beklagte sowie die Vertreter der „beigeladenen“ Amprion und die von beiden Seiten mitgebrachten Sachverständigen antworten. Es geht um Arten- und Naturschutz, besonders um den Schwarzstorch, um womöglich übersehene Biotope, um den Denkmalschutz, um die Bedeutung des Heestals für die Naherholung, um die Kulturlandschaft und um Wasserleitungen. Nicht einfach so, wie der Vorsitzende wiederholt deutlich macht, sondern vor dem Hintergrund der übergeordneten Frage, ob die so genannte „Meiswinkel-Variante“ der Stromtrasse nicht doch die bessere Lösung ist. Rechtlich und „tatsächlich“, stellt Prof. Dr. Külpmann schon ziemlich am Anfang fest, „geht“ die nämlich: „Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen.“
Das ist genau das, was die Kläger aus dem Heestal und die Stadt Kreuztal wollen. Philipp Heinz, ihr Rechtsanwalt aus Berlin, der schon mehrere Klagen gegen andere Planfeststellungsbeschlüsse für dieselbe Trasse vertreten hat, betont die Besonderheit dieses Verfahrens: Die Kläger lehnen die Trasse nicht ab, sondern plädieren für eine ortsfernere Alternative, für die sie sogar selbst Grundstücke abgeben würden. „Damit könnten vielleicht mehr als hundert Wohngebäude entlastet werden.“ Das Land NRW, gegen das die Klage sich eigentlich richtet und das hier durch die Bezirksregierung vertreten ist, messe einem tatsächlich gar nicht mehr vorhandenem Wald größere Bedeutung zu als der Kulturlandschaft, Bestandsaufnahme und Abwägung seien „tiefgreifend fehlerhaft“, und Netzbetreiber Amprion sei „auf Teufel komm raus nicht bereit, einen Kompromiss zu finden.“
Der Dezernent der Bezirksregierung antwortet knapp: „Wir haben alle Alternativen geprüft.“ Leitlinie für die „fachplanerische Abwägungsentscheidung“ sei es gewesen, bestehende Stromtrassen zu nutzen, Wald zu erhalten und nicht neue Betroffene hereinzuziehen. „Wir sind immer bestrebt gewesen, die verträglichste Trasse zu finden“, sagt Mira Wilcock, die Anwältin von Amprion.
Zum Schluss zwei Überraschungen
Einen halben Tag nach den Eingangsstatements wird es spannend, als die Amprion-Anwältin ein neues Argument vorbringt: Es sei ja gar nicht gesagt, ob Westnetz seine regionale Leitung überhaupt auf eine Meiswinkel-Trasse mitgeben würde – im ungünstigsten Fall entstünde dann eine neue Trasse, ohne dass die Masten unten im Tal abgebaut werden könnten. Auf Westnetz habe Amprion nämlich keinen Einfluss. Das trifft wohl zu, weil Amprion noch im Miteigentum von RWE steht, während Westnetz zu Eon gehört. Der Vorsitzende des Senats wird aber aus einem anderen Grund hellhörig: Wenn Amprion sich schon solche Gedanken mache, bedeute das etwa die „Bereitschaft, die Meiswinkel-Variante im Wege eines Vergleichs in den Blick zu nehmen?“, fragt Prof. Dr. Christoph Külpmann, „war das wirklich so gemeint?“ In den Amprion-Reihen wird es unruhig. Anwältin Mira Wilcock schließlich: „Es soll nicht an der Beigeladenen scheitern.“
Beim Herausgehen aus dem Gerichtssaal beginnen die Spekulationen: Sollte es am Ende gar eine Einigung geben, die Stromtrasse mit den bis zu 80 Meter hohen Masten doch aus dem Tal an den Hang zu schieben? „Es besteht ja noch Zeit nachzudenken“, sagt der Vorsitzende des Senats fast gegen Ende des Sitzungstermins. Fast. Denn Rechtsanwalt Philipp Heinz drängt darauf, über die drei Wasserleitungen unter der Trasse zu sprechen. „Die Druckwasserleitung läuft im Prinzip durch das Fundament von Mast 376.“
Wenn die nur auch nur freigelegt werde, könne sie wegen des starken Wasserdrucks von sich aus brechen, warnt Tiefbauamtsleiter Roland Jarzina. Da es sich neben zwei städtischen Leitungen um die Transportleitung des Wasserverbandes Siegen-Wittgenstein handele, wären dann „etliche tausend Haushalte“ auf dem Trockenen. Für die erforderliche Verlegung der Leitung gebe es kein Baurecht, Grundstücksverhandlungen seien nicht geführt worden. Philipp Heinz erinnert an einen Stromtrassenprozess in Krefeld, wo die Wasserleitung zum „K.o-Kriterium“ geworden sei: „So eine Riesengeschichte muss Teil der Planfeststellung sein“, sagt er und wendet sich an die Reihen von Bezirksregierung und Amprion. „Das haben Sie nicht aufgearbeitet.“
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Der Vorsitzende des Senats bleibt am Schluss eindeutig bedeckt. Nun seien alle Fragen zur Trasse beantwortet. „Wir meinen, dass wir alles verstanden haben“, sagt Prof. Dr. Christoph Külpmann, „das hat für den Senat große Erkenntnisfortschritte gebracht.“ Fortsetzung am 19. Juni – da ist schließlich auch noch die Sache mit dem Umspannwerk.
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