Hattingen. Die Reichskristallnacht zeigt, wie menschenverachtend und skrupellos die Nazis ihre Ziele auch in Hattingen verfolgten. Das ist 1938 passiert.

Flammen fressen sich durch das Holz der Synagoge, schnell schlagen sie aus dem Dach, legen das Haus in Schutt und Asche. Jüdische Geschäfte und Wohnhäuser werden geplündert und verwüstet. Angsterfüllt und in Sorge um ihr Leben verfolgen die Hattinger Juden das hasserfüllte Vorgehen der SA – zufrieden blicken die Nazis auf ihr Werk. Die Reichskristallnacht zeigt, wie menschenverachtend und skrupellos die National­sozialisten ihre Ziele auch hier verfolgen.

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„Die Synagoge brennt“, meldet ein anonymer Anrufer der Polizei in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Statt aber gleich Großalarm zu schlagen, inspizieren Polizisten in aller Ruhe die Lage. Um ein Überschlagen des immer wuchtigeren Feuers auf die Nebenhäuser zu vermeiden, wird schließlich doch die Feuerwehr gerufen.

Diese Aufnahme der zerstörten Hattinger Synagoge stammt aus dem Abbruchjahr 1939.
Diese Aufnahme der zerstörten Hattinger Synagoge stammt aus dem Abbruchjahr 1939. © Stadtarchiv

Die Schlägertrupps der Sturm­abteilung (SA) zerstören nebenan eine jüdische Zahnarztpraxis, es gibt weitere Brandanschläge und Plünderungen in den Geschäften. Alle jüdischen Schaufensterscheiben werden zerstört.

Die Hattinger Volkszeitung wertet das Vorgehen in ihrer Ausgabe am 11. November 1938 als „ein Strafgericht als Antwort auf die jüdische Provokation“. Gemeint ist damit das Attentat des 17 Jahre alten polnischen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Gesandten Ernst vom Rath am 7. November in Paris – „aus Protest gegen die antijüdische Politik der Deutschen und aus Rache für das Schicksal seiner Familie“. Dies gilt als vordergründiger Anlass für die Pogromnacht der Nazis.

Juden werden in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ gebracht

Als „spontaner Volkszorn“ wird das Vorgehen in Hattingen bezeichnet. Etwa 70 Juden leben im Jahr 1938 in der Gemeinde. Jüdische Männer werden aus ihren Familien gerissen, in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager gebracht – zunächst nur für einige Wochen. „Die Erregung des Volkes schaffte sich so Luft und vollzog ein Strafgericht an den Rassegenossen des Mörders“, schreibt die Hattinger Volkszeitung dazu zynisch.

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Juden dürfen keinen Handel mehr betreiben, sie werden mehr und mehr in ihrem Leben eingeschränkt, sie werden vertrieben – oder ins KZ deportiert, wenn sie Widerstand­ leisten.

Gedenkwoche für Toleranz und Demokratie

Bereits zum vierten Mal wird in der kommenden Woche vom 5. bis zum 13. November eine Aktions- und Gedenkwoche für Toleranz und Demokratie in Hattingen durchgeführt. Auftakt ist am Samstag (5.11.) der Stadtrundgang „Hattingen im Nationalsozialismus“ des Aktionsbündnisses „Buntes Hattingen gegen Rechts“. Treffpunkt: 16 Uhr, Rathaus.

Für die Lesung „…und nie kann ich vergessen“, am 7. November mit Tim Pröse sind noch Anmeldungen bei möglich.

In Erinnerung an die Reichspogromnacht findet am 9. November eine Kranzniederlegung am Synagogenplatz statt. Treffpunkt ist um 17 Uhr am Rathaus.

Eine Torarolle wird aus der brennenden Synagoge gerettet. Vermutlich wird sie im Juni 1939 dem Grab des verstorbenen Max Blume auf dem Jüdischen Friedhof am Vinckenbrink beigelegt. Die Ruine der Synagoge wird schließlich im Februar 1939 abgebrochen.

Am 4. März dieses Jahres verkündete die Volkszeitung: „Hattingen ist judenfrei. Mit der Synagoge, deren letzte Reste augenblicklich beiseite geräumt werden, verschwindet das letzte jüdische Zeichen.“

Der Denkstein gegen das Vergessen von Ulla H’loch-Wiedey am Synagogenplatz in Hattingen.
Der Denkstein gegen das Vergessen von Ulla H’loch-Wiedey am Synagogenplatz in Hattingen. © FUNKE Foto Services | Volker Speckenwirth

Doch das stimmt so nicht! Mehr als 30 Gemeindemitglieder fliehen zwar bis Ende 1939, doch offiziell aufgelöst ist die Gemeinde nicht. Lediglich ein aktives Gemeinde­leben gibt es nicht mehr – ob es Privat-Gottesdienste und Zusammenkünfte gibt, ist nicht bekannt.

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Im März 1941 will die Stadt das Synagogengrundstück und die ehemalige israelitische Schule für 2800 Reichsmark kaufen. Die Reichsvereinigung für Juden in Deutschland ist damit nicht einverstanden – also werden die Grundstücke Bahnhofstraße 8 und 8a (heute steht hier das Amtsgericht) vom Reich beschlagnahmt.

Seit dem Jahr 1987 erinnert ein Denkstein gegen das Vergessen von Ulla H’loch-Wiedey am Synagogenplatz an die Gräuel dieser Zeit.

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