Hattingen. Der Gasometer ist ein Wahrzeichen der Henrichshütte und Hattingens. Doch im September 1994 wird die 72 Meter hohe Blechbüchse zu Boden gebracht.

Was für ein Donnerschlag, was für ein Spektakel: Hunderte stehen an diesem 24. September 1994 in den Ruhrwiesen und sehen wie der Gasometer der Henrichshütte zu Boden sinkt. Was bleibt, sind 800 Tonnen Schrott und die Erinnerung an ein Hattinger Wahrzeichen.

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„So lange ich zurückdenken kann, hat der Gasometer den Horizont beherrscht“, sagt Bürgermeister Günter Wüllner. Er selbst hatte in seinem Winz-Baak immer einen besonderen Blick auf die Hütte.

Gasometer fällt: Bilder von der Sprengung am 24. September 1994.
Gasometer fällt: Bilder von der Sprengung am 24. September 1994. © WAZ | Werner Liesenhoff

Neben dem Hochofen ist die 72 Meter hohe grüne Büchse das bekannteste Bauwerk der Hattinger Eisen- und Stahlgeschichte. Gebaut wird er in den Jahren 1934 und 35. Der Hattinger Scheibengasometer ist ein regelmäßiges Zwanzigeck mit einem Durchmesser von rund 44 Metern. Fassungsvermögen­: 100.000 Kubikmeter! Und er sorgt für gleichmäßigen Druck im Gasleitungsnetz.

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Nach dem Hütten-Aus im Jahr 1987 steht er weithin sichtbar an der Ruhr – doch im Gegensatz zu seinem Oberhausener Pendant, das zukünftig als Kulturzentrum genutzt werden soll, gilt der Hattinger Gasometer als unbedeutend. Vereinzelte Forderungen nach einem Erhalt als Industriedenkmal werden schnell im Keim erstickt. Gewünscht ist vielmehr weitere Fläche für neue Firmenansiedlungen im Gewerbe- und Landschaftspark.

Wochenlange Vorbereitungen durch Abbruchfirma

Wochenlang hat eine Abbruch­firma aus Dresden den grünen Riesen für diesen September-Samstag vorbereitet. 13 Kilogramm Sprengstoff sollen die überdimensionale Blechbüchse zu Fall bringen.

Blick vom Hattinger Ruhrwehr auf den Gasometer.
Blick vom Hattinger Ruhrwehr auf den Gasometer. © WAZ | Udo KREIKENBOHM

Auf einem gegenüberliegenden Acker in den Ruhrwiesen sammeln sich die Schaulustigen. Ab Elf suchen sie die besten Plätze, Hobby­filmer und Fotografen, Fernsehteams und Hunderte Hattinger – der gewaltsame Tod des Koloss’ wird zum Volksfest.

Alle anderen Zugänge werden weiträumig abgeriegelt, auch auf der Ruhr darf kein Boot fahren. Selbst ein Haus wird vorsorglich evakuiert – man weiß ja nie...

Die LEG profitiert

Logenplätze für die Sprengung des Hattinger Gasometers haben am 24. September 1994 die Besucher der Hattinger Bauverwaltung. Denn die ist gerade erst von Blankenstein ins alte Sozialgebäude der Henrichshütte eingezogen – und hat zum Tag der offenen Tür geladen.

Die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) sorgt für einen reibungslosen Ablauf der gesamten Sprengung. Und sie macht im Anschluss die 800 Tonnen Blechschrott des gestürzten Gasometers noch zu gutem Geld.

Um kurz vor Eins steigt selbst bei den Zuschauern die Unruhe. Wird alles klappen, denkt der eine oder andere, nachdem der Bürgermeister seine Rede beendet hat. Und dann kommt dieser eine Moment, dieser plötzliche Moment, denn das Signal für die Sprengung ist auf der anderen Ruhrseite kaum hörbar. Zwei Blitze zucken vom Dach in den Himmel, ein Donnerschlag, so laut, dass er sich leicht in die Magengrube bohrt – und dann fällt der Gasometer wie in Zeitlupe zu Boden. Drei Sekunden, vier, fünf, oder doch sechs? Der Turm verschwindet in einer gewaltigen Staubwolke. Nur in unmittelbarer Nähe werden durch den Druck, der etwa der Windstärke sieben bis acht entspricht, ein paar Birken entwurzelt, ansonsten bleibt alles heil – auch die Scheiben im neuen Bildungswerk.

Die Menge atmet auf und durch – und ist fasziniert. Ja, solch ein Schauspiel erlebt man nicht oft. Und bis zum Ende des Jahres ist dann auch der Schrott weggeräumt.

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