Kreuztal/Leipzig. Teilerfolg für Stadt Kreuztal und Bürgerinitiative Junkernhees – aber es bleibt bei der Trasse durchs Heestal. Hier sind die Einzelheiten.
Das Bundesverwaltungsgericht erklärt den Planfeststellungsbeschluss für die Höchstspannungsfreileitung in Kreuztal für „teilweise rechtswidrig“. Das Umspannwerk in Junkernhees darf nicht gebaut werden. Es bleibt aber bei der Trassenführung durch das Heestal.
„Über den Standort der Umspannanlage muss abwägend erneut entschieden werden“, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung. Es liege nahe, dass die Dänische Wiese auch 2022 schon Biotop war. „Der Beklagte (das Land NRW, d. Red.) und die Beigeladene (Amprion, d.Red.) konnten nicht darlegen, dass die Fläche vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses hinreichend untersucht worden war.“ Dagegen sei „die Abwägung der Trassenführung im Heestal frei von beachtlichen Fehlern“. Die Meiswinkel-Variante habe „wegen der mit ihr verbundenen Beeinträchtigung von Waldflächen“ abgelehnt werden dürfen.
Der Tag vor dem Urteil
Einen letzten Stuhl kriegt der Justizwachtmeister noch unter, dann ist der Saal voll. Der Vorsitzende des 11. Senats des Bundesverwaltungsgerichts verschafft sich den Überblick. Wenn jetzt noch mehr kommen, müssen alle in einen größeren Saal umziehen. „Wir müssen die Öffentlichkeit der Sitzung sicherstellen“, sagt Prof. Dr. Christoph Külpmann. Es geht um den Prozess, den die Stadt Kreuztal und Grundstückseigentümer aus dem Heestal führen, um die Höchstspannungs-Stromtrasse aus dem Tal zu verbannen und den Neubau eines Umspannwerks gegenüber von Schloss Junkernhees abzuwenden. Das Bundesverwaltungsgericht erklärt den Planfeststellungsbeschluss für die Höchstspannungsfreileitung in Kreuztal für „teilweise rechtswidrig“. Das Umspannwerk in Junkernhees darf nicht gebaut werden. Es bleibt aber bei der Trassenführung durch das Heestal.
„Über den Standort der Umspannanlage muss abwägend erneut entschieden werden“, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung. Es liege nahe, dass die Dänische Wiese auch 2022 schon Biotop war. „Der Beklagte (das Land NRW, d. Red.) und die Beigeladene (Amprion, d.Red.) konnten nicht darlegen, dass die Fläche vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses hinreichend untersucht worden war.“ Dagegen sei „die Abwägung der Trassenführung im Heestal frei von beachtlichen Fehlern“. Die Meiswinkel-Variante habe „wegen der mit ihr verbundenen Beeinträchtigung von Waldflächen“ abgelehnt werden dürfen.
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Der Prozess in Leipzig: Großes Aufgebot gegen die kleine Stadt Kreuztal
Es geht um den Lückenschluss der Höchstspannungsleitung von Dortmund-Kruckel nach Dauerberg bei Betzdorf, konkret um das Baurecht für die Masten 371 bis 376 zwischen Fellinghausen und der Siegener Stadtgrenze. Für Amprion, Bauherr und Betreiber des Netzes, ist das Teilstück offenkundig immens wichtig: Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen an der Verhandlung teil, dazu vier Sachverständige und drei Rechtsanwälte. Die Bezirksregierung Arnsberg, die das Land NRW vertritt, kommt mit sechs Vertretern der Abteilung Bergbau und Energie. Kreuztals Stadtbaurätin Christina Eckstein bringt nur zwei Kolleginnen und einen Kollegen mit …
Das Verfahren ist selbst für das Bundesverwaltungsgericht nicht ganz gewöhnlich, macht der Senatsvorsitzende gleich am Anfang deutlich: Dass gleich zwei Sitzungstage für eine mündliche Verhandlung anberaumt werden, ist nicht die Regel. Prof. Dr. Christoph Külpmann erinnert daran, dass das Verfahren wegen der Bedeutung der Energieversorgung „beschleunigt“ geführt werden muss. Dieser gesetzliche Auftrag an das Gericht sei zugleich „auch eine Pflicht aller Beteiligten“, mahnt der Vorsitzende, „wir müssen dieses Verfahren irgendwann zu einem Ende führen.“ Er schließt einen Rüffel an: „Wenig hilfreich“ sei es, „wenn unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung neue Themen aufgemacht werden“. Tatsächlich wurden die letzten Schriftsätze noch am Wochenende auf die Reise geschickt. Ans Gericht, noch nicht einmal an die Beteiligten direkt, schimpft Rechtsanwalt Philipp Heinz, der die Kreuztaler Kläger vertritt. Das sei „eine unglaubliche Schweinerei“.
Das sagen die Kreuztaler
Der Nachmittag ist schon fortgeschritten, als der Vorsitzende des Senats den Schlussstrich zieht: „Wir haben alles erörtert, was wir besprechen wollten.“ Die Entscheidung fällen die fünf Richter nun hinter verschlossenen Türen. Rechtsanwalt Philipp Heinz gibt ihnen sechs Beweisanträge mit, die von Sachverständigen zu bearbeiten wären: zum Beispiel zu der Frage, ob und wie der Wirtschaftsweg durchs Heestal die Schwertransporte aushält, ohne dass es die 70 Zentimeter unter der Decke liegende Abwasserleitung zerreißt. Für den Fall, dass das Gericht all das nicht mehr für entscheidend hält, stellt der Anwalt der Kläger auch gleich seine abschließenden Anträge: den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben oder zumindest für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären oder wenigstens so zu ändern, dass die Belange der Betroffenen besser geschützt werden. Regierungsdirektor Grégory Job und Amprion-Anwältin Mira Wilcock erwidern knapp: Sie beantragen, die Klagen abzuweisen.
„Die Leitung hätte längst verwirklicht werden können. Wir haben Ihnen die Lösung auf dem silbernen Tablett serviert.“
Sascha Reller, der zusammen mit Ansgar Klein und der von ihnen vertretenen Bürgerinitiative schon 2016 die ersten Unterschriften gegen Stromtrasse und Umspannwerk gesammelt hat, wirft Amprion auch zum Schluss noch einmal vor, die Untersuchung der Varianten „grundsätzlich auf falschen Annahmen“ zu gründen. Anwalt Philipp Heinz erinnert daran, dass die Bürgerinitiative die Stromtrasse nicht verhindern wolle: „Die Leitung hätte längst verwirklicht werden können. Wir haben Ihnen die Lösung auf dem silbernen Tablett serviert, schon lange vor dem Planfeststellungsverfahren.“ Sollte die Trasse doch noch in den Wald umgeschwenkt werden („Meiswinkel-Variante“), stünden Waldgenossenschaften und Landwirt zu ihrer Zusage, dafür die nötigen Flächen bereitzustellen.
So wehren sich Land und Amprion
Das Bundesverwaltungsgericht befindet allerdings nicht darüber, ob das Umspannwerk besser in Altenkleusheim erweitert (Forderung aus Kreuztal) statt in Junkernhees neu gebaut wird (Amprion), und es schaltet sich auch nicht in den Streit über „Bestandstrasse“ durch das Heestal oder Meiswinkel-Variante durch den Wald ein. Ausschlaggebend ist, ob die Bezirksregierung korrekt gearbeitet hat. Entsprechend hat sich das Gericht auf die Suche nach „Abwägungsfehlern“ konzentriert. Die passieren, wenn eine Entscheidung auf falschen Grundlagen beruht.
Und das, so betont es der juristische Dezernent der Bezirksregierung, sei nicht passiert: Der Planfeststellungsbeschluss sei „in rechtmäßiger Weise ergangen“. Die Argumente seien „ohne tiefgreifende Fehler abgewogen“ worden, Amprion habe seiner Leitungstrasse und dem Standort Junkernhees „in vertretbarer Weise den Vorzug eingeräumt“. Die Meiswinkel-Variante, sagt die Amprion-Anwältin, sei „letztlich nicht vollständig austrassiert“, es könnten sich noch „bautechnische Schwierigkeiten“ ergeben. Die Neuzerschneidung eines Waldgebietes sei zudem vom Land nicht gewünscht, der Landesbetrieb Wald und Holz lehne die Waldtrasse, die auch Staatswald betrifft, ab: „So einfach ist es nicht.“
„Das Heestal ist ökologisch wertvoller als in der Planfeststellung angenommen.“
Am Rande: Was der Fehmarnbelt mit dem Heestal zu tun hat
Im August 2023 hat das Landesamt für Natur und Umwelt (Lanuv) sich das Heestal angeschaut und Biotope kartiert, die bisher nicht kartiert waren. „Das Heestal ist ökologisch wertvoller als in der Planfeststellung angenommen“, folgert Prof. Dr. Christoph Külpmann. Was auch niemand bestreitet. Entscheidend ist für den Prozess allerdings, ob die Biotope auch schon 2022 da waren, als der Planfeststellungsbeschluss gefasst wurde.
Wenn das so wäre, argumentiert Amprion-Anwältin Mira Wilcock, wäre das in einem „nachgelagerten Verfahren“ heilbar. Sprich: Der Planfeststellungsbeschluss würde später ein weiteres Mal geändert, wobei – wie ihr Kontrahent Philipp Heinz hervorhebt – dann nur noch gegen die ausgewählten Ausgleichsflächen (Wilcock: „Schon kartiert“), nicht aber mehr gegen das Umspannwerk vorgegangen werden könnte. Regierungsdirektor Grégory Job sieht in dem vorgeschlagenen Vorgehen „keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse“ und gibt eine „eher positive Prognose“. Mira Wilcock zieht einen Vergleich: Beim Baurecht für die Fehmarnbeltquerung, den Tunnel von Deutschland nach Dänemark durch die Ostsee, sei genauso gearbeitet worden.
Prof. Dr. Christoph Külpmann äußert Vorbehalte: Das sei doch „ein deutlich anderes Projekt“ als der Bau eines Umspannwerks in Junkernhees, zumal sich dort das zuerst gewählte Kartierungsverfahren für die Riffe auf dem Meeresgrund als falsch herausgestellt habe. „Das ist hier ganz anders.“ 2022 wie heute müsse man „erfassen, was an Pflanzen da ist“, sagt der Vorsitzende des Senats, „die Methode hat sich nicht geändert.“ Sollte sich also herausstellen, dass das Biotop auch vor zwei Jahren schon da war, stelle sich die Frage, ob das nicht eher von vornherein in der Planfeststellung zu berücksichtigen gewesen wäre. „Wir lassen das erst mal stehen …“
Die Dänische Wiese: Das Biotop, auf das es ankommt
Das Biotop, das nun in den Mittelpunkt rückt, hat die Nummer SI 02793, ist 1,6 Hektar groß und als Dänische Wiese bekannt: Standort für ein 60 Mal 20 Meter großes, 15 Meter hohes Industriegebäude, das ein gasisoliertes Umspannwerk umhüllt. Keine „artenarme Intensivmähweide“, wie im Planfeststellungsbeschluss behauptet (Külpmann: „Daran hält niemand fest“), sondern eine „Glatthafer-und-Wiesenknopf-Silgenwiese“, seit 2022 ins Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen, als „Lebensraumtyp 6510“ in ein EU-Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH) aufzunehmen.
Prof. Dr. Klaudia Witte, Professorin für organistische Biologie an der Universität Siegen und im Ehrenamt Kreisvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) und Vorsitzende des Naturschutzbeirates, wird als Sachverständige gehört. Sie sei schon 2018 auf die Dänische Wiese gestoßen, als sie ein Arbeitsfeld für Studierende suchte: „Wiesen, die im Juni begehbar sind, sind selten geworden.“ Denn wenn sie bewirtschaftet werden, werden sie dann gemäht. 2019 habe Diplom-Biologin Eva Lisges – auch sie im Nabu engagiert – eine Pflanzenliste erstellt und 71 Arten festgestellt, 2023 durch das Lanuv dann 57 Arten. Und 2022? „So ein Biotop kann sich nur über Jahrzehnte durch eine sehr extensive Bewirtschaftung entwickelt haben.“
Gutachter Jörg Piotrowski ist von Amprion beauftragt. Noch 2015 sei die Wiese, auf der Löwenzahn und Klee wuchsen, intensiv bewirtschaftet worden, auch 2018 sei Weidegras gewachsen. Die festgestellte Artenvielfalt? „Das kriegt man mit Saatgut hin.“ Anwältin Mira Wilcock geht weiter: „Das ist selbst jetzt kein Biotop.“ Klaudia Witte widerspricht: „Da sind mehrjährige Staudenpflanzen. Die waren auch 2022 schon da.“ Außerdem der Große Wiesenkopf, Wirtspflanze des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings, einer geschützten Schmetterlingsart. „Es spricht alles dafür, dass diese Art auf der Dänischen Wiese vorkommen kann“, sagt Uwe Meyer, von der Stadt Kreuztal hinzugezogener Diplom-Ökologe.
Telefonnotizen über Beobachtungen zu verschiedenen Zuständen der Dänischen Wiese werden zu den Akten genommen. Es geht und das Vorkommen von Honiggras und Kriechendem Hahnenfuß, um die Verwechselbarkeit des Ameisenbläulings. „Das wird mir jetzt zu kleinteilig“, unterbricht der Vorsitzende – zumal niemand belegen kann, wie die Wiese 2022 ausgesehen hat. „Es lagen keinerlei Hinweise vor“, sagt Amprion-Anwältin Wilcock. „Sie schieben die Verantwortung von sich weg“, wirft Kreuztal-Anwalt Heinz der Bezirksregierung vor, schließlich sei sie schon beim Erörterungstermin 2018 in Attendorn auf das womöglich nicht beachtete Biotop hingewiesen worden: „Warum haben Sie als Planfeststellungsbehörde nicht das Lanuv dahingeschickt?“
Noch viele andere Fragen – zum Beispiel Altenkleusheim
Die Suche nach Schwachstellen im Planfeststellungsbeschluss geht weiter. In den folgenden Stunden wird gefragt, ob die Erschließung des Umspannwerks nicht hätte geregelt werden müssen. Und ob die Altenkleusheim-Alternative richtig untersucht wurde: was den Beton- und Stahlverbrauch angeht, die Versorgungssicherheit, die Kosten. Schließlich die Frage, wie Bestimmungen des Klimaschutzgesetzes berücksichtigt wurden. „Rechtlich nicht uninteressant“, findet der Vorsitzende. 24 Stunden später wird der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts seine Entscheidung verkünden. Das letzte Wort, 13 Jahre und einen Monat nachdem ein „Raumordnungsverfahren für Höchstspannungsfreileitungen der Firma Amprion“ auf die Tagesordnung des Kreuztaler Infrastrukturausschusses rückte.
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