Hattingen. Die Reichskristallnacht zeigt, wie menschenverachtend und skrupellos die Nazis ihre Ziele auch in Hattingen verfolgten. Das ist 1938 passiert.
Flammen fressen sich durch das Holz der Synagoge, schnell schlagen sie aus dem Dach, legen das Haus in Schutt und Asche. Jüdische Geschäfte und Wohnhäuser werden geplündert und verwüstet. Angsterfüllt und in Sorge um ihr Leben verfolgen die Hattinger Juden das hasserfüllte Vorgehen der SA – zufrieden blicken die Nazis auf ihr Werk. Die Reichskristallnacht zeigt, wie menschenverachtend und skrupellos die Nationalsozialisten ihre Ziele auch hier verfolgen.
+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Hattingen verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. Jeden Abend schicken wir Ihnen die Nachrichten aus der Stadt per Mail zu. +++
„Die Synagoge brennt“, meldet ein anonymer Anrufer der Polizei in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Statt aber gleich Großalarm zu schlagen, inspizieren Polizisten in aller Ruhe die Lage. Um ein Überschlagen des immer wuchtigeren Feuers auf die Nebenhäuser zu vermeiden, wird schließlich doch die Feuerwehr gerufen.
Die Schlägertrupps der Sturmabteilung (SA) zerstören nebenan eine jüdische Zahnarztpraxis, es gibt weitere Brandanschläge und Plünderungen in den Geschäften. Alle jüdischen Schaufensterscheiben werden zerstört.
Die Hattinger Volkszeitung wertet das Vorgehen in ihrer Ausgabe am 11. November 1938 als „ein Strafgericht als Antwort auf die jüdische Provokation“. Gemeint ist damit das Attentat des 17 Jahre alten polnischen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Gesandten Ernst vom Rath am 7. November in Paris – „aus Protest gegen die antijüdische Politik der Deutschen und aus Rache für das Schicksal seiner Familie“. Dies gilt als vordergründiger Anlass für die Pogromnacht der Nazis.
Juden werden in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ gebracht
Als „spontaner Volkszorn“ wird das Vorgehen in Hattingen bezeichnet. Etwa 70 Juden leben im Jahr 1938 in der Gemeinde. Jüdische Männer werden aus ihren Familien gerissen, in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager gebracht – zunächst nur für einige Wochen. „Die Erregung des Volkes schaffte sich so Luft und vollzog ein Strafgericht an den Rassegenossen des Mörders“, schreibt die Hattinger Volkszeitung dazu zynisch.
>>> Mehr Nachrichten aus Hattingen und Sprockhövel
Juden dürfen keinen Handel mehr betreiben, sie werden mehr und mehr in ihrem Leben eingeschränkt, sie werden vertrieben – oder ins KZ deportiert, wenn sie Widerstand leisten.
Gedenkwoche für Toleranz und Demokratie
Bereits zum vierten Mal wird in der kommenden Woche vom 5. bis zum 13. November eine Aktions- und Gedenkwoche für Toleranz und Demokratie in Hattingen durchgeführt. Auftakt ist am Samstag (5.11.) der Stadtrundgang „Hattingen im Nationalsozialismus“ des Aktionsbündnisses „Buntes Hattingen gegen Rechts“. Treffpunkt: 16 Uhr, Rathaus.
Für die Lesung „…und nie kann ich vergessen“, am 7. November mit Tim Pröse sind noch Anmeldungen bei m.przygodda@kick-hattingen.de möglich.
In Erinnerung an die Reichspogromnacht findet am 9. November eine Kranzniederlegung am Synagogenplatz statt. Treffpunkt ist um 17 Uhr am Rathaus.
Eine Torarolle wird aus der brennenden Synagoge gerettet. Vermutlich wird sie im Juni 1939 dem Grab des verstorbenen Max Blume auf dem Jüdischen Friedhof am Vinckenbrink beigelegt. Die Ruine der Synagoge wird schließlich im Februar 1939 abgebrochen.
Am 4. März dieses Jahres verkündete die Volkszeitung: „Hattingen ist judenfrei. Mit der Synagoge, deren letzte Reste augenblicklich beiseite geräumt werden, verschwindet das letzte jüdische Zeichen.“
Doch das stimmt so nicht! Mehr als 30 Gemeindemitglieder fliehen zwar bis Ende 1939, doch offiziell aufgelöst ist die Gemeinde nicht. Lediglich ein aktives Gemeindeleben gibt es nicht mehr – ob es Privat-Gottesdienste und Zusammenkünfte gibt, ist nicht bekannt.
>>> Folgen Sie unserer Redaktion auf Facebook – hier finden Sie uns
Im März 1941 will die Stadt das Synagogengrundstück und die ehemalige israelitische Schule für 2800 Reichsmark kaufen. Die Reichsvereinigung für Juden in Deutschland ist damit nicht einverstanden – also werden die Grundstücke Bahnhofstraße 8 und 8a (heute steht hier das Amtsgericht) vom Reich beschlagnahmt.
Seit dem Jahr 1987 erinnert ein Denkstein gegen das Vergessen von Ulla H’loch-Wiedey am Synagogenplatz an die Gräuel dieser Zeit.
>>> Blitzlichter des 20. Jahrhundert
- Til Schweigers Tage auf der Henrichshütte
- „Schandmauer“: Mahnmal und Zeichen der Solidarität
- 7 Kilometer Luftbrücke zwischen Sprockhövel und Hattingen
- Als die Scorpions die Ruhrwiesen rockten
- Olympia-Gold für Hattingen: Ruderhaus wird zum Tollhaus
- Los entscheidet über neuen Bürgermeister in Hattingen
- Aus für Henrichshütte mit einem lauten Knall
- Karneval mit Quetschkommode und Bollerwagen
- Tausende strömen zum Baden in der Ruhr nach Hattingen
- Als der Markenname Hill in Hattingen verschwunden ist
- Was Paul Breitner und Gerd Müller in Hattingen gemacht haben
- Die Invasion der Kelly-Fans auf dem Untermarkt
- Für die allgemeinen Bedürfnisse der Bürger in Hattingen
- Wie Hattingen in den Zwanzigern zur Hitler-Hochburg wird
- Ende der Doppelspitze – Liebig kommt für Wüllner
- Die Nacht, in der die Ruhr die Stadt Hattingen überflutet
- Oliver Bierhoff kommt als Trauzeuge in Hattingen vorbei
- Dieser Brand an der Unionstraße bleibt ein Rätsel
- Frank Wagners Schuss ins Glück für den TuS Hattingen
- Mönninghoff: Der erste große Arbeitskampf in Hattingen
- Vor 90 Jahren: Der erste NS-Mord in der Stadt Hattingen
- Straßenbahnen in Hattingen: Die letzte Fahrt der Linie 8
- Vor 50 Jahren: Hattingens Abschied von Weygands Wahrzeichen
- Als die Ruhr in Hattingen ein neues Bett bekommen hat
- Isenburg-Ruine: Die Buddel-AG ist in Hattingen legendär
- Hattingen in den 1960ern: Willy, der Kanzler und ein König
- Hattingen 1924: Für die Schwachen – und für die Kranken
- Empörung beim Erstkontakt mit den Eisenmännern
- Klare Ansage des Bürgermeisters: „Altstadtfest wiederholen!
- Schulenburg erlebt erste Krise am ersten Tag
- In Zeitlupe fällt die Blechbüchse 1994 zu Boden
- Als Rudi Carrell 1988 in die Altstadt rollte
- Schrecklicher Mord mit einem Highlander-Schwert
- EvK Hattingen gegründet: Sechs Goldmark für die erste Klasse
- Hattingen 1985: Im Rathaus regiert die „Filzokratie“!