Hattingen. Hattingens Stadtspitze gönnt sich was – und zwar ein neues Rathaus. Hoch die Tassen heißt es im Dezember 1910, mit sündhaft teurem Champagner.

In Reih’ und Glied stehen sie da, gekleidet in schwarze Hosen, dunkle Mäntel, Frack und mit Zylinder auf dem Kopf. Etwa eine Beerdigung? Aber nein, es ist die Einweihung des neuen Hattinger Rathauses am 10. Dezember 1910 – und die einzige Frau versprüht ganz in Weiß den angemessenen Optimismus.

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Bismarck ist an allem schuld: Weil die Sozialgesetze des Reichskanzlers in den 1880er-Jahren den Verwaltungsaufwand so sehr erhöht haben, dass er im Rathaus am Untermarkt nicht mehr zu bewältigen ist, muss ein ein Neubau her. Den ersten Plan hierfür gibt es bereits 1893, aber erst 13 Jahre später kommt Grünes Licht aus Arnsberg. Das Grundstück am Pastorskamp (heute Roonstraße) kostet 141.000 Mark. Der Grundsteinlegung wird am 21. Juli 1909 gelegt.

Soester Grünstein, Pfälzer Sandstein und Ruhrsandstein

Soester Grünstein, Pfälzer Sandstein und Ruhrsandstein: Stadtbaumeister Christoph Epping entwirft das Gebäude, heimische Firmen bauen es in nur anderthalb Jahren. Die Zeitung „Heimat am Mittag“ berichtet: „Die alte Stadt geht einem neuen Aufstieg entgegen, sie erweitert sich bedeutend nach Osten und Süden.“

Schon gesehen? Auf dem offiziellen Foto zur Eröffnung des Hattinger Rathauses ist auch eine Frau mit dabei.
Schon gesehen? Auf dem offiziellen Foto zur Eröffnung des Hattinger Rathauses ist auch eine Frau mit dabei. © Stadtarchiv

Der Weg bis zum Baubeginn auf dem freien Feld indes ist steinig. Denn auf der einen Seite ist allen wichtigen Menschen der Stadt bewusst, dass es im alten Rathaus, das bereits im Jahr 1576 eingeweiht worden war, nicht mehr weitergehen kann zum anderen streiten Magistrat, Stadtverordnete und Bürger aber auch lange über den Standort – soll es an der Bahnhofstraße gebaut werden oder eben auf dem Pastorskamp? Mit 9:7-Stimmen fällt die Entscheidung für den Bereich in Richtung Welper. Eine Protestbewegung hat keine Chance.

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Bürgermeister Eigen, begleitet den Rathaus-Bau. Für 24 Verwaltungsbeamte lässt er im Gebäude Arbeitsplätze einrichten, sie lenken gemeinsam mit dem Bürgermeister, einem Beigeordneten und vier Stadträten die Geschicke der Stadt.

Feier mit Zanderfisch und sündhaft teurem Champagner

Mehr als 100 Ehrengäste werden zur Eröffnung eingeladen, keine Frauen, ausschließlich Männer (und doch ist auf dem offiziellen Foto eine Frau in Weiß zu sehen). Für die Herren heißt es: Zylinderpflicht! Gefeiert wird an diesem sonnigen Tag nach dem Gang durchs neue Gebäude mit viel Brimborium – im Westfälischen Hof mit Zanderfisch, holländischer Soße und sündhaft teurem Champagner.

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Bei Bombenangriffen auf Hattingen im März 1945 wird das Rathaus beschädigt – den Erker an der Seite des Bürgermeisterbalkons gibt es seitdem nicht mehr. Der neue Rat tagt zunächst im Keller Die Zeitung schreibt 1949 dazu: „Im Ratskeller steht ein Tresen, dahinter Wirt und Wirtin und die Sitzung beginnt, wenn der letzte Zuhörer gerade den Schaum vom Mund gewischt hat. Ich finde, dass die Würde des Parlaments nicht gerade erhöht wird.“.

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